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Der kluge Kadi

时间:2023-11-29来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Kadi
Es gab einmal einen großen König. Dieser legte eines Tages sein Haupt auf das Sterbebett, ließ seine drei Söhne allein zu sich kommen und sprach zu ihnen: „In den und den Winkel meines Palastes habe ich eine Schachtel voll kostbarer Edelsteine hingesetzt; wenn ich gestorben sein werde, so nehmt sie hervor und teilt sie unter euch!“ Nachdem der König noch drei Tage gelegen hatte, empfahl er am vierten Tage seine Seele Gott. Während man nun für den König die Leichenfeierlichkeiten veranstaltete, ging einer von den Söhnen und nahm jene Schachtel mit den kostbaren Edelsteinen heimlich für sich weg. Als nach einiger Zeit alle drei die Schachtel von ihrem Orte hinwegnehmen wollten, fanden sie dieselbe nicht mehr vor. Deshalb entstand unter ihnen Streit, welcher solange währte, bis sie endlich vor den Kadi traten und diesem das Sachverhältnis auseinandersetzten. Der Kadi, von dem Hergange der Sache belehrt, sprach zu ihnen die Worte: „Zuvörderst will ich euch eine Geschichte erzählen — hört darauf — und dann eure Streitsache entscheiden.“ Sie erwiderten: „Geruhe nur anzufangen.“ Der Kadi sprach: „Es liebten sich einmal in früherer Zeit ein Jüngling und ein Mädchen. Das Mädchen hatte aber einen anderen jungen Mann zum Bräutigam. Der in dieses Mädchen verliebte erstere junge Mann hörte nicht auf in einem fort zu seufzen und zu schluchzen. ‚In [294]jener Nacht,‘ sprach er, ‚wo du das Hochzeitsbett besteigen wirst, — was wird da aus mir werden?‘ Das Mädchen erwiderte: ‚Ich werde in jener Nacht niemandem eher die Hand geben, als ich mich vorher mit dir zusammengefunden habe!‘ Dies versprach sie ihm. Als nun in der Nacht der Heimführung die junge Frau mit ihrem Manne allein war, erzählte sie ihm, was für ein Versprechen sie jenem Jünglinge gegeben habe, und erbat sich von ihrem Manne die Erlaubnis, zu ihm hinzugehen. Der Gemahl erwiderte: ‚Mache dich auf und gehe!‘ Die junge Frau ging in aller Stille hinaus und traf unterwegs einen Dieb. Als dieser sah, daß sie eine hübsche und liebenswürdige Frau sei, die unter ihren Zeitgenossinnen nicht ihres Gleichen habe und sich Hals und Ohr reich mit Goldperlen behangen hatte, umarmte er sie wie ein Lamm, das in die Gewalt eines hungrigen Wolfes geraten ist. Er fragte die junge Frau: ‚Wer und was bist du?‘ Sie erzählte ihm ihre Geschichte von Anfang bis zu Ende. Als der Dieb diese gehört hatte, sprach er: ‚Jetzt ist es Zeit, sich als Ehrenmann zu zeigen, auch ich will dir nichts tun — wohlan, komm, ich will dich zu deinem Geliebten bringen!‘ Mit diesen Worten nahm er sie bei der Hand, brachte sie an die Tür ihres Geliebten und sprach: ‚Bis du wieder herauskommst, will ich hier stehen bleiben.‘ Als die junge Frau bei ihrem Geliebten eintrat, traf sie den Jüngling an und sprach: ‚Siehe, ich habe dir hiermit mein Versprechen erfüllt.‘ Dieser sprach: ‚Bei Gott, welche ritterliche Gesinnung hat dein Gemahl jetzt gegen mich an den Tag gelegt, daß er dich zu mir geschickt! Ich würde sie ihm schlecht vergelten, wenn ich jetzt noch nach dir die Hand ausstrecken wollte! Stehe auf und kehre zu deinem rechtmäßigen Ehegatten zurück.‘ Mit diesen Worten schickte er die junge Frau zurück. Diese stand auch sogleich wieder auf und ging hinaus, wo sie der Dieb wieder bei der Hand nahm und ihrem rechtmäßigen Ehegatten zurückbrachte. Er selbst aber ging seines Weges.“ — Der Kadi sprach: „Sagt nun, ihr Prinzen, welchen von [295]diesen dreien, d. h. den Gemahl, den Geliebten oder den Dieb, haltet ihr für den größten Ehrenmann?“ Der eine von ihnen erwiderte: „Meiner Ansicht nach dürfte der Gemahl der größte Ehrenmann sein.“ Der zweite erwiderte: „Der Geliebte dürfte es sein“, und der dritte meinte: „Der Dieb.“
 
Als der Kadi diese Antworten der Prinzen gehört hatte, sprach er zu demjenigen von ihnen, welcher gemeint hatte, daß der Dieb der größte Ehrenmann sei, die Worte: „Du hast wahr und richtig gesprochen. — Du hast dir die Schachtel mit den kostbaren Edelsteinen genommen; also gib sie her, denn der Geliebte hilft dem Geliebten, der Biedere dem Biederen und der Dieb dem Diebe!“
 
Der Prinz, welcher seiner Tat überführt war, brachte beschämt die Schachtel mit den Edelsteinen und gab sie hin. 
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