Als der Schlüssel im Schloss gedreht wurde, stand Robert auf. Jedes Mal war er aufgesprungen, wenn er auf dem Gang Schritte gehört hatte, nie hatten sie ihm gegolten. Aber nun stand Schöffler mit zwei Uniformierten vor ihm und bat ihn höflich, mitzukommen. Er sah übernächtigt aus, die hellen Augen hinter den Gläsern blickten müde.
"Wo ist meine Frau? Kann ich sie sehen?" rief Robert.
"Bitte folgen Sie mir, alles weitere werden wir später entscheiden."
Die Wanduhr klärte Robert auf, dass es 9 Uhr war. Er setzte sich wieder auf den Holzstuhl. Die Tür ging auf und eine Stimme sagte: "Jawohl, das ist Herr Rösch aus Berlin."
Erstaunt blickte Robert auf und erkannte seinen Nachbarn, einen pensionierten Staatsanwalt. "Guten Tag, Herr Rösch. Man hat mich in aller Frühe gebeten, hierher zu kommen, um Sie zu identifizieren. Wo ist ihre Gattin?"
"Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Es ist unglaublich, was wir erlebt haben. Marina ist -"
Fragend sah er Schöffler an. Der gab einem Polizisten einen Wink, die Beamten hatten noch immer Waffen in den Händen. Kurz darauf kam dieser mit Marina zurück. Robert schloss sie in die Arme, fest, als wolle er sie nie wieder loslassen. Sie war bleich, roch nach Erbrochenem und Schweiß und zitterte. Aber es störte ihn nicht.
"Ja, das ist Frau Rösch. Zweifelsfrei."
Auch Schöffler wirkte erleichtert. "Es tut mir aufrichtig leid, dass wir Sie in diese Unannehmlichkeiten verwickeln mussten. Aber sie schienen mit großer Wahrscheinlichkeit die Attentäter zu sein. Die Ähnlichkeit mit Frau Haube..."
"Darf ich jetzt hier raus? Bitte?" bat Marina.
Schöffler nickte freundlich. "Es kann sein, dass wir Sie nochmals als Zeugen brauchen. Aber jetzt können Sie in wenigen Minuten gehen. Ihr Wagen steht auf dem Hof, ich muss nur vorher noch den Beamten draußen..."
Sie hörte nicht mehr zu. Sie riss sich von Robert los und rannte aus dem Zimmer. Nur ein Gedanke beherrschte sie noch: Raus, raus, schnell raus aus den engen Mauern, raus!
Schöffler sprang auf und hastete hinter ihr her. "Halt!" schrie er, "Halt! Warten Sie, ich muss doch erst noch die Scharfschützen - mein Gott, warten Sie!" Seine Stimme überschlug sich.
Marina hörte nichts. Sie stürzte den Gang hinunter, riss die Türe auf, sprang in das gleißende Sonnenlicht, auf ihren Wagen zu.
"Nicht schießen!" schrie Schöfflers Stimme aus dem Flur. "Nicht -"
Gleichzeitig knallten zwei Schüsse durch den friedlichen Sonntagmorgen. Der Schütze auf dem Dach beobachtete zufrieden durch sein Zielfernrohr, wie sich Marinas Mund weit öffnete zu einem stummen Schrei, er sah den roten Fleck auf dem T-Shirt, der sich pulsierend rasch vergrößerte. Die Gerechtigkeit hatte gesiegt. "Eine Terroristin weniger," murmelte er, "gut so."