Marina saß auf ihrer harten Pritsche und sann nach über den vergangenen Tag und die grässliche Nacht. Hätte ich, wären wir, wenn doch nur... Natürlich wäre alles anders gekommen, wenn dieses und jenes nicht geschehen wäre. Ein Zitat aus der Rocky Horror Picture Show kreiste ständig in ihren Gedanken: If only the car hadn´t broken down...
Habe ich die Lage verschuldet, in der wir sind? Kann Robert etwas dafür? Robert! Wo ist er? Werden sie ihm glauben, holt er mich hier heraus? Es ist so eng hier, ich bin eingesperrt.
Trotz ihrer bleiernen Müdigkeit fand sie keinen Schlaf. Die Zelle war in helles Licht getaucht; wenn sie die Augen schloss, sah sie die zerfetzten Körper am Straßenrand, die rauchenden Trümmer, das böse Gesicht des Polizisten ihr gegenüber, die drohende Mündung der Waffe. Da hatten tote Kinder gelegen, sie sah die eine Leiche vor sich, der Arm abgetrennt, die blicklosen Augen weit aufgerissen, die veilchenblaue Schleife, die noch immer die buschige Haarpracht bändigte.
Marina übergab sich. Bitterer Geschmack blieb in ihrer Kehle zurück, hin und her, hin und her lief sie. Immer wieder krampfte sie sich zusammen, würgte, Schweiß rann über ihre Stirn in die Augen, sie brannten, gerötet, verweint.
Die Wände rückten näher, das bedrohliche Auge des Türspions durchleuchtete sie. Nackt, ausgeliefert, klein, zerbrochen fühlte sie sich. Sie schrie, sie weinte, sie würgte. Das T-Shirt war getränkt von ihrem Schweiß, ihre Knie gaben nach und sie sank wieder auf das metallene Bettgestell.
Marina machte sich so klein wie möglich, ihre bebenden Hände umschlossen die zitternden Knöchel. "Ich muss hier raus, bitte, hört mich doch, ich muss hier sofort raus", wimmerte sie. Der Kopf sank auf das Lager, das zerwühlte, nasse Haar ergoss sich über das graue Tuch der Wolldecke. Niemand kam, um sie zu befreien.