Wie gut kann man einen Menschen vergessen, wenn man es sich nur fest vornimmt? Am 18. September 96 beschloss der römische Senat, den Kaiser Domitian zu vergessen, gleich, nachdem ihn ein Attentäter erdolcht hatte.
Kann man einen Menschen mit Absicht vergessen? Man kann es versuchen. Der römische Kaiser Domitian sollte mit Absicht vergessen werden. So hatte es der römische Senat beschlossen, am 18. September 96 n. Chr. Das kostete nicht einmal psychische Verdrängungsarbeit. Der Name des gehassten Mannes sollte einfach aus allen öffentlichen Inschriften herausgemeißelt und seine zahllosen Bildnisse im ganzen Reich zerstört werden. Doch wie gut ist Operation "Vergesst ihn!" gelungen?
Spinne am eigenen Faden
Wer heute unterhalb des Kapitols in Rom einen Rundgang über die Ruinen des Forum Romanum macht, wird kaum auf Anhieb ausgerechnet diesen Mauerrest entdecken: eine Wand mit zwei Säulen davor; sie ragt mehrere Meter hoch auf, und auch ein Figurenfries, der oben an der Mauer entlangläuft, ist gut erhalten. Noch einmal eine Etage über dem Fries erkennt man das Relief einer Minerva, einer römischen Athena. Das Ensemble ist der Rest des sogenannten Durchgangsforums, des Forum Transitorium. Dass es nicht Domitians-Forum heißt, liegt daran, dass man den Mann mit Absicht vergessen hat.
Früher war dieser Durchgangsplatz eine Perle am Forum Romanum. Sündhaft teuer in der Bauausstattung schuf er einen Seitendurchgang vom Forum Romanum zum Handwerkerviertel in den Hügeln dahinter. Unerhört war schon der Haupteingang zum Platz: Er lag mit all seiner Marmorpracht nicht zum ehrwürdigen Forum hin, sondern zum Handwerkerviertel! So etwas hatte es noch nicht gegeben. Der ganze Aufwand - ein Kompliment an die Armen der Stadt!
Doch Domitian war nicht einfach ein selbstloser Volksfreund. Das Bildprogramm auf seinem Forum sollte die Leute auch mahnen, wo es langging. So erzählt der erhaltene Fries den Mythos von der Bestrafung der Arachne: Die - eine Sterbliche - lässt sich auf einen Wettkampf im Weben mit Athene ein. Doch dabei ist sie so kühn, mit ihrer Webarbeit die Sexabenteuer der Götter darzustellen.
Athene tobt vor Zorn und verwandelt die Unglückliche in eine Spinne, die von nun an am eigenen Webfaden hängen muss.
Aufschrei der Erleichterung
Eine delikate Mischung: Einerseits die Pracht des Platzes, die gerade die kleinen Leute einlädt; andererseits die Geschichte von der Bestrafung der Handwerkerin Arachne, die es gewagt hatte, die unverrückbare Hierarchie zu stören. Domitians Botschaft heißt: Seid fleißig und nicht renitent, dann bekommt ihr Geld, Brot und Spiele. Und so war es auch. Gerade für die kleinen Leute gab der Kaiser Unsummen aus.
Warum musste ein so spendabler Mann also vergessen werden? Die Antwort geben die römischen Aristokraten. Mit denen hatte es sich der Kaiser verscherzt. Vor allem sein Geldhunger ist ihm zum Verhängnis geworden. Mit schiefen Prozessen beseitigte Domitian Ritter und Senatoren, um an ihr Vermögen zu kommen. Wer reich war, hatte Angst um sein Leben, und im Gegenzug musste Domitian um das seine fürchten: Die Wände in seinem Palast waren mit spiegelndem Gestein verkleidet, damit er mögliche Angreifer von hinten entdecken könne.
Geholfen hat das nichts. Am 18. September 96 hat ihn ein Attentäter erdolcht. Im Senat, gleich um die Ecke seines damals fast fertiggebauten Forums, gab es einen Aufschrei der Erleichterung. Dann beschloss man, ihn zu vergessen. Als kurze Zeit später sein strahlender Durchgangsplatz eingeweiht wurde, stand auf der Bauinschrift der Name seines Nachfolgers Nerva. So ist Domitian als Scheusal unvergessen geblieben, aber seinen schönen Platz hat er nie wiedergekriegt. Bis heute nicht.