Es ist Mittag. Da zu dieser Zeit massenhaft Gäste ins Snow Palace Restaurant strömen, ist es die betriebsamste Zeit des Tages. Dank der Nähe zum Potala-Palast ist das zweistöckige Restaurant bei Touristen sehr beliebt. Bis zu 80 Gäste können dort gleichzeitig bewirtet werden. Der Mittfünfziger Migmar Tsering betreibt das Restaurant seit 15 Jahren gemeinsam mit seiner Frau Chunda.
Der erfahrene ausgebildete Koch Migmar Tsering empfiehlt den Gästen in gebrochenem Mandarin Gerichte, die sie bestellen sollten, wenn sie authentische tibetische Spezialitäten essen wollen:
„Ich schlage Ihnen vor, Tsampa, Buttertee, Chinesischen Raupenpilz und tibetisches Hühnchen zu probieren."
Statt für ausgefallene Gewürze oder kulinarische Vielfalt ist die tibetische Küche vor allem für gesunde Zutaten und einen hohen Kaloriengehalt bekannt, der die Menschen auf dem Hochplateau nährt. Basis der Gerichte bilden meist Milch- und Fleischprodukte.
1985 setzte die tibetische Lokalregierung sich für die Entwicklung des Tourismus ein. Deswegen bekam Migmar Tsering die Gelegenheit, bei einem ehemaligen Koch einer adeligen Familie die traditionelle tibetische Kochkunst zu erlernen.
Obwohl Migmar Tsering die traditionelle tibetische Kochkunst eigentlich weiterführen sollte, bemerkte er, dass sich viele Auswärtige nur schwer daran gewöhnen konnten. Um sein Restaurant erfolgreich zu führen und mehr Gäste anzuziehen, waren Veränderungen an den Gerichten unvermeidlich:
„Wir müssen einiges ändern, um mehr Gäste zufrieden stellen zu können. Früher war die tibetische Küche roh und fade, deshalb geben wir ihr jetzt ein bisschen mehr Geschmack."
Dies scheint bei den Gästen aus anderen Landesteilen gut anzukommen. Zhu Hong aus Shanghai verbringt gerade einen 10-tägigen Urlaub in Tibet. Sie war nach ihrem Besuch des Potala-Palastes im Restaurant:
„Das Essen hier gefällt mir sehr, denn die Gerichte sind nicht so fettig, wie ich gedacht hätte. Zudem hat man neben Fleisch auch andere Wahlmöglichkeiten. Und mir schmeckt der gebratene Reis mit Nüssen besonders gut."
Mit der zunehmenden Vielfalt der tibetischen Küche kann man sich nun auch vegetarisch ernähren. Die meisten Tibeter jedoch bleiben bei ihren traditionellen Fleischmahlzeiten.
Obwohl sich viele Han-Chinesen in Tibet niedergelassen haben, vor allem Migranten aus der benachbarten Provinz Sichuan, unterscheiden sich die tibetischen Speisen immer noch sehr von chinesischen.
Wang Jiaqiang, der Chefkoch des Restaurants, hatte seine Karriere als Koch in seiner Heimat Sichuan begonnen. Dann folgte der junge Mann Migmar Tsering nach Lhasa, um dort die tibetische Kochkunst von ihm zu lernen. Daher weiß Wang näheres über die Unterschiede zwischen den beiden Kochstilen:
„Jeder Kochstil hat seine eigenen Besonderheiten. Der größte Unterschied zwischen der Tibet- und der Sichuanküche liegt darin, dass die tibetische viel mehr unverarbeitete Gewürze wie z.B. getrocknete Zwiebeln enthält. Sie können den ursprünglichen Geschmack der Gerichte nicht überdecken, besonders wenn man Hammelfleisch kocht."
Dem Koch zufolge werden tibetische Gerichte normalerweise nicht gebraten, sondern eher gekocht oder geschmort. Daher verbleiben während der Zubereitung mehr Nährstoffe in den Speisen.
Mittlerweile kümmert sich Wang Jiaqiang um das Tagesgeschäft im Restaurant. Allerdings heißt das nicht, dass Migmar Tsering die Füße hochlegen kann. Er erledigt tagtäglich eine der wichtigsten Aufgaben: den Fleischkauf auf dem Markt:
„Wegen der besseren Qualität kaufen wir Hammel- und Yakfleisch nur von Weiden aus dem Bezirk Nagqu, auch wenn der Preis ein bisschen höher ist. Dort kostet ein Kilo Rindfleisch ungefähr 25 Yuan, also etwa 4 US-Dollar."
Migmar Tsering erzählt, dass manche Händler für Fleisch minderer Qualität den Preis für hochwertiges fordern und sogar Yakfleisch durch andere Fleischsorten ersetzen würden. Er jedoch kann aufgrund seiner langjährigen Erfahrung die Fleischqualität auf den ersten Blick beurteilen.
Es ist keine Übertreibung, dass die Qualität des Fleisches die Lebensgrundlage eines tibetischen Restaurants ist. Obwohl in den Gewächshäusern vor Ort immer mehr Gemüse angebaut wird, haben die Tibeter ihre Liebe zu herzhaften sättigenden Fleischgerichten, behalten.
Wenn Sie also gerne Fleisch essen, ist Tibet das Reiseziel Ihrer Wahl, auch wenn es dort viele andere Alternativen gibt.