Giovanni Falcone und Paolo Borsellino waren die ersten Richter, die in einem großen Prozess gegen die sizilianische Mafia vorgingen. Beide bezahlten ihren Mut mit dem Leben. Am 19. Juli 1992 wurde Paolo Borsellino ermordet.
"Ich trauen Ihnen, Richter Falcone, aber ich möchte Sie warnen: Nach diesem Verhör werden Sie berühmt sein!" So begann die erste von unzähligen Vernehmungen mit einem der bedeutendsten Mafiabosse in der Geschichte der sizilianischen Cosa Nostra. Das Gespräch zwischen Richter Giovanni Falcone und dem sogenannten "Pentito", dem geständigen Ehrenmann, dauerte einen ganzen heißen Sommer lang, und dass es überhaupt stattfand, war eine Sensation: Richter Falcone war etwas schier Unvorstellbares gelungen. Er hatte einen Mafiaboss zum Reden gebracht, einen Kronzeugen, der bereit war, das Gebot der "Omertà" zu brechen - das unerbittliche Gesetz der Schweigepflicht. Was in Palermo im Sommer 1984 protokolliert wurde, war der Auftakt zum bisher größten Prozess gegen die Cosa Nostra. - Und es machte Todeskandidaten aus allen Beteiligten: "Richter Falcone, vergessen Sie nie, dass Sie jetzt eine offene Rechnung mit der Mafia haben. Und die wird erst mit Ihrem Tod beglichen sein."
"Wer Angst hat, stirbt jeden Tag ..."
Giovanni Falcone macht sich zusammen mit seinem Richterkollegen Paolo Borsellino an die Arbeit. Keiner von ihnen hatte je davon geträumt, ein prominenter Mafia-Jäger zu werden. Annährend gleich alt, stammten beide aus dem einst prachtvollen, aber seit Jahrzehnten dem Verfall preisgegebenen Hafenviertel von Palermo. In ihrer Jugend hatten sie gemeinsam Fußball gespielt, später studierten beide Jura. Als junge Untersuchungsrichter bekamen sie dann Fälle auf den Tisch, die in die Welt des organisierten Verbrechens führten. Und obwohl sie in einer Stadt lebten, in der im Schnitt jeden dritten Tag ein Mafia-Mord begangen wurde, wagten sie sich weit vor. - Sehr weit. "Wer Angst hat", so Paolo Borsellino, "stirbt jeden Tag. Wer keine Angst hat, stirbt nur einmal!"
Falcone und Borsellino entwickeln ein schier unvorstellbares Arbeitspensum. Sie spüren Tausenden von finanziellen Transaktionen nach und kennen bald die Genealogien der sizilianischen Mafiasippen in- und auswendig.
Falcone werde noch in Papier ertrinken, prognostiziert ein Mitarbeiter. Borsellino müsse einen Hintern aus Stein haben, so ein anderer. "Wäre ich an ihrer Stelle", äußert ein geständiger Mafioso, "ich würde sogar zum Pinkeln meine Leibwächter mitnehmen!"
Gerichtsbunker aus Stahlbeton
Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn ist der sogenannte Maxi-Prozess von Palermo: 8.600 Seiten Anklageschrift, verteilt auf 40 Bände. Belastungsmaterial gegen 475 Angeklagte. Der Prozess, für den eigens ein Gerichtsbunker aus Stahlbeton errichtet wurde, dauert 22 Monate. Damit die beiden Chefankläger lange genug leben, um ihre Arbeit auch beenden zu können, werden sie und ihre Familien zeitweise auf einer Gefängnisinsel vor Sardinien einquartiert. Als der Maxi-Prozess 1987 mit etlichen Verurteilungen und Gefängnisstrafen endet, ist klar - weitere Prozesse werden folgen.
Soweit die Erfolgsgeschichte. Ungeklärt aber bleibt bis heute, wer genau die Morde an den beiden Mafia-Jägern in Auftrag gab. Waren es sogar ranghohe Politiker? Die 500-Kilo-Bombe, die Giovanni Falcone, seine Frau und drei Leibwächter im Mai 1992 das Leben kostet, verwandelt die Autobahn zum Flughafen von Palermo in eine Kraterlandschaft. Kurze Zeit später, am 19. Juli 1992, wird auch Paolo Borsellino in die Luft gesprengt - vor dem Haus seiner Mutter. Mit ihm sterben fünf Leibwächter. Die Mutter hatte ihm gerade öffnen wollen. - Noch heute liegen am Jahrestag frische Blumen auf der Schwelle.