Tyrannenwillkür? Am 15. Januar 1776 schickte der hessische Landgraf Friedrich II. den Briten Truppen, die gegen die aufständischen Amerikaner in der Neuen Welt kämpfen sollten. Friedrich Schiller war empört.
Das kleine Land Hessen-Kassel war im 18. Jahrhundert gemessen an der Bevölkerungszahl eine bis zu den Zähnen bewaffnete Macht. Die Armee wurde auch unterhalten, um Devisen ins Land zu spülen. Denn die hessischen Soldaten wurden seit langem an andere Länder als Söldner vermietet. So war es nichts Ungewöhnliches, als am 15. Januar 1776 Landgraf Friedrich II. mit dem englischen König Georg die sogenannten "Subsidienverträge" schloss, die den Briten ein hessisches Kontingent von 12.000 Mann zusicherten.
Tatsachen verdreht
Seit einiger Zeit revoltierten im fernen Amerika die Siedler gegen die britische Oberhoheit. Mit Hilfe angemieteter Truppen hoffte man die als militärisch ungeübt geltenden Amerikaner rasch zur Raison zu bringen. Bereits in der ersten großen Schlacht auf amerikanischem Boden im August 1776 überrannten die hessischen Truppen die amerikanischen Verbände. Und selbst als der Anführer der Revolutionäre General Washington drei Monate später in der Schlacht bei Trenton siegte, gab es unter den Hessen kaum Verluste: Man zählte nur 17 Gefallene und 78 Verwundete.
In der Schlacht von Yorktown im Jahre 1781 standen sich deutsche Söldnertruppen sogar gegenüber: Regimenter aus Hessen und Ansbach-Bayreuth auf englischer Seite, ein Regiment aus Zweibrücken unter der Führung des deutschen Generals Friedrich Wilhelm von Steuben auf amerikanischer. Die Schlacht wurde für die Flagge Amerikas entschieden. Zwei Jahre später erkannte Großbritannien die amerikanische Unabhängigkeit an.
Von den insgesamt rund 19.000 hessischen Soldaten kehrte nur gut die Hälfte nach Deutschland zurück. Dagegen entschieden sich über 6.000, in Amerika zu bleiben. Die republikanische Luft schmeckte auch ihnen, und bald wurden aus Schwertern Pflugscharen, aus Söldnern Bauern und Handwerker, aus Junggesellen Ehemänner.
Im "alten" Europa hingegen wurden diese Tatsachen verdreht. Man behauptete, die Hessen seien in Amerika versklavt oder von Indianern skalpiert worden. Die Aufklärer ereiferten sich über den "Menschenhandel" und setzten die Legende in die Welt, die Männer seien unter Zwang von Familie und Heimat getrennt und als Kanonenfutter in die Neue Welt verschachert worden.
Kabale und Liebe
Der Theaterrevoluzzer Friedrich Schiller inszenierte diese Legende geschickt in seinem Trauerspiel "Kabale und Liebe". Dort erhält die Mätresse des Fürsten Schmuck zum Geschenk, der aus dem Erlös des Soldatenhandels gekauft wurde. Empört weist sie die Juwelen mit den Worten zurück: "Soll ich den Fluch seines Landes in meinen Haaren tragen?"
Bald wurde der hessische Soldatenhandel zum Inbegriff von Tyrannenwillkür - bis heute. Wahr ist jedoch: Die allermeisten der jungen Männer Hessens gingen freiwillig nach Amerika. Es war für sie ein gut bezahlter Job, womit sie auch ihre Familien unterstützen konnten. Im Todesfall hatten die Hinterbliebenen einen Rentenanspruch. Und die hessischen Truppen sollten laut Vertrag bevorzugt behandelt und nicht sinnlosen Gefahren ausgesetzt werden. Entsprechend desertierten in der ersten Phase des Kriegs gerade einmal 0,15 Prozent!
Doch die Legende schrieb sich fort. Sie passte gut ins bürgerliche Weltverständnis. Im Europa der Nationalstaaten wurden indes munter weiter Kriege geführt. Die Soldaten verkauften sich nun nicht mehr an den Mammon, sondern starben den Heldentod fürs Vaterland.