Machen Sie mal was Schönes daraus!, sagte man dem Chemiker Fritz Klatte bei der "Chemischen Fabrik Griesheim" und gab ihm eine Menge übriges Chlor zum Forschen. Heute ist sein Forschungsergebnis unverzichtbar: PVC
Chemiker sind oft gute Köche. Im Labor müssen sie die Zutaten exakt abwiegen und in streng festgelegter Reihenfolge zusammenrühren. Und genau wie in der Küche gibt es in der Chemie eine Resteverwertung. Wenn man schon nicht jedes Atom zu Gold machen kann, dann wenigstens zu Geld - das war schon Anfang des 20. Jahrhunderts die Devise.
Mal was Schönes draus machen ...
Da wäre zum Beispiel Natriumchlorid, besser bekannt als Kochsalz. Natrium brauchen die Fabriken in großer Menge - für Seife und viele andere nützliche Dinge. Aber wohin bloß mit dem ganzen Chlor? Eine Lösung muss her, fanden die Chefs der "Chemischen Fabrik Griesheim" bei Frankfurt - und beschlossen kurzerhand: Chlor, da soll der Klatte mal was Schönes draus machen.
Der Klatte hieß mit Vornamen Fritz und hatte im Jahr 1908 bei der Chemischen Fabrik seine erste Stelle angetreten. Er stürzte sich gleich in seinen neuen Forschungsauftrag und stieß auf einen 70 Jahre alten Artikel des Franzosen Henri Victor Regnault. Der hatte einen bis dato unbekannten Stoff beschrieben: Vinylchlorid, ein süßlich riechendes Gas, das er aus Chlor erhalten hatte. Lässt man es stehen, bildet sich ein weißer Belag an der Wand des Gefäßes.
Fritz Klatte untersuchte das weiße Zeug genauer und erkannte Vielversprechendes: Es verhielt sich nämlich ganz ähnlich wie Zelluloid. Das war damals der letzte Schrei - Filme wurden aus Zelluloid hergestellt, Knöpfe, Brillen und Spielzeugpuppen. Und das trotz eines fatalen Nachteils: Wird Zelluloid zu trocken, geht es in Flammen auf. Bombenbastlern gefällt das, Brillenherstellern weniger. An sie mag Klatte gedacht haben, als er das Patent beantragte auf eine zu "Hornersatz, Filmen, Kunstfäden, Lacken u. dgl. verarbeitbare plastische Masse". Am 4. Juli 1913 gewährte das Kaiserliche Patentamt das Schutzrecht.
... Kanalrohre, Regenmäntel, Geld, Toilettensitze
Im Labor klappte die Herstellung von Poly-Vinylchlorid problemlos, wie die weiße Substanz fortan hieß. In der Industrie aber noch lange nicht. Polyvinylchlorid war mit den damals bekannten Verfahren einfach nicht zu verarbeiten. Technisch war die Zeit noch nicht reif dafür. 1926 gab die Chemische Fabrik das Patent sogar auf. Doch in anderen Firmen tüftelten Chemiker weiter - zehn Jahre lang, bevor es die ersten Produkte aus dem Material zu kaufen gab: Kanalrohre und Regenmäntel von der IG Farben. Der Großkonzern vermarktete die neue Plastiksorte unter dem Namen Igelit, getreu dem Motto "Hast du Igelit im Haus, kannst du auch bei Regen raus".
Nach dem Zweiten Weltkrieg nannte man das weiße Zeug kurz PVC. Es war eine Zeit lang der wichtigste Kunststoff überhaupt, nicht zuletzt wegen der Musik auf "Vinyl". Noch heute hat jeder von uns Klattes Material als Geldkarte im Portemonnaie, und wenn wir mal müssen, sitzen wir auf PVC. Fritz Klatte hat den späten Siegeszug nicht mehr erlebt. Der Erfinder des ersten nützlichen Chlorprodukts starb 1934 an Tuberkulose.