Der Kopf des organisierten Verbrechens in New York war eine kleine dicke Frau aus Kassel. Friederike Mandelbaum war die Königin der Diebe, bis sie ein ehrgeiziger Staatsanwalt am 22. Juli 1884 verhaften ließ.
In Amerikas "Gilded Age", den "goldenen" Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg, war New York der ideale Ort für große Karrieren und skrupellose Geschäfte. An der Fifth Avenue protzten die Paläste von Bankern und Eisenbahnmagnaten, die als "Räuberbarone" in die Geschichte eingingen. Im Rathaus scheffelten korrupte Politiker Millionen in die eigenen Taschen. Doch der Kopf des organisierten Verbrechens war eine dicke, kleine Frau aus Kassel.
"Kleindeutschland" - ein Kramladen
Unter dem Deckmantel eines Kramladens in "Kleindeutschland" betrieb Friederike Mandelbaum Hehlerei in allergrößtem Stil. Mit einem Baby auf dem Arm und ihrem phlegmatischen Ehemann im Schlepp war sie 1850 nach New York gekommen und hatte ihre Laufbahn als Hausiererin begonnen. Dabei verhökerte sie auch Diebesgut, und als sie den Laden übernahm, wickelte sie die lukrativeren Geschäfte im Hinterzimmer ab.
In der Unterwelt gelang ihr ein steiler Aufstieg. Für Friederike Mandelbaum arbeiteten die raffiniertesten Taschen- und Ladendiebe und die berüchtigtsten Einbrecher und Safeknacker. Kostbare Spitzen, Seidenballen, Juwelen, Pelze, Tafelsilber und wertvolle Möbel, Gold und Wertpapiere füllten etliche Lagerhäuser. Sie konnte alles zu Geld machen, ihre Geschäftsbeziehungen überspannten ganz Amerika. Zu günstigen Preisen kauften bei ihr Stoffhandlungen und exklusive Kaufhäuser - dieselben, in denen ihre Lieferanten auf Beutefang gingen.
Friederike Mandelbaum plante Einbrüche und finanzierte die Vorbereitung spektakulärer Coups - auch bei dem Jahrhundertraub, der die Manhattan Savings Bank um drei Millionen Dollar erleichterte, hatte sie ihre Finger im Spiel. Auf Mutter Mandelbaum, wie sie in der Szene hieß, war Verlass. In Notfällen schickte sie umgehend Geld oder organisierte einen sicheren Unterschlupf. Ging etwas schief, stellte sie Kautionen und besorgte Anwälte.
Die gerissensten Strafverteidiger von New York bezogen von ihr ein üppiges Pauschalhonorar und waren stets zu Diensten. Gern förderte sie auch die berufliche Entwicklung von Frauen. Sie mochte es nicht, wenn sie ihr Leben als Hausfrau vergeudeten.
Pinkertons Detektivagentur
In "Kleindeutschland" führte sie das Leben einer respektablen Geschäftsfrau. Sie zog vier Kinder groß, ging regelmäßig in die Synagoge und spendete für wohltätige Zwecke. Ihre Wohnung über dem Laden allerdings konnte es mit dem Luxus der nobelsten Stadtvillen aufnehmen - und genau daher stammten ihre Antiquitäten, Teppiche und Silberleuchter auch. Bei ihren opulenten Dinner Partys speisten Stadträte und Richter mit den meistgesuchten Trickdiebinnen und Bankräubern. Und weil sie die Gesetzeshüter auch großzügig schmierte, blieb sie lange unbehelligt.
Bis ein ehrgeiziger Bezirksstaatsanwalt beschloss, sie festzunageln, was ihm nur mit Hilfe von Pinkertons Detektivagentur gelang. Der Polizei war es zwanzig Jahre lang angeblich unmöglich gewesen, handfeste Beweise gegen Mrs. Mandelbaum zu finden. Die Privatdetektive schafften es in zwei Monaten.
Am 22. Juli 1884 betraten vier Herren im Gehrock ihren Laden und präsentierten einen Haftbefehl. Die "Königin der Diebe" war gestürzt - ein Triumph für die Reformer, die in New York aufräumen wollten. Ins Gefängnis ging Friederike Mandelbaum trotzdem nicht. Auf Kaution frei, flüchtete sie nach Kanada, die Handtasche vollgestopft mit Juwelen.