Eigentlich gehöre ich nicht zu den Menschen, die abwehrend die Hände erheben, wenn die Rede auf Gruppenreisen kommt. Ich habe nämlich vor einigen Jahren mit einer kleineren Gesellschaft eine solche Reise gemacht und war angenehm überrascht. Also habe ich meinen Freund dieses Jahr mit viel Geduld überreden können, sich ebenfalls mal für ein paar Tage "pauschal" zu erwärmen. Die Osterfeiertage bieten sich geradezu glänzend für unser Vorhaben an, mit wenigen Urlaubstagen kann man schon eine Menge Urlaub "am Stück" bekommen.
Also rein in die Reisebüros, Prospekte geentert und dann im heimischen Wohnzimmer gewälzt. Die Auswahl ist verwirrend, die Versprechungen wohlklingend. Wir entscheiden uns schließlich für "4 Tage Paris" mit einem renommierten Busreiseunternehmen. "Unsere langjährige Erfahrung", "gute, ausgewählte Hotels" und der "Komfort bereits während der Fahrt (Getränke können im Bus gekauft werden, Toilette vorhanden, vollklimatisiert)", die Versprechungen klingen verheißungsvoll und sogar mein Freund scheint auf einmal ganz angetan. Die Buchung klappt dann auch ganz tadellos und sogar eine Raucher- und eine Nichtraucherzone werden im Bus angeboten. Schweren Herzens entscheide ich mich, meinem Freund zuliebe, für Raucherzone und vertraue heimlich auf die Klimatisation, die hoffentlich für genügend frische Luft in meiner Nahumgebung, nämlich in meinem Einatembereich sorgen wird.
Morgens um Sieben ist die Welt noch in Ordnung, so heißt es doch immer, außerdem heißt es für uns, dass es um diese Zeit losgehen soll, unser Abenteuer Paris.
Die Busse knubbeln sich an der Abfahrtstelle. "Berlin", London", "Kopenhagen", "7 Tage Mittelalter", "Ski in Tirol" und ähnlich lauten die Reiseziele.
Die Busse Nr. 1, 2, 3 nach Paris sind auch schon da, nur unser Bus, Wagen Nr. 4 fehlt leider noch.
Es ist bitter kalt und wir frieren uns mit unseren anderen Leidensgenossen der Ankunft des Busses entgegen.
Unser Reiseleiter gibt sich endlich, kurz nach 7 Uhr zu erkennen und wenig später erscheint dann auch endlich der Bus in der Ferne. Ein Gedrängel beginnt, schlimmer wie vor einem Schulbus und ich frage mich, ob sich erwachsene Menschen nicht ein wenig gesitteter benehmen können. Es ist fast so, als müsse man sich beeilen, noch einen Sitzplatz zu ergattern, aber das ist doch von vorneherein schon unnötig, denn immerhin gibt es einen Sitzplan und auf diesem ist jeder einzelne Fahrgast bereits einem Sitzplatz zugeordnet.
Zwanzig Minuten nach 7 Uhr rollt der Bus dann auch endlich an. Die Koffer befinden sich unten im Stauraum und ich denke über das Einladen des Gepäcks nach. Es ist wirklich enorm, mit wie viel Umzugsgut sich so mancher unserer Mitreisenden auf eine 4-tägige Wochenendreise begibt. Im Fahrgastraum des Busses selbst gibt es ebenfalls viel zu wenige Gepäckablagen für alle Mäntel,. Kosmetikkoffer, Bordcases und Fresstüten.
Genau über unseren Sitzen liegt im Stauraum ein kurzhaariger Pelzmantel. Ich taxiere ihn sofort auf unecht, knautsche ihn noch ein wenig zusammen, überlege, warum eine so junge Frau sich für so ein so hässliches Tier entscheidet, (ich glaube nämlich, wohl wegen der räumlichen Nähe, der Mantel gehöre der jungen Frau eine Reihe vor uns) und stopfe meine Jacke in die Gepäckablage zu dem Wischmop.
Mittlerweile hat auch mein Freund sich aus seinem Anorak gepellt und ich versuche auch diesen noch im Gepäcknetz unterzubringen, was sich allerdings als äußerst schwieriges Unterfangen erweist, da der Kurzhaarflokati doch um einiges voluminöser ist, als er aussieht. Ich werde ärgerlich und dadurch unsanft und gebrauche schließlich Gewalt.
Plötzlich springt der Mann hinter uns, der bisher über zwei Sitzen gelümmelt hat, auf, greift nach dem hässlichen Mantelteil und murmelt: "Ich denke, ich lege meinen Mantel hier auf den Sitz, der ist ja noch frei und wenn ich das richtig im Kopf habe, wird er auch nicht besetzt. Dann haben Sie ein wenig mehr Platz." Klar, ist ja auch ein blöder Platz, letzte Reihe in der Mitte.
Ich bekomme einen roten Kopf, bedanke mich, obwohl mir auf der Zunge liegt, dass ‚Mann' da ja auch schon früher hätte drauf kommen können und ärgere mich doch ein wenig über mich selbst. Ich hätte den Mantel eigentlich gar nicht so grässlich misshandeln brauchen, aber andererseits haben wir jetzt endlich ein wenig Platz für unsere Jacken, nämlich genau den, der uns zusteht, genau über unsren Köpfen.
Mittlerweile sind wir schon ein Stück die Aachener Straße entlanggefahren und das Paar hinter uns in der letzten Reihe, zu dem Mantelbesitzer gehört noch eine Frau, die vom Aussehen her den Geschmack hinsichtlich der Bekleidung voll bestätigt, beginnt sich zu unterhalten.
Die Frau macht ein paar Bemerkungen, die ich gar nicht hören möchte, deren Qualität es mir aber kalt den Rücken herablaufen lassen und sich mir die Frage aufdrängt: Wie ist es nur möglich, dass einer alleine so dumm sein kann. Aber nein, mit fällt eine Steinlawine vom Herzen, die Bemerkungen, die ‚Mann' als Erwiderung darauf von sich gibt, sind genau so dämlich und damit sind also schon zwei so dumm. Geht ja gar nicht anders, einer allein kann so doof wirklich nicht sein.
Mein Freund hat ebenfalls ungewollt mitgehört und verdreht nunmehr auch schon die Augen.
Die Fahrt geht auf die Autobahn, der Reiseleiter meldet sich zu Wort, erstmalig übrigens. Er stellt sich vor, gibt Erklärungen zum Bus, aha, wir haben immer Doppelsitze, - toll, das haben ja sogar schon die Geistesriesen hinter uns auf der Rückbank festgestellt, denn sie sind die einzigen, die ihren ganzen Prill großzügig verteilen können - und erklärt voller Stolz, dass wir auch ein stilles Örtchen dabei haben.
Ein "Oh, das ist doch gar nicht möglich, das gibt es doch gar nicht, ich kann auch gar keines entdecken!" ist die Reaktion von hinten. Gnädigste dreht sich sogar um und schaut aus dem Fenster. Ob die Gute tatsächlich glaubt, an dem Bus wäre ein Klo-Anhänger angebracht? Mir krampft sich der Magen und ich deute wortlos auf eine kleine Tür, an der groß und deutlich Waldcapellchen geschrieben steht. Das heißt, es steht natürlich nur WC drauf, aber was das heißt, weiß heute doch schon jedes Kind, auch wenn es sonst noch gar nicht lesen kann..
Ich schaue wieder nach vorne und mein Blick bleibt an dem Mann in der Reihe vor uns, älteres Semester, unscheinbar mit Brille und ebenso unscheinbarer Gattin, hängen. Der Typ dreht schon seit der Abfahrt an der Lüftung, probiert sämtliche Knöpfe (es sind nur zwei vorhanden, nämlich für jeden Sitz ein Lichtschalter) und versucht sogar, die Lämpchen auszuschrauben. Weiß der Himmel, was er sich unter dem "Knopf" für eine Funktion ausmalt, vielleicht denkt er, das sei die Dusche? Ich bin erleichtert, dass der hochmoderne Bus nicht über eine individuell einstellbare Klimaanlage verfügt. Ich male mir aus, wie ich in einem von dem Typen auf mich gerichteten Kältestrom zu den zwei Gehirnakrobaten auf die letzte Bank geblasen werde und erschauere.
Unser Reiseleiter ist zwischenzeitlich mit seiner kurzen Einführung fertig und sammelt die Reisegutschein ein. "Den gelben Zettel, nur den gelben, oberen Zettel bitte!" Na gut, meinetwegen, denn soll er doch gerne haben, dagegen ist schließlich nichts einzuwenden.
Hinter der belgischen Grenze haben wir Gelegenheit, zu frühstücken. Das Gasthaus, in dem schon alles für uns vorbereitet ist, wirkt gemütlich, doch da sich der Herdentrieb des Menschen bei derartigen Gelegenheiten immer besonders schnell deutlich macht, werden wir wie eine Hammelherde in den Gastraum gescheucht und fühlen uns in der Gruppe immer unwohler, insbesondere, da die ersten plumpen Annäherungsversuche unternommen werden. "Ach, fahren Sie auch nach Paris?" Aber ja doch, welch ein Zufall, Steht sogar vorne am Bus dran.
Wir trinken nur ganz schnell eine Tasse Kaffee und verdrücken uns noch viel schneller. (Übrigens macht es ein anderes junges Paar genauso wie wir.)
Die Fahrt geht weiter durch die Vogesen. Es beginnt zu schneien, was Frau Holle aus Ihren Wolken nur herausgeschüttelt bekommt. Wahrscheinlich ist der Guten ein Kissen geplatzt und sie hat es noch gar nicht bemerkt. Schönes Osterwetter! Genau richtig für eine Städtetour, da würde man doch am liebsten sofort wieder umkehren, um daheim gemütlich auf dem Sofa Platz zu nehmen, die Heizung hochzudrehen und lecker zur Tasse Kaffee ein dickes Stück Kuchen zu verdrücken. Aber kneifen gilt nicht und geht auch irgendwie überhaupt nicht so richtig, also bleibt uns nichts anderes übrig und jeder auf seinem Platz um der Dinge zu harren, die da noch kommen sollen und sicherlich auch werden.
Im Verlauf der Fahrt gibt unser Herr Reiseleiter