Betritt man „Shamar Garbu", fallen einem zuerst die vielen unterschiedlichen Buddhafiguren ins Auge. Und gleich darauf ein Portrait an der Wand. Der kleine Laden gehört Ratna Kumar Tuladhar aus Nepal. Er verrät, was es mit dem Mann auf dem Bild auf sich hat:
„Das war mein Urgroßvater. Vor etwa 125 Jahren ist er von Nepal aus auf einem Pferd über den Himalaja nach China gekommen. Damals konnten die Einheimischen seinen Namen nicht aussprechen. Da man ihn immer mit einem weißen Hut sah, wurde er Shamar Garbu genannt, was ‚weißer Hut' bedeutet. So kam auch der Laden zu seinem Namen."
Vor der friedlichen Befreiung Tibets 1951 wurden wegen der schlechten Verkehrsbedingungen Waren aus Indien, Nepal und Bhutan auf Pferden nach Lhasa transportiert. Die Ausländer in der Barkhor-Straße waren fast ausschließlich Nepalesen. Das Innere des Ladens hat sich seit mehr als 100 Jahren kaum verändert. Aber die Warenvielfalt ist größer geworden:
„Der Laden gibt es seit 125 Jahren. Meine Vorgänger haben keine Buddhafiguren verkauft, sondern Lebensmittel und Kleidung. Früher hatten die Tibeter wenig zu essen. Deshalb brachte man Nahrungsmittel und Kleidung hierher. Manchmal standen die Einheimischen Schlange, um hier einzukaufen."
Tuladhar ist Ladenbesitzer in der vierten Generation. Hatten seine Vorgänger noch mit widrigen Verkehrsbedingungen zu kämpfen, so stellen diese heutzutage kein Problem mehr dar:
„Mein Vater und Großvater brachten die Waren noch auf Pferden von Kathmandu hierher. Es war mühsam. Die Reise dauerte ungefähr 25 Tage. Heutzutage ist der Verkehr besser. Von Lhasa nach Kathmandu braucht man nur noch 2 bis 3 Tage. Ich bringe chinesische Spezialitäten nach Nepal und umgekehrt auch nepalesische Waren nach China."
„Sharmar Garbu" befindet sich in einem konstanten Wandlungsprozess. Sein Geschäft hat Tuladhar den Veränderungen der Bedürfnisse der Einwohner angepasst. Er meint, „Sharmar Garbu" sei der erste Laden in der Barkhor-Straße, der Buddhafiguren verkauft. Die Figuren kämen aus den besten Fabriken Nepals und seien in Lhasa sehr gefragt:
„Es fehlt in Lhasa jetzt nicht mehr an Lebensmitteln oder Kleidung. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, Buddhafiguren zu verkaufen. Es ist der erste Laden dieser Art in der Barkhor-Straße."
In den vergangenen 60 Jahren hat sich die kleine Barkhor-Straße zum größten Marktplatz Tibets gemausert. Reisende sollten sie sich nicht entgehen lassen. Einige meinen sogar, ohne einen Besuch in der Barkhor-Straße sei man nicht richtig in Lhasa gewesen. Auf nicht einmal zwei Kilometern gibt es mehr als 1.400 Läden, deren Besitzer aus Nepal, Indien und weiteren Ländern kommen oder Angehörige verschiedener chinesischer Nationalitäten sind. Der kleine internationale Markt ist mittlerweile zu einem Wahrzeichen Lhasas geworden, fast so wie die Wangfujing in Beijing, oder die Nanjing-Straße in Shanghai.
In den vergangenen 100 Jahren war „Sharmar Garbu" Zeuge der Veränderungen in der Barkhor-Straße und in Lhasa. Und auch in Zukunft werden sich der kleine Laden und die anderen Geschäfte weiterentwickeln und verändern.