Kann ein Kaufmann steinreich werden, obwohl er nur Ladenhüter im Sortiment hat? Frank Winfield Woolworth fand heraus, wie es geht. Am 22. Februar 1879 machte er sich selbstständig.
Wie bringt man Menschen dazu, Sachen zu kaufen, die sie weder brauchen noch wirklich wollen? Diese Frage beschäftigt eine ganze Industrie, und weil die erfolgreich arbeitet, sammeln sich in den Haushalten Berge von Dingen an, die eigentlich niemand haben möchte. Shoppen ist ein Event, bei dem die Ware Nebensache ist. Was zählt das freudig-erregte Gefühl angesichts unzähliger Gegenstände, die man sofort haben kann, wenn man nur will. Echte Genießer achten beim Kauf darauf, dass die Ware heruntergesetzt ist: Sonderpreise, die den Verkäufer an den Rand des Ruins bringen, sind einfach unwiderstehlich.
Das heißt, um es jetzt mal von der anderen Seite aus zu betrachten, dass die Kunst des Verkaufens darin besteht, dem Kunden zu suggerieren, er würde die Ware fast geschenkt bekommen. Der erste, der das erkannt und großflächig umgesetzt hat, war der Amerikaner Frank W. Woolworth.
Erfolg und Desaster
Geboren im Jahr 1852 als Sohn eines Farmers hatte Woolworth mit siebzehn eine Lehre in einem Gemischtwarenladen begonnen. Dort beobachtete er, dass auch die letzten Ladenhüter begeisterte Käufer fanden, sobald sie auf dem Sondertisch für 5 Cent gelandet waren.
Auf dieser Erfahrung baute Frank Woolworth eine neue Geschäftsidee auf. Mit geliehenen 300 Dollar eröffnete er am 22. Februar 1879 in Utica im Staate New York einen eigenen Laden, in dem jeder Artikel nur 5 Cent kostete. Die Sache ließ sich großartig an: Die Leute strömten scharenweise herbei und kauften. Binnen weniger Wochen konnte Woolworth seinen Kredit zurückzahlen. Doch mit einem Mal blieben die Kunden aus, der Umsatz brach ein - Woolworth musste schließen. Die Ursache für das Desaster war schnell gefunden: das, was es bei ihm zu kaufen gab, hatte mittlerweile jeder in Utica gekauft. Das Sortiment war zu klein - und das Städtchen war es auch.
Wenige Wochen später eröffnete Woolworth zusammen mit seinem Bruder einen neuen Laden in Lancaster, Pennsylvania. Dort wohnen zwar auch nicht mehr Menschen als in Utica, aber es gab in der Nähe mehrere Großstädte. Außerdem waren im zweiten Woolworth deutlich mehr Artikel zu haben - und es gab nun zwei Einheitspreise, nämlich 5 und 10 Cent, also einen "Dime", wie die 10-Cent Münze heißt.
Flirt und Milchshake
Der "One-Dime-Shop" war geboren - und mit ihm eine neue Verkaufsphilosophie, die da hieß: Einkaufen soll ein billiges Vergnügen sein - und der Laden für den Kunden ein zweites Zuhause: Man traf sich bei „Woolies“ mit Freunden oder zum ersten Flirt, trank an der Theke einen Milchshake und schwelgte dann im Warenrausch - ganz ohne Risiko, denn auch ein Spontan-Kauf bedeutete nicht gleich den finanziellen Ruin. Es kostete ja alles nur ein paar Cent, ob es nun Hustenbonbons waren oder Nähseide, Flohshampoo oder ein grüner Wellensittich. Ja, auch den gab es mal bei Woolworth - vermutlich in der gehobenen Preisklasse zu 10 Cent.
Die Dimes klingelten in den Kassen der zahlreichen Woolworth-Filialen, die im ganzen Land aus dem Boden schossen - und türmten sich innerhalb von wenigen Jahren zu einem solchen Berg an, dass der Unternehmer steinreich wurde. 1919, im Jahr seines Todes, besaß er ein millionenschweres Vermögen. Das ist dann allerdings in den Händen seiner Enkelin und Haupterbin Barbara Hutton genauso schnell zerronnen wie er sie einst verdient hatte.