„Nein, nicht ich, du bist zu Gevatter gebeten,“ sagte Frau Reinwald. „Ich?“ rief Gretchen in höchstem Erstaunen, „ich, Patin? Und bei Lenes herziger Kleinen? O Mutter, das ist zu schön!“ und im Übermaß der Freude umarmte sie ihre Mutter und frug halb im Scherz und doch halb im Ernst: „Bist du nicht neidisch auf mich?“ „Fast,“ sagte Frau Reinwald freundlich, „aber nun gib doch auch deinem Herrn Gevatter ordentlich Antwort auf seine Anfrage!“ „Ist bereits nicht mehr nötig,“ entgegnete der Kutscher; „soviel habe ich schon heraus, daß es Fräulein Gretchen gern tut.“ „O freilich, und wie gern!“ rief Gretchen; „ich kann’s gar nicht erwarten, bis ich mein Patenkind sehe. Wie soll’s denn heißen?“ „Wenn’s Ihnen recht ist, so möchten wir’s halt auch Gretchen heißen.“ „Ach, das wird ja immer netter; meinen Namen soll die Kleine bekommen!“ „Das ist fast zu viel Ehre für eine so junge Patin wie du,“ sagte Frau Reinwald; „am Ende haben Sie noch eine ältere Patin, die es übel nimmt.“
„Wir haben weiter keine Patin, nur einen Paten! Lene meint, er werde Fräulein Gretchen schon recht sein, nämlich der Hofkutscher Plitt.“ „Den kenne ich ja schon, das wird wunderschön! Wann soll denn die Taufe sein?“
„Wir haben noch nicht mit dem Pfarrer gesprochen.“
„Welcher Pfarrer ist’s?“ fragte Gretchen begierig; „am Ende unser Pfarrer Kern?“
„Ich kann’s nicht sagen. Herr Pfarrer Kern gehört schon auch in unsern Distrikt, aber die Herren wechseln ab mit den Taufen, und da weiß man nicht so, wer die Woche hat.“
„Das kann ich erfragen, und nicht wahr, dann richten wir’s doch so ein, daß die Taufe ist, wenn unser Pfarrer die Woche hat?“
„Wenn’s halt nicht gar zu lang dauert. Ich kann’s nicht leiden, so alte Täuflinge, die fast schon dreinschwätzen.“
„Gleich morgen frage ich und bringe der Lene Antwort,“ rief Gretchen ganz im Eifer.
Der Kutscher empfahl sich. Zu seiner Frau daheim sagte er: „Ungern genug bin ich mit meiner Bitte in ein so vornehmes Haus gegangen, aber jetzt ist mir’s recht, daß ich droben war. Wie hätte ich das auch denken können, daß sich das Fräulein so über die Patensache freut!“
„Ich hab’ dir’s doch vorher gesagt!“
Am nächsten Morgen ging Gretchen frühzeitig in die Schule. Sie wartete im Vorplatz des ersten Stocks auf Pfarrer Kern, der in der zweiten Klasse Unterricht geben sollte. Nach und nach kamen all die Schülerinnen dieser Klasse an ihr vorbei, als eine der letzten auch Ruth Holland. Diese war sichtlich erfreut, als sie Gretchen da traf, und grüßte herzlich.