Jane Austen beschrieb das Land- und Liebesleben gehobener Kreise um 1800 in England. Am 26. Februar 1996 erhielt der Regisseur Ang Lee den "Goldenen Bären" für seine Austen-Verfilmung "Sinn und Sinnlichkeit".
Es ist die Zeit der Picknicks, Landpartien und Tanzveranstaltungen. Zwischendurch wird immer wieder reichlich Tee serviert. Irgendwann haben die Damen der besseren Gesellschaft zwar genug von Tee und Tanz und Picknicks, aber viel mehr hat ihnen das Leben im England des ausgehenden 18. Jahrhunderts nicht zu bieten. Regnen tut es ohnehin die meiste Zeit des Jahres, und auf den hochherrschaftlichen Landsitzen müsste man vor Langeweile eigentlich umkommen, wenn es da nicht noch etwas gäbe: Die Suche nach einer guten Partie. Ein geradezu überlebensnotwendiges Unterfangen für unverheiratete Töchter aus wenig vermögenden Familien. Sich wirklich zu verlieben, diesen Luxus kann sich keine leisten. Und so irren die Damen mit gebrochenem Herzen und wallenden Kleidern durch gepflegte englische Landschaftsgärten und haben doch nur die Wahl, sich entweder mit Verstand zu verschachern oder mit Gefühl zu ruinieren. "Sense and Sensibility", so lautet der englische Originaltitel des ersten Romans von Jane Austen - "Verstand und Gefühl".
Kriegen sie sich?
Wie fast alle ihre Werke wurde auch "Verstand und Gefühl" verfilmt: Unter dem Titel "Sinn und Sinnlichkeit" und unter der Regie des taiwanesischen Regisseur Ang Lee. Die Branche war zunächst skeptisch: Ein englischer Kostümfilm "made in Taiwan"? Doch Ang Lee gab sich zuversichtlich: "Für einen taiwanesischen Regisseur ist es nicht schwer, einen Film über unterdrückte Engländer zu machen", sagte er. Das kongeniale Drehbuch schrieb die Schauspielerin Emma Thompson.
Mit seinem Optimismus sollte Ang Lee Recht behalten. Am 26. Februar 1996 erhielt er für "Sinn und Sinnlichkeit" auf den Filmfestspielen in Berlin den Goldenen Bären und verhalf der Pfarrerstochter Austen aus der südenglischen Grafschaft Hampshire zu einem neuen Popularitäts-Boom. Seit "Sinn und Sinnlichkeit" ist das Publikum ganz begierig nach sentimentalen Liebesromanzen auf englischen Landgütern. Die Qualität der Filme reicht dabei von 'hoffnungslos sentimental' bis 'unterhaltsam mit Niveau'.
Auf eins aber können sich die vorwiegend weiblichen Fans des Genres stets verlassen: Die Männer kommen schneidig daher. Sie tragen Frack, hübsche Halstücher sowie verwegen lange Haare und sind immer genau dann mit dem Pferd zur Stelle, wenn sich die Dame ihres Herzens den Knöchel verstaucht hat. Sie hingegen lässt sich auf beschaulichen Hügeln, zwischen niedlichen Schäflein den Wind und die blonden Ringellocken um die Nase wehen. Kriegen sich die wahrhaft Liebenden oder kriegen sie sich nicht?
Intimitäten? - Erst mal Tee …
Auf diesen überschaubaren Konflikt läuft am Ende alles hinaus. Und so ist der Ausgang der Geschichte ebenso vorhersehbar wie anrührend: Denn natürlich kriegt man sich. Immer. Ungewiss ist nur die Frage nach dem wie. Warum ausgerechnet die in sich geschlossene Welt des englischen Landadels für die Zuschauer von heute so viel Sexappeal hat?! Vielleicht nicht trotz, sondern gerade wegen der fehlenden Wahlmöglichleiten, was das individuelle Glück betrifft. Die Welt von vor 200 Jahren ist zwar ungerecht, dafür aber wohl geordnet. Das Leben ist bis in intimste Beziehungen hinein reglementiert, zum Ausgleich dafür aber äußerst übersichtlich: Knicks, Verbeugung - und dann gibt es erstmal Tee. Na, wenn das nicht irgendwie tröstlich ist!
Was Jane Austen ganz privat von Sinn und Sinnlichkeit hielt, ist nicht genau bekannt. Zumindest kam für die Autorin eine nüchterne Vernunftehe - Porzellanhaut im Tausch gegen einen gefüllten Geldbeutel - nicht in Frage. Jane Austen zog es vor, ledig zu bleiben.