Nachdem ich unsere entzückende Horrortruppe bereits ein wenig vorgestellt habe, folgt nun der nächste Morgen in gebündelter, fast unerträglicher Vielfalt.
Es ist der Ostersonntag und nach dem "fantastischen, wirklich reichhaltigen" Frühstück geht es wieder ab in den Bus und wir fahren los in Richtung Versailles. Ich freue mich auf die Fahrt wie ein Schneekönig, denn ich kenne das Schloss und ich finde es einfach zu schön, um es nur einmal besichtigt zu haben.
Wir haben dann auch großes Glück, denn das Schloss wird in diesem Jahr zufällig nicht bestreikt (das machen die nur alle zwei Jahre zu Ostern), aber dafür wird dummerweise gerade ein Staatsempfang vorbereitet und eine Innenbesichtigung ist aus diesem Grunde leider nicht möglich. Wegen der Sicherheit und so, dafür hätten wir doch sicherlich Verständnis. So ein Pech aber auch.
Nun gut, dafür haben wir jetzt genügend Zeit, die wunderbaren Außenanlagen zu besichtigen und natürlich auch gebührend zu bewundern, denn dazu wären wir ansonsten wegen der Kürze der angesetzten Zeit leider nicht gekommen. Die Gärten von Versailles sind sicherlich sehenswert, aber leider ist der schönste Teil, die Orangerie noch im Winterquartier und daher nicht im Park zu bestaunen. Die Nächte sind einfach noch zu kühl und die wärmehungrigen Pflanzen würden den verfrühten Umzug sicherlich mehr als übel nehmen.
Was soll's, schlagen wir einfach den Weg zu den Trianons, den entzückenden Minischlösschen ein. So in etwa weiß ich, wo sie liegen müssten, also marschieren wir frisch und fröhlich los.
Ehrlich gesagt, nur in etwa weiß ich wo die Dinger sich verstecken, aber es ist ja schließlich Ostern und nach einigem Suchen, ich behaupte nach wie vor sehr zielstrebig gewesen zu sein, finden wir endlich das große Trianon. Durch den herrlichen, französischen Marmor ist es wunderschön anzuschauen und sogar mein Freund zeigt sich sehr angetan. Es gibt da nur einen Störfaktor über den ich mich nicht wenig ärgere, denn zu meinem großen Bedauern, möchte sagen, Entsetzen, dürfen jetzt in dem Park Autos fahren. Bei meinem letzten Besuch war das noch nicht der Fall und man konnte sich viel besser in die Zeit des Sonnenkönigs und seiner höfischen Gesellschaft hineinversetzen.
Nach einer Umrundung und, trotz Autolärms und Abgasen, anerkennender Bewunderung für die Architektur und die Handwerker machen wir uns auf den Weg, das kleine Trianon zu suchen, doch leider bin ich nicht in der Lage, den Weg dorthin auf Anhieb zu bestimmen, daher finden wir auch das Dörfchen der Marie-Antoinette nicht, welches "Hameau" heißt und was ich wirklich zutiefst bedauere, denn dieses Dörfchen finde ich ganz besonders reizvoll, ja ich kann sagen, ich finde es entzückend.
Auch wenn wir nicht finden, was wir suchen, hat unser Ausflug auch eine kleine pikante Note, denn unsere Reisegruppe folgt uns auf dem Fuße, was mich grinsen lässt, denn ich habe das Gefühl, unser Reiseleiter kennt sich ganz offensichtlich in dem großen Park auch nicht besser aus als ich, glaubt aber scheinbar, meine Wenigkeit wäre ortskundig. Ha, weit gefehlt, ich war in meinem Leben bisher auch erst einmal hier und das unter wirklich ortskundiger Führung.
Wir beschleunigen unser Tempo um einen ganzen Zacken, denn wir befürchten, die Gruppe könnte uns womöglich einholen und da legen wir nun ganz sicherlich keinen gesteigerten Wert drauf.
Plötzlich endet der von uns eingeschlagene Pfad im absoluten Nichts. Rechts geht es um ein Wohnhaus (21. Jahrhundert) auf eine Straße und links geht es mittenmang durch den Wald.
Wir entscheiden uns für links und spazieren durch den Wald. um zum Schloss zurückzukehren.
Erfreut stelle ich in diesem Augenblick fest, dass, dem lieben Gott sei es gedankt, unsere lieben Mitreisenden offensichtlich gemerkt haben, dass ich mich auch nicht besser auskenne, als unser Reiseleiter und die Gruppe wendet sich (beleidigt?) nach rechts, um auf die Straße zu gelangen. Wahrscheinlich haben die Angst, dass ich den Bus nicht wiederfinde.
Mittlerweile kommt sogar die Sonne aus dem Dunst hervorgekrabbelt und beim Schloss angekommen, ist richtig schönes Fotowetter. Ich habe die Filmkamera gezückt und spule, damals noch in hochwertiger Super 8 Qualität, einen Film nach dem anderen runter. Aber als es dann endlich etwas richtig putzig Filmreifes aufs Zelluloid zu bannen gibt, muss ich dussliges Luder blöde gaffen und vergesse glatt, den Knopf, welcher mein kleines technisches Wunderwerk in Gang setzt, zu betätigen.
Ein kleiner, drolliger, richtig wonnig wuscheliger Wauwau ist auf eine kleine Mauer gehüpft, hinter der eine exakt auf Mauerhöhe gestutzte Hecke wächst...
Der süße kleine Kerl, in Unkenntnis der tückischen Materie, glaubt, er könne auf der lebenden Mauer seinen Weg genauso fröhlich hopsend fortsetzen und versinkt völlig in dem Geäst, welches schon beim ersten Schrittchen ohne Gegenwehr reagiert und das Tierchen verschlingt. Fifi ist so verdutzt, dass er nur ein kleines, erschrockenes Wuff über seine winzigen Hundelippen bringt und dann verzweifelt mit seinen wunderschönen dunklen Hundeaugen um sich blickt, gerade so, als wolle er fragen: ‚Warum hilft mir denn keiner? Ich komme hier nicht mehr raus, meine Beinchen sind zu kurz und die doofen Äste zu lang und zu nachgiebig.'
Aber glücklicherweise ist sofort das Herrchen zu Stelle und unter allgemeinem Gelächter wird die arme kleine Kreatur aus ihrer misslichen Lage befreit.
Mann, das hätte sich doch wirklich gelohnt, gefilmt zu werden, keine Zentimeter Filmband wäre zu schade gewesen, eine Szene wie aus einem guten Drehbuch: Bewegung, echte Action. Und ich? Ich bin als Regisseur und als Kameramann, äh -frau, völlig ungeeignet. Könnte sein, dass ich genau deswegen nicht in die Filmbrache gegangen bin.
Ich muss wohl ein sehr enttauschtes Gesicht gemacht haben, denn der Hundebesitzer hat ganz offensichtlich bemerkt, welche Gedanken mir durch den Kopf gehen, er versucht seinen kleinen Wuschel noch einmal in die lebende Mauer zu locken, aber der kleine Kerl ist ja nicht doof, er hustet, Verzeihung, bellt uns was und macht, dass er von dieser merkwürdigen Abgrenzung wegkommt. Schade, mir bleibt es nur, mich ab und zu an diese lustige Szene zu erinnern und sie hier zu Papier zu bringen.
Pünktlich wie die Maurer am Lohntag sind wir auch alle wieder beim Bus. Alle? Nein, nur fast alle, denn wie immer fehlen wieder mal ein paar Leutchen. Und wer ist da wohl, auch wie immer, dabei? Na klar doch, unsere spanischen "Tourablaufregulierer". Die bestimmen und regulieren den Ablauf der Tour ganz nach ihrem Gutdünken und Wollen. Es ist zum Auswachsen, zumindest aber zum Haare raufen.
Den Nachmittag zur freien Verfügung verbringen wir damit, uns möglichst weit fern von unserer Gruppe zu halten und so viel wie möglich von innen zu betrachten.
Der Louvre bietet toller Weise sonntags freien Eintritt und auch viele andere Sehenswürdigkeiten bekommt man zum verbilligten Sonn- und Feiertagstarif. Das muss natürlich schamlos ausgenutzt werden, also ist nichts, aber auch rein gar nichts vor uns sicher.
Die Pflastertreterei macht müde und so setzen wir uns zum Ausruhen ein Weilchen vor die Notre Dame in die Sonne und beobachten das bunte Treiben vor unseren Augen. Diese Tätigkeit gehört normalerweise zu meinen favorisierten Lieblingsbeschäftigungen, denn darüber könnte man Bücher schreiben, aber heute habe ich irgendwie kein rechtes Sitzfleisch. Ich bin ganz unruhig, denn ich möchte noch so viel besichtigen, denn auch das ist eine meiner Lieblingstätigkeiten.
Es wird beratschlagt und wir dackeln schließlich über die Seine in Richtung Quartier Latin.
Bei der Ste. Chapelle ist uns die Schlange vor der Kasse entschieden zu lang und so verzichte ich blutenden Herzens (irgendwas besichtigen tue ich fast noch lieber, als Menschen beobachten), damit wir nicht den kompletten Rest des Tages vor einem Kassenhäuschen verbringen müssen.
Die Conciergerie ist irgendwie eine Enttäuschung. Es ist ein Riesengebäude, doch zu besichtigen ist fast nichts und dieses "fast nichts" auch noch ausschließlich mit Führung. Okay, ich will gerecht bleiben, an einer Führung ist an und für sich nichts auszusetzen, da bekommt man wenigstens noch etwas geschichtlichen Hintergrund zu den Sehenswürdigkeiten für sein Geld geliefert. Aber das Schöne an der Führung durch das "fast nichts" in der Conciergerie ist, dass sie ausschließlich auf Französisch gehalten wird. Mist, ich verstehe kein Wort und frage mich mal wieder, wofür ich mich in der Schule all die Jahre mit dieser so schwierigen Sprache abgemüht habe.
Nur gut, dass ich mein schlaues Buch von einem für Reiseführer bekannten Verlag dabei habe. So kann ich wenigstens nachlesen, was ich glaube wissen zu müssen. Hin und wieder verstehe ich dann sogar mal einen Fetzen von dem, was der Führer da so brabbelt.
Seine Sätze klingen so fremdartig, um nicht zu sagen, sein ganzes Französisch klingt so merkwürdig in meinen Ohren, dass ich schließlich entnervt zu meiner besseren Hälfte sage: "Ich bin auf einmal blöd geworden, ich verstehe nicht mal mehr Bahnhof." Hans grinst und klärt mich darüber auf, dass der gute Mann Gonzales heißt, aus Spanien zu kommen scheint und daher mit einem so scheußlichen spanischen Akzent spricht, das dieser sogar die eigentlich hier sprachkundigen Franzosen schier zur Verzweiflung bringt.
Hach wie gut, dass ich so einen schlauen Freund habe. Ich hätte sonst glatt mein Vertrauen in mich ganz und gar verloren.
Wir betreten einen riesigen Raum mit überdimensionalen Kaminen. Ich meine etwas von "cuisine" zu verstehen und tippe mal auf die Küche des gastlichen Hauses. Richtig, hier in meinem schlauen Büchlein steht es. Wir sind in der Küche, in der für Hunderte von Personen gekocht worden ist. Aha, deswegen die großen Kamine und Abzüge.
Wir stolpern weiter, es ist dunkel, der Mann vorne brabbelt, ich verstehe, wie die meisten anderen auch, kein Wort, aber wir folgen dem Mann brav. (Wie mir geht es den meisten der Besuchergruppe, die nicht nur aus Franzosen und uns Deutschen besteht, sondern zum größten Teil aus Engländern, die verständnisloser als verständnislos sind.)
Wir bekommen noch ein paar makabere Räume gezeigt, ich verstehe irgendwas von Friseur, Henker und Schafott, kann mir in etwa denken , was gemeint ist, bin aber aufgrund der vorherrschenden Dunkelheit nicht in der Lage irgendwas mitzulesen oder nachzuschlagen.
Ich versuche ans Fenster zu gelangen, um vielleicht einen winzigen Lichtstrahl zu erhaschen, damit ich wenigstens wieder ein bisschen was nachlesen kann, aber dieser Versuch wird durch ein paar Riesen vereitelt, die mir im Wege stehen und sich nicht rücken und rühren. Stimmt nicht ganz, einer rührt sich doch und steigt auf meinen armen Fuß mit seinen mindestens zehn Zentnern Lebendgewicht. Ich habe das Gefühl, mein großer Zeh ist ab und aus Rache trete ich gegen das nächstbeste Schienbein, welches mir gerade in die Quere kommt. Ich weiß nicht, wer der Besitzer dieses Schienbeins ist, aber das ist mir auch vollkommen egal. Mein Zeh schwillt auf alle Fälle ganz enorm an und der Schuh ist mir schon zu klein bevor wir die dustere Zelle verlassen haben, also humple ich hinter der Gruppe her und fluche auf das Trampeltier, welches sein Schlachtgewicht schon vor Jahren weit überschritten hatte.
Wir gelangen nun durch eine Miniaturtür in die Kerkerzelle der Marie-Antoinette. Schicke Eigentumswohnung! Kerkerzellen waren seinerzeit nämlich ein Privileg der Reichen und Schönen. Die Dinger mussten gekauft werden und waren ganz bestimmt nicht billig. Wer übrigens kein Geld hatte für so ein nettes Teil, der wurde zusammen mit Hunderten anderer Gefangener, schuldig oder unschuldig, draußen auf dem Flur angekettet.
Durch die Zelle hindurch geht es in die Kapelle. Dieser Durchgang war zu Zeiten der Marie-Antoinette allerdings noch nicht da, wie überhaupt die Zelle zu jener Zeit ganz anders gewesen ist. Vielleicht lag sie ja auch in einem ganz anderen Trakt des Gebäudes, wer kann das heute schon noch genau nachkontrollieren. Erzählen können die einem ja viel.
In der Kapelle ist ein kleines Museum eingerichtet. Es gibt dort Briefe der Gefangenen, Todesurteile, Urkunden und anderes Papier aus längst vergangenen Zeiten zu sehen. Übrigens, wer sich wundert, warum dieses Papier so gut erhalten ist, im Gegensatz zu Schriftstücken aus neuerer Zeit, der sollte wissen, dass früher zur Papierherstellung Leinen verwandt wurde und dass, je holzhaltiger Papier ist, es anfälliger für den Zerfall ist. Wieso und warum habe ich schon wieder vergessen, denn obwohl ich ja gar nicht gefragt hatte, hatte der Kleiderschrank, Besitzer des ansehnlichen Schlachtgewichts und Verursacher meiner Schmerzen im dicken Onkel, wohl gemeint sich endlich auch mal wichtig tun zu müssen und hat mich, nachdem mein Zeh wahrscheinlich so schön weich war, als Opfer seiner Wissensfülle auserkoren, um mir auf Halbdeutsch und Ganzholländisch irgendwas von Leinen und Holzsäure ins Ohr blasen zu müssen.
Auch die Originaltür zur Zelle der unglückseligen Königin Marie-Antoinette, damals noch im Besitz ihres Hauptes, gibt es hier zu besichtigen. Eigentümlich, das Teil sieht aus, wie eine stinknormale Tür. Was um Himmels Willen habe ich mir eigentlich unter einer Zellentür vorgestellt? Armdicke Gitter, wie in einem miesen Western?
In dem Raum ist es ein klein wenig heller als in den anderen Räumen, da die diversen Objekte von direkten und indirekten Funzeln an- und ausgeleuchtet werden. Ich ziehe wieder meinen Reiseführer zu Rate, bevor mich mein neuer niederländischer Freund wieder mit Beschlag belegt und mit irgendwas zutextet, von dem ich die Hälfte akzentmäßig sowieso nicht verstehe.
Aha, das interessanteste Objekt in dieser Kammer ist das Fallbeil der Guillotine, so steht es zumindest in meinem kleinen Büchlein. Ich recke den Hals und schaue mich suchend um, vermeide dabei aber jeglichen Blickkontakt mit Leuten, die in ihrem Heimatland eine Königin ihr Eigen nennen. Verflixt, wo ist das Ding? Endlich entdecke ich etwas und bin enttäuscht. Es gibt lediglich eine verrostete Klinge zu sehen. Keine auch nur annähernde Ähnlichkeit mit einer Guillotine, ja nicht mal ein kleines Miniguillotinchen gibt es zu sehen. Lediglich ein großes Stück Blech bietet sich dem Betrachter dar, welches anscheinend mehr durch die Wucht des Falls als durch seine Schärfe den Kopf vom Rumpf zu trennen vermocht hat. Nur mit viel Phantasie, mit wirklich sehr viel Phantasie vermag ich mir vorzustellen, wie diese "Konstruktion des Schreckens" einmal ausgesehen hat.
Mir bleibt allerdings wenig Zeit zum Überlegen und Simulieren, den wir werden, das die nächste Gruppe schon ungeduldig hinter uns wartet, auf den Innenhof gescheucht, wie man es eigentlich nur mit Hühnern zu machen pflegt. Hinter mir drängt sich das Fünfzentnerhuhn holländischer Herkunft durch die Lücke und ich dränge mich schutzsuchend an meinen Freund, der nur verwundert die Augenbrauen hochzieht und mich anschaut, als wäre ich auf einmal ein Kotelett, nämlich ein bisschen bekloppt. Ich gehe wieder einen halben Schritt auf Distanz und merke erleichtert, dass sich mein Zehenquäler entfernt hat, um interessiert ein Unkraut zu betrachten, welches sich mühsam durch eine Ritze zwischen zwei Steinen gezwängt hat.
Nach einigem Suchen fällt mein Blick endlich auf einen Brunnen, an dem die gefangenen Frauen vor, während oder nach einem Spaziergang, so unser stammelnder Führer Gonzales, ihre Morgentoilette erledigen konnten.
In einer Ecke des Hofes versperrt ein Gitter den Weg. Unser spanisch murmelnder Führer hat schon vor geraumer Zeit irgendwas zu dem Gitter gesagt, was ich aber irgendwie akustisch nicht so richtig verstanden habe.
Aber wozu hat man denn mal in grauer Vorzeit lesen gelernt? Ich ziehe wieder meinen schlauen Reiseführer zu Rate und diesem entnehme ich, dass hinter diesem Gitter die jeweils zwölf nächsten Todeskandidaten eingepfercht wurden, um Gelegenheit zum Abschied von Ihren Frauen zu haben.
Ich stehe ehrfurchtsvoll vor den Stäben und male mir unter Grauen aus, wie viele, meeresfüllende Tränen an diesem Tor wohl geflossen sein mögen, schließlich hatten die Menschen damals genau die gleichen Gefühle, wie wir heute, Angst um die Liebsten, Angst vor Schmerzen und vor allen Dingen, Angst vor dem Tod. Keine angenehmen Gedanken. Ich wende mich schaudernd ab und trete ein paar Schritte beiseite. Merkwürdig, das Gitter berührt mich erheblich mehr, als das Fallbeil, welches den Menschen den Tod und den Familien das Verderben gebracht hat.
Es folgen noch ein paar warme Worte in schlechtem französisch, die ich leider genau nicht besser verstehe, wie alles andere, was Gonzales bisher geradebrecht hat und wir sind entlassen.
Ich blicke an dem Gebäude hoch und bin, ehrlich gesagt, enttäuscht. Ich hatte mir wirklich mehr versprochen. Schade, aber was soll's, alle anderen Besucher bekommen auch nicht mehr zu sehen.
Wie im Flug ist der Nachmittag vergangen, von unserer Reisegruppe haben wir, Gott sei es von Herzen gedankt, niemanden getroffen und so ganz langsam stellt sich der Hunger ein. Wir suchen uns wieder ein schnuckeliges Restaurant und beginnen ausgiebigst zu speisen.
Und da die Franzosen esstechnisch nicht solche Fressbeutel sind, wie wir Deutschen, sondern eine Abendmahlzeit zu einer genussvollen Zeremonie zu machen verstehen, sind wir abendfüllend beschäftigt.
Was dann folgt, ist, wie schon den Abend zuvor, eine "wahrlich kurze" Fahrt mit der Metro in den entlegendsten Außenbezirk, eine viertelstündige Wanderung und schließlich erreichen unsere kaputten Füße mit Mühe und Not das Hotel.
Wir sind zwar auf der einen Seite hundemüde, aber auf der anderen Seite nach den vielen Eindrücken viel zu aufgekratzt, um direkt ins Bett gehen und schlafen zu können, also lassen wir uns an die Hotelbar fallen. Das heißt wir lassen uns nicht direkt fallen, denn der erste Weg meines Freundes führt ihn an die Rezeption, wo mein Freund versucht, etwas Geld zu wechseln, weil wir vollkommen blank sind. (Für die Jüngeren der Leser: In grauer Vorzeit gab es einmal ein Tauschmittel in Schein- und Münzenform, welches in jedem europäischen Land einen anderen Namen hatte und somit natürlich auch unterschiedliche Werte. Wir hatten die gute Deutsche Mark, die Franzosen ihren heißgeliebten Franc, lang, lang ist's her und leider wird der gute Euro, an den wir uns mühsam zu gewöhnen versuchen auch immer mehr durch kleine Kärtchen aus Plastik ersetzt, was mich im Supermarkt immer wieder mit Freude erfüllt, wenn die Schlange mal wieder ganz besonders lang ist und sicherlich ein oder zwei Kandidaten vor mir ihre Waren im Wert von zwei, drei Euro und ein paar Cent mit Plastik bezahlten müssen. Ausgerechnet sind das auch immer noch die schreibtechnisch unbegabtesten Menschen, denn bis die ihre Unterschrift auf den Kassenzettel gesetzt haben, hat meine Ware meistens schon Schimmel angesetzt.) Also, harte D-Mark haben wir noch genug im Portemonnaie, doch an netten Franc mangelt es uns auch noch nach dem Abstecher an die Rezeption, denn die Mademoiselle dort lächelte nur freundlich, schüttelte den Kopf und murmelte etwas von "Zimmerrechnung". Hans versuchte noch, ihr klar zu machen, dass wir mit der Kölner Reisegruppe gekommen seien und wahrscheinlich gar keine Rechnung bekämen, doch das beeindruckt Mademoiselle wenig und wir ziehen unverrichteter Dinge ab. Uns wäre es lieber gewesen, wenn wir Bargeld in die Pfötchen bekommen hätten, aber nun gut, was soll's.
Nachdem wir uns gemütlich eine Kleinigkeit inhaliert haben, Absacker nennt man das wohl im Fachjargon der verkappten Kenner des Nachtlebens, haben wir die nötige Bettschwere erreicht und begeben uns, ohne auch nur das geringste von unseren lieben Mitreisenden zu sehen und zu hören, in unser Zimmer.
Ich bin gerade im Bad, als es an der Zimmertüre klopft. Wort- und Gestenreich erfährt mein Freund, dass Pauschaltouristen selbstverständlich keinen Kredit an der Bar haben und genau so Wort- und Gestenreich versucht mein Freund dem guten Mann klar zu machen, dass er sich das schon vorher gedacht habe, die junge Dame an der Rezeption aber nicht willens gewesen sei, uns unseren Schein einzuwechseln, dass es uns aber durchaus sehr recht sei, wenn wir unsere Zeche sofort bezahlen können. War der Vorfall dem Hotelangestellten schon vorher sichtlich peinlich, wirkt er jetzt, nach dieser Erklärung, wie ein gedemütigter Hund und ununterbrochen Entschuldigungen murmelnd verschwindet er mit unserem Hunderter, um ihn einzuwechseln.
Bis er zurückkommt, malen wir uns, kichernd und in den buntesten Farben schillernd, aus, welche schlechten Erfahrungen man in diesem Etablissement wohl schon mit Pauschaltouristen gemacht hat.
Als der Angestellte schließlich mit den nach Abzug unserer Schulden übrig gebliebenen Franc erscheint, ist er sichtlich erleichtert, das er uns nicht stinksauer antrifft, sondern im Gegenteil statt eines Tritts in sein allerwertestes Hinterteil sogar noch ein kleines Trinkgeld kassieren darf.
Wir sind nicht sauer, ganz und gar nicht, das genaue Gegenteil ist der Fall, mein Freund ist nämlich absolut obenauf. "Da kannst du mal wieder sehen, warum ich gegen den Pauschaltourismus bin. Da scheint ja wirklich ein Volks mitzufahren, unter aller Kanone. Das reinste Rattenpack, sonst würden die sich hier sicher nicht so anstellen und noch am gleichen Abend erscheinen, sondern bis zum nächsten Morgen beim Frühstück warten!" Und bei dem Wort Rattenpack hat er einen Blick in den Augen, als hätte er sogar ganz bestimmte Leute im Sinn.
Na ja, gut, so ganz unrecht mag er ja sicher nicht haben, der allerfeinsten Gesellschaft gehören die Leute, die sich mit fünfzig bis sechzig anderen Personen in einen Bus werfen, um billig "Urlaub" zu machen, hinterher angeberisch sagen zu können: "Wir waren zu Ostern in Paris!", sicherlich nicht an, aber nichts desto Trotz finde ich die Situation umwerfend komisch und male mir noch einmal aus, wie so mancher Bierverwöhnte deutsche Pauschaltourist sich nach dem siebten oder achten Glas Rotwein an nichts mehr erinnert, schon gar nicht daran, dass er noch eine kleine Rechnung offen hat.
Der letzte Tag ist angebrochen und wir begeben uns im Gebüng mit den anderen aus Köln angereisten Wochenendpauschalisten zu unserem mehr als kargen Frühstück.
Mein Freund ist allerbester Laune, er grinst, summt vor sich hin und nur ich weiß, warum, denn mittlerweile kenne ich ihn gut genug, um zu wissen, dass er manchmal zu einer ein wenig sadistischen Ader neigt, wenn er jemanden nicht sonderlich gut leiden kann und aus dieser Gruppe kann er kaum jemanden sonderlich gut leiden.
Bekanntermaßen, ich erwähnte es bereits eingangs meiner kleinen Erinnerung, handelte es sich ja um eine Osterreise, die wir, wie sicherlich die meisten anderen auch, wegen des verlängerten Wochenendes, zwecks Ersparnis von Urlaubstagen, wohlüberlegt gebucht hatten. Und weil Ostern ja bekanntlich in unserem Kulturkreis ein hoher kirchlicher Feiertag ist, beschert er uns doch ein ganz besonders langes Wochenende, hat jeder Teilnehmer der Fahrt schon zu Beginn der Reise als besonderes Präsent ein bunt gefärbtes Hühnerei erhalten. Busreisen, auch das habe ich schon beschrieben, machen bekanntlich ganz besonders hungrig, denn unsere lieben Mitreisenden hatten allesamt ihre Eierchen, weil die mitgebrachten Fressbeutel wohl nicht gefüllt genug gewesen waren, sofort nach Erhalt noch im Bus aufgefressen, als hätten sie vor der Reise Tage lang Hunger leiden müssen.
Wir beide aber waren gut gesättigt von zu Hause losgefahren und haben unsere österlichen Hühnerprodukte aufbewahren können. Daher ist meine bessere Hälfte also in der Lage, demonstrativ das Ei auf den Tisch zu stellen (Ei des Kolumbus, klopf, klopf), um es dann vor den Augen der neidischen Masse mit ganz besonderem Vergnügen und sehr genüsslich zu verspeisen. Unser fieser Charakter beobachtete mit ungeschminktem Vergnügen die bis auf die Schuhsohlen hängenden Zungen und den Sabber, der aus den halbgeöffneten Mäulern tropfte, in denen heute ein leider recht pappiges Baguette verschwinden musste.
Um 10 Uhr endlich stehen wir gestiefelt und gespornt, mit unserem kompletten Gepäck am Bus. Wir warten bis fast alle Mitreisenden, natürlich fast alle denn unsere ewigen Zuspätkommer sind natürlich noch nicht da, ihr Gepäck verstaut haben und stopfen unsere Taschen greifbar obenauf.
Nun folgt der schwierigste Teil des Vormittags. Wir müssen unseren Reiseleiter belatschern, dass er für uns einen kleinen Zwischenstopp einlegt, weil wir gerne schon ein Stück vor dem eigentlichen Ankunftsziel aussteigen möchten.
Der gute Mann schüttelt bedenklich den Kopf, erzählt uns irgendwas von Haltestellenmonopol der städtischen Verkehrsbetriebe und einem Prozess, den das Reiseunternehmen erst vor kurzem verloren hat.
Haltestelle? Ich höre immer nur Haltestelle. Wir wollen doch gar nicht an einer Haltestelle aussteigen, wir wollen doch schon auf der Autobahn, an einer Raststätte raus und da zieht meines Wissens auch ein noch so schön konstruiertes Haltestellenmonopol nicht.
Vorsichtig, um den jungen Mann nicht zu verärgern, setze ich meine Gedanken in wohlbedachte Worte um und da er darauf nichts zu erwidern weiß, kippt er seine Bedenken, wenn auch nur sehr zögerlich, über Bord. "Das wird aber sicherlich eine ziemliche Meuterei geben, andere haben mich nämlich auch schon danach gefragt und da habe ich es abgelehnt."
"Wollten die denn auch schon bei einer Pipipause aussteigen?" will ich nun neugierig geworden, wissen.
Da muss der Typ dann doch grinsen und schüttelt verneinend den Kopf. "Nö, ganz im Gegenteil, die wollen bis vor die Haustür gebracht werden, so nach dem Motto: Ist doch gar kein richtiger Umweg."
"Na sehen Sie," beruhige ich ihn, "dann können Sie, sollte einer meckern, immer noch sagen, dass es mir schlecht geworden sei und ich nähere Bekanntschaft mit einer Kloschüssel schließen wolle, aber niemand gewillt sei, auf mich zu warten."
Er holt tief Luft, schüttelt nur den Kopf und deutet wortlos auf die Tür, weil auch unsere spanischen Trödler endlich eingetrudelt sind.
Den Vormittag verbringen wir auf dem Montmartre. Herrlich, endlich genügend Zeit, wenn auch immer in Sichtweite der Gruppe, die uns aber in Anbetracht der gezählten Stunden nicht mehr weiter stört. Wir versuchen aber trotzdem so schnell wie nur möglich möglichst viel Raum zwischen uns und die anderen zu bringen und stellen dabei mit einem bedenklichen Blick gen Himmel fest, dass es schwer nach Regen aussieht und wir uns wohl mit dem Fotografieren beeilen müssen. Im Moment lacht zwar noch ganz wundervoll die Sonne vom Himmel, aber es scheint sich von allen Seiten her schwarz zuzuziehen.
Ich dränge meinen Freund: "Komm, gib Gummi! Sacre Coeur müssen wir noch auf Film bannen und die sieht nun mal bei Sonnenschein am allerschönsten aus."
Nach dem Fototermin begeben wir uns in das Innere der Kirche. Dort wird gerade eine Messe abgehalten und ich verstehe natürlich mal wieder kleine Silbe, obwohl mein Freund steif und fest behauptet, der Priester würde ab und zu sogar ein wenig Latein sprechen.
Ich muss grinsen, denn hin und wieder bimmelt der gute Mann mit einem Glöckchen, wie ich es nur aus der guten Stube meiner Eltern von Weihnachten her kenne.
Ich bin stehen geblieben, um dem Ritus, der mich sehr fasziniert andächtig zu lauschen. So etwas kenne ich aus der Kirche gar nicht, ich bin nämlich von der anderen Partei.
Meine bessere Hälfte versucht nun umständlich, wort- und gestenreich, mir zu erklären, was es mit der Bimmelei auf sich hat, aber ehrlich gesagt, es war letzten Endes dann doch nicht so interessant und ich habe seine Erklärungen längst schon wieder vergessen.
Als wir wieder draußen stehen und an dem imposanten Gebäude emporschauen, fällt mir auf, dass oben im Dom Menschen zu sehen sind. Ich wusste bisher überhaupt nicht, dass man Sacre Coeur auch von oben besichtigen kann, aber jetzt weiß ich das und jetzt muss ich natürlich auch unbedingt nach oben. Mein Freund wiegt den Kopf. "Na, weißt Du. Ich habe keine Ahnung, wie man nach dort oben gelangt."
Er hat recht, das ist die zentrale Frage für meine geplante Unternehmung: Wo bitte geht es hier nach oben. Ich zermartere mir mein Hirn, irgendwas war im Inneren der Kirche, aber was um Himmels willen war das? Plötzlich fällt es mir wieder ein, ich erinnere mich daran, dass ich an irgendeiner Ecke eine Menschenschlange gesehen hatte und mich noch fragte, weshalb die wohl so brav anstehen.
Wir also wieder rein ins Gotteshaus, die Schlange gesucht, angestellt, endlich an ein Kassenhäuschen gelangt und rasch ein paar Franc durch das Guckloch geschoben.
Endlich können wir mit dem Aufstieg beginnen. Es geht immer rundherum und wir sind schon ganz aus der Puste, als wir endlich an einer kleinen Pforte stehen, durch die wir das Treppenhaus verlassen müssen. Wir treten hindurch und ... stehen im Freien. Einfach fantastisch, wirklich grandios. Unter uns Paris, über uns der Dom, zu dem wir noch hoch wollen. Dien weißen Steine der Sacre Coeur leuchten in der Sonne und alles in mir scheint diese Leuchten zu teilen. Weil sich hinter uns eine ungeduldige Schlange zu bilden beginnt, setzen wir unseren Weg über die in den Stein gehauenen Stufen "auf" der Kirche fort. Es ist wirklich überwältigend, eine Architektur zum Verlieben! Ich weiß gar nicht was ich vor lauter Freude und Ehrfurcht sagen soll, also halte ich ausnahmsweise mal die Klappe und genieße nur einfach das wundervolle Gefühl einer ganz besonderen Freiheit.
Plötzlich stehen wir wieder vor einer kleinen Tür, durch die wir hindurch müssen und nach der Passage stehen wir hoch über dem Altar und sehen die kleinen Menschen unter uns, die teils andächtig der Messe lauschen, teils das Innere der Kirche bewundern. Wir folgen dem Pfeil, öffnen wieder eine kleine schwarze Tür und wollen den weiteren Aufstieg wagen, doch dies scheint ein unmögliches Unterfangen zu sein, denn auf der viel zu engen Treppe kommt uns ein wahres Heer von Menschen entgegen. Mir wird es Angst und Bange bei dem Gedanken, diese schmale Wendeltreppe bei "Gegenverkehr" wieder hinabsteigen zu müssen und am liebsten würde ich den Ausflug abbrechen und unten bleiben. Aber wie das oftmals so ist im Leben, kneifen gilt nicht und das insbesondere deshalb, weil ich es ja war, die unbedingt die Kletterpartie unternehmen wollte.
Oben angekommen, haben wir eine ganz wundervolle Aussicht, wirklich traumhaft, fast unwirklich schön. Ich komme heute noch ins Schwärmen, wenn ich an die in der Sonne unter mir glänzende Stadt und den weiten Blick ins Umland von Paris denke.
Ich suche einige markante Punkte und freue mich, dass ich sie auch auf Anhieb entdecke.
Ich filme und filme und filme was die Kamera hergibt. Ich muss schon den x-ten Film einlegen. Endlich bin ich mindestens einmal rund und wir genießen noch eine Weile die herrliche Aussicht, dann heißt es "Abstieg" und mir wird es heiß und kalt bei dem grässlichen Gedanken, den ich bisher ganz weit von mir geschoben habe. Ich hole ganz tief Luft und will schon den Weg in die Richtung einschlagen, in der die meisten Besucher das Dach wieder verlassen, da fällt mein Blick auf ein Schild, welches mein Herz ganz schnell wieder höher schlagen lässt. Andererseits lässt es meinen Glauben in die Intelligenz meiner lieben Mitmenschen, egal welcher Rasse, Hautfarbe oder Nationalität tiefer sinken, denn es zeigt mir unverhohlen, dass es mehr Menschen gibt, die nicht lesen können, als man es allgemein hin glaubt.
Auf dem Schild steht groß und klar lesbar "Sortie", was immer noch so viel heißt, wie Ausgang.
Ganz ohne Gegenverkehr kommen wir schließlich wieder unten an und ich atme tief ein. Das ist ja vielleicht eine großartige Architektur. Schon alleine um derentwillen lohnt es sich den Aufstieg zu wagen, nicht nur alleine wegen der zu erwartenden großartigen Aussicht.
Bis zur endgültigen Abfahrt unseres Busses in Richtung Köln haben wir nun immer noch ein paart Stündchen Zeit und spazieren gemütlich zum Place du Tertre. Dort herrscht ein ganz enormes Treiben und das nicht nur wegen des herrlichen Wetters und des bunten Bildes mit den vielen Straßencafes. In jedem Schaufenster gibt es Bilder aller Stilrichtungen zu bewundern und auch zu kaufen. Und überall laufen Maler mit großen Skizzenblöcken herum, die die Touristen ansprechen, weil sie sich hier ihr Kunststudium und auch das dazugehörige kärgliche Leben finanzieren müssen und wollen. Immer wieder heißt es "Portrait Madame?" - "Portrait Monsieur?" Und mit dieser Frage bekommt man eine Skizze unter die Nase gehalten mit der eindrucksvoll das Können des Malers unter Beweis gestellt werden soll.
Die meisten der so angesprochenen schütteln den Kopf: "No, merci!" Mir tut es in der Seele weh, dass auch ich ein ablehnendes "No, merci!" murmeln muss, denn zum Teil werden wirklich fabelhafte Zeichnungen angefertigt. Aber leider ist die uns verbleibende Zeit jetzt doch nur noch knapp bemessen und wir wollen weder den Maler noch uns Zeitdruck setzen und ich denke, ‚Das nächste Mal!'
"Wo gehen wir essen?" Na klar, meine bessere Hälfte hat aber auch nichts anderes im Sinn. Hätte ich mich auch malen lassen können. Ich will keinen Streit und schlage vor, dass wir und wein wenig von der Sacre Coeur entfernen und den Montmartre hinabsteigen.
Stufe um Stufe entfernen wir und von der in der Sonne hell leuchtenden, weißen Kirche.
Wir wandern am Fuße des Montmartre von Restaurant zu Restaurant, von Brasserie zu Brasserie. Die meisten der Läden sind geschlossen und bei denen, die geöffnet haben, erscheinen uns die auf den ausgehangenen Speisekarten angegebenen Preise genau nicht weniger gepfeffert, wie bei den Lokalen am Place du Tertre.
Also steigen wir mal wieder Stufen. Der heutige Tag scheint nur aus Stufen zu bestehen. Ich fange langsam an zu japsen. Komisch, runter war mir die Anzahl der Tritte gar nicht so hoch vorgekommen, wie jetzt nach oben. Merkwürdiges Phänomen, dass es viel anstrengender ist, eine Treppe hochzusteigen, als runterzulaufen. Hinzu kommt, dass die Sonne jetzt mit einer solchen Macht vom Himmel brennt, dass einem unweigerlich der Schweiß aus allen Poren tritt. (Pah, und vor ein paar Stunden haben wir uns mit unseren doofen Fotos noch so beeilt, weil es doch fies nach Regen ausgesehen hat.)
Endlich wieder oben am Place du Tertre angelangt, machen wir uns auf die erneute Wanderung von Speisekarte zu Speisekarte. Wir entscheiden uns für Salat (der liegt nicht so schwer im Magen) und steuern das "erste Haus am Platze" an. (Wenn schon, denn schon!)
Der Salat ist ausgezeichnet, die Rechnung auch. Und im übrigen, ich bin vom auch nur annähernd gesättigt sein noch meilenweit entfernt.
Wir verlassen die gastliche Stätte und ohne Hans zu fragen steuere ich eine Crêperie an. "Un avec Gran Marnier!" Fragend schaue ich meine bessere Hälfte an, doch der schüttelt den Kopf, er kann den pappigen Dingern nichts abgewinnen. Ich nehme meine Rolle in Empfang und beiße hinein. Hm, schmeckt gar nicht mal so gut, habe schon wesentlich bessere verspiesen, aber der Hunger treibt's rein.
Doch leider, auch nach diesem etwas zweifelhaften Hochgenuss bleibe ich hungrig. Kein Gefühl einer auch nur annähernden Sättigung will sich einstellen. Ob ich einen Bandwurm mit durchfüttern muss?
Meinem Freund geht es da auch nicht besser, er ist nicht minder hungrig wie ich und meint, der Salat sei was wie in den Magen gespuckt gewesen.
Er schaut sich um, deutet mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf einen Laden, denn er nun seinerseits ohne zu fragen ansteuert und schon beim Anblick der ausgestellten Baguette läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Wir erstehen für jeden noch rasch zwei Riesensandwichs (aha, verfressen, doch Bandwurm), einmal mit "fromage" und einmal "mixed", lecker!
Ein Blick auf die Uhr lässt uns erkennen,. Dass es allerhöchste Zeit ist, loszusprinten und wir wetzen, unsere belegten Brote unter dem Arm Richtung Bus. Das fehlte uns gerade noch, dass ausgerechnet jetzt alle anderen pünktlich sind und nur wir kommen zu spät.
Aber von wegen, wir sind noch längst nicht die letzten.
Während der Wartezeit auf unsere "ewigen Bummler", denen es auch jetzt nicht einfällt mal rechtzeitig zu erscheinen, amüsieren wir uns über einen Franzosen schwarzafrikanischer Herkunft (anders darf man es heute ja mit Rücksicht auf diverse Befindlichkeiten nicht mehr nennen), der versucht, seine absolut minderwertigen Lederwaren, wahrscheinlich ostasiatischer Herkunft, teuer an den Mann beziehungsweise an die Frau zu bringen.
Endlich, endlich sind alle, auch unsere spanische Möchtegernelite eingetrudelt und es heißt endgültig "Paris, adieu!" und schon geht es, mit nur etwas über halbstündiger! Verspätung ab in Richtung Heimat. Schade, ich hätte es, zwar ohne Busbegleitung, sicherlich noch eine Weile an der Seine ausgehalten.
Wir mümmeln, unter den neidischen Blicken der um uns Herumsitzenden, unsere leckeren Sandwichs, dann versuchen wir zu schlafen. Allen scheint das recht gut zu gelingen, wie ich an den diversen Schnarchgeräuschen in meiner Umgebung deutlich vernehmen kann, nur mir nicht. Ich war noch nie in der Lage, im Bus zu schlafen, was aber nicht heißen soll, dass ich kein Vertrauen in die Fahrkünste der jeweiligen Busfahrer hatte.
Schließlich nähern wir uns, nach zwei kurzen Pipistopps der deutschen Grenze.
Hier geht es nun leider, wie es aussieht, gar nicht mehr weiter. Das ist eher ungewöhnlich, denn selbst damals waren die Grenzkontrollen eher weniger streng.
Unser Busfahrer schlängelt sich mit seinem Riesenmonstrum von Fahrzeug bis fast ganz nach vorne durch, doch auch so sind wir nicht wesentlich schneller. Ein Bus an dem wir vorbeifahren wirkt, als beherberge er einen vollkommen aufgelösten Ameisenhaufen. Die Menschen scheinen vollkommen aufgescheucht und panisch, was auch kein Wunder ist, wie wir bald erfahren werden.
Ein Mann kommt winkend auf unseren Bus zugerannt und seufzend öffnet der Fahrer die Beifahrertür. Der aufgeregte Mann schnaubt und redet dann auf unseren Monsieur Reiseleiter ein.
Nun erfahren wir auch den Grund der Unruhe in dem anderen Bus.
"In dem Bus an dem wir gerade eben vorbeigefahren sind, hat jemand einen schweren Herzanfall erlitten. Ist vielleicht ein Arzt unter Ihnen?"
Ratlose, teilweise sogar betroffene Gesichter, wohin ich blicke. Ich gehe im Geiste meine Liste der Mitreisenden durch, da springt doch tatsächlich einer auf und zwar ausgerechnet der junge Mann, der aussieht, als sei er ein demo-geübter Student der Sozialwissenschaften und meldet sich als angehender Mediziner. Dä, Student stimmt zwar, aber ansonsten kann ich mich wohl doch nicht auf meine Menschenkenntnis verlassen.
Die beiden Männer verschwinden aus unserem Blickfeld , doch nur um wenig später wieder auf der Szene zu erscheinen, weil mittlerweile auch der Rettungswagen eingetroffen ist.
Der Rest der Reise verläuft dafür dann ganz ruhig und sehr friedlich, denn fast alle sind tief und fest eingeschlummert.
Kurz hinter Düren, eigentlich schon in Höhe Kerpen, lässt der Reiseleiter sein Kätzchen aus dem Sack und kündigt den lieben Mitreisenden an, dass ein junges Ehepaar schon in Frechen an der Raststätte aussteigen wird. Gespannt spitze ich die Ohren, denn ich bin auf die empörten Reaktionen der anderen Businsassen gespannt, staune dann aber doch, wie geschickt der junge Mann unseren Ausstieg den anderen verkauft. Kein einziger kommt auf die Idee, zu meutern, sondern jeder ärgert sich nur über die Verwaltung (wie immer) und ein sogenanntes "Haltestellenprivileg".
In Frechen verlassen wir den Bus, bekommen noch rasch unser Gepäck und ein kurzes Winken mit auf den Weg, dann seufzt mein Freund: "Gott sei Dank, das wäre überstanden. Also wirklich, nie wieder als Pauschaltourist, das kannst Du mir echt glauben!"
Ich kann schon wieder schmunzeln, denn von dem Bus sind nicht mal mehr die Rücklichter zu sehen und denke nur: ‚Na, mal sehen!'
Mir hat es nämlich eigentlich ganz gut gefallen und vielleicht überrede ich ihn ja doch irgendwann noch einmal.