Wie zur Bestätigung dieser Gedanken trat ihr daheim Franziska mit den Worten entgegen: „Der Schuhmacher hat die Stiefelchen geschickt, sie sind hochfein, im Zimmer stehen sie.“ Nein, es war zu spät, um zu verzichten. Sie wollte die Eltern gar nicht um die Erlaubnis bitten, ihre Mutter würde es nur betrüben, wenn sie hörte, was Brauns gesagt hatten. Sie wollte nicht auch der Mutter noch die Freude verderben, diesen Kummer wollte sie vor ihr verbergen.
Der Kinder Geplauder brachte sie über die nächste Stunde weg, aber nun mußten die Kleinen zu Bett, und dann kam der Vater zum Abendessen, sonst eine gemütliche Stunde, auf die sie sich aber heute fürchtete, denn es mußte die Rede auf das Fest kommen, und sie sollte davon sprechen wie früher und dachte doch ganz anders darüber.
Das Essen ging vorüber, Gretchen fühlte sich immer mehr bedrückt, sie war so gar nicht gewohnt, vor den Eltern ihre Empfindungen zu verschweigen. Eine Weile nach dem Essen zog Herr Reinwald seine Taschenuhr und sagte: „Ich habe heute noch einen Ausgang vor, auf neun Uhr habe ich mich mit einigen Herren zu einer Besprechung verabredet, Herr Braun ist auch dabei.“
„Herr Braun!“ rief Gretchen, und auf einmal wurde der gute Vorsatz, zu schweigen, umgestoßen. „O Vater, Herr Braun ist so unglücklich, daß Hermine nicht zum Fest darf, und Frau Braun auch und alle Kinder, und sie meinen, Hermine werde es als altes Mütterchen noch nicht verschmerzt haben. Hätte ich das doch früher gewußt, dann hätte ich gesagt, sie soll statt meiner gehen, es wäre mir ja viel, viel lieber, denn ich kann mich gar nicht mehr darauf freuen, aber gelt, jetzt ist es viel zu spät?“ Mit ängstlicher Spannung sah Gretchen auf den Vater. Und dieser?
Ganz ruhig wandte er sich zu seiner Frau und sagte: „Siehst du, es kommt ihr noch in der elften Stunde! Sie wäre ja nicht dein Kind, wenn sie nicht so dächte!“ Und dann wandte er sich wieder zu Gretchen und sprach: „Du hast ganz recht, laß du nur Hermine Braun als Erste gelten.“ Gretchen war über alle Maßen von dieser Antwort überrascht. Frau Reinwald sah es ihr an. „Du bist ganz erstaunt, nicht wahr. Der Vater und ich haben uns schon lange gewundert, daß du nicht daran denkst, zu Gunsten von Hermine zu verzichten; aber wir wollten dich nicht bestimmen, so ein Verzicht muß ganz freiwillig sein.“
„Ich habe ja bis heute nachmittag gar keine Ahnung davon gehabt, daß Brauns es so schwer nehmen, haben sie es denn euch gesagt?“
„Nein, aber wir kennen ja die Familie und wissen, daß ihnen so etwas viel wichtiger ist als uns.“
„O wie bin ich so froh,“ jubelte Gretchen, „ich hätte gar nicht gedacht, daß ihr es jetzt noch erlaubt.“
„Praktischer wäre es allerdings gewesen, wenn sich dein Edelmut etwas früher gemeldet hätte,“ sagte Herr Reinwald, „wie wollt ihr das nun einrichten mit eurer Schneiderin?“
„Brauns müßten eben den Kleiderstoff mitsamt der Schneiderin gleich morgen übernehmen, sie täten es natürlich auch gerne, wenn sie es nur schon wüßten.“
„Also dann mach dich rasch fertig, Gretchen,“ sagte Herr Reinwald, „ich begleite dich hin, und du bringst dort die ganze Sache in Ordnung. Geht das?“
„Das geht, aber wer begleitet sie heim?“
„O da sorge dich nicht, Mutter, da begleiten mich alle sechs Kinder heim, wenn ich will; oder ich schlafe bei Hermine, das wäre noch lustiger; o laß mich dort schlafen, Mutter, bitte, sage ja, zum Ersatz, weil ich nicht zum Fest darf!“