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17 Die alte Bauernfrau

时间:2020-09-04来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Bauernfrau
Donnerstag, 14. April
 
Drei müde Wanderer waren spät am Abend noch unterwegs und suchten sich eine Nachtherberge. Sie befanden sich in einer armen einsamen Gegend des nördlichen Smålands, und doch hätte sich ein solches Ruheplätzchen, wie sie es wünschten, eigentlich finden lassen müssen, denn es waren keine verwöhnten Schwächlinge, die nach weichen Betten oder wohleingerichteten Zimmern fragten.
 
„Wenn nur einer von diesen langen Bergrücken einen so steilen, hohen Gipfel hätte, daß ein Fuchs an keiner Seite hinaufklettern könnte, dann hätten wir einen guten Schlafplatz!“ sagte einer von ihnen.
 
„Wenn ein einziges von den großen Mooren aufgefroren und so weich und naß wäre, daß sich ein Fuchs nicht darauf hinauswagte, dann wäre das auch ein recht guter Nachtaufenthalt,“ sagte der zweite.
 
„Wenn nur an einem der zugefrorenen Seen, an denen wir vorbeikamen, das Eis vom Ufer ganz losgelöst wäre, so daß kein Fuchs vom Lande aus hinüber gelangen könnte, dann hätten wir das, was wir suchen,“ sagte der dritte.
 
Das Schlimmste aber war, daß zwei von den Reisenden nach Sonnenuntergang furchtbar schläfrig wurden und sich kaum noch aufrecht halten konnten. Deshalb wurde der dritte, der auch nachts wachen konnte, bei der zunehmenden Dunkelheit mit jedem Augenblick unruhiger. „Es ist doch wirklich ein Unglück,“ dachte er. „Nun sind wir in ein Land geraten, wo die Seen und Moore mit Eis bedeckt daliegen, so daß der Fuchs überall hinübergelangen kann. An andern Orten ist das Eis ganz geschmolzen; aber jetzt sind wir wohl in dem kältesten Småland, wo der Frühling seinen Einzug noch nicht gehalten hat. Ich weiß nicht, was ich tun soll, um einen guten Schlafplatz ausfindig zu machen. Wenn ich nicht einen Ort erreiche, wo wir wohlbeschützt sind, fällt Smirre über uns her, ehe der Morgen anbricht.“
 
Er sah sich nach allen Seiten um; aber nirgends fand sich ein Platz, der ihm passend erschienen wäre. Ach, und es war ein trüber kalter Abend mit Wind und Sprühregen! Immer unheimlicher und unbehaglicher wurde es ringsum.
 
Es mag einem sonderbar vorkommen, aber die Reisenden schienen ganz und gar keine Lust zu haben, in irgend einem Hof um Obdach zu bitten. Sie waren [140] schon an vielen Kirchspielen vorübergekommen, ohne an einer einzigen Tür anzuklopfen. Selbst die kleinen Schutzhütten am Waldesrand, bei deren Anblick alle armen Wanderer freudig aufatmen, schienen ihnen nicht zu gefallen. Man hätte sich schließlich versucht fühlen können, zu sagen, es geschehe ihnen ganz recht, wenn sie in Not seien, da sie ja die Hilfe, die ihnen geboten werde, nicht annehmen wollten.
 
Als es aber endlich so dunkel geworden war, daß kaum noch ein heller Streifen am Himmel zu sehen war, und die beiden, die sich des Schlafes nicht erwehren konnten, im Halbschlummer weiter wanderten, kamen sie an einen Bauernhof, der fern von allen andern Höfen ganz einsam dalag. Und er lag nicht allein einsam da, sondern sah auch aus, als sei er vollständig unbewohnt. Aus dem Schornstein stieg kein Rauch auf, aus den Fenstern drang kein Lichtschein heraus, kein Mensch war auf dem Hofplatze zu sehen. Als nun der eine, der sich auch nachts wach halten konnte, den Hof sah, dachte er: „Nun mag es gehen, wie es will, aber hier müssen wir hineinzukommen versuchen. Etwas Besseres finden wir wahrscheinlich doch nicht.“
 
Gleich darauf standen alle drei auf dem Hofplatze. Die beiden Schläfrigen schliefen wirklich ein, sobald sie anhielten, der dritte aber spähte eifrig umher, um herauszufinden, wo sie am besten unterkommen könnten. Der Hof war durchaus nicht klein; außer dem Wohngebäude, dem Pferde- und Viehstall, war noch eine lange Reihe von andern Wirtschaftsgebäuden, Scheunen, Lagerräumen und Geräteschuppen zu sehen. Aber alles sah schrecklich ärmlich und heruntergekommen aus; die Häuser hatten graue, moosbewachsene, schiefe Mauern, die einzufallen drohten. Die Dächer zeigten gähnende Löcher, und die Türen hingen schräg in ihren zerbrochenen Angeln. Offenbar hatte sich seit langer Zeit niemand mehr die Mühe gegeben, hier auch nur einen Nagel einzuschlagen.
 
Indessen aber hatte der von den Reisenden, der wach war, ausfindig gemacht, welches von den Gebäuden der Viehstall sein mußte. Er rüttelte die beiden andern auf und führte sie zu der Stalltür hin. Glücklicherweise war sie nur mit einem Haken zugemacht, den man mit einem Stecken leicht zurückschieben konnte. In dem Gedanken, daß sie nun bald alle in Sicherheit seien, stieß der Anführer der drei Wanderer einen Seufzer der Erleichterung aus; als aber die Stalltür laut knarrend aufging, hörte er plötzlich eine Kuh brüllen. „Kommt Ihr nun endlich, Mutter?“ sagte die Kuh. „Ich glaubte schon, Ihr würdet mir heute gar kein Futter bringen.“
 
Als er merkte, daß der Stall nicht leer war, blieb der wache Wanderer ganz erschrocken in der Tür stehen. Doch bald faßte er wieder Mut, denn er sah, daß nur eine Kuh und drei oder vier Hühner da waren.
 
„Wir sind drei arme Reisende, die eine Nachtherberge suchen, wo uns kein Fuchs überfallen und kein Mensch fangen kann,“ sagte er. „Wir möchten wohl wissen, ob dies ein guter Platz für uns wäre.“
 
„Das glaube ich gewiß,“ antwortete die Kuh. „Die Wände sind zwar schlecht, aber bis jetzt ist noch nie ein Fuchs hereingedrungen, und auf dem Hofe [141] wohnt niemand als eine alte Frau, die gewiß nicht imstande ist, jemand zu fangen. Aber was seid ihr für Leute?“ fuhr sie fort und drehte den Kopf, um die Eingetretenen sehen zu können.
 
„Ach, ich bin Nils Holgersson aus Westvemmenhög, der in ein Wichtelmännchen verwandelt worden ist,“ antwortete der erste der Reisenden. „Ich habe eine zahme Gans bei mir, auf der ich gewöhnlich reite, und außerdem auch noch eine Graugans.“
 
„So liebe Gäste sind noch nie innerhalb meiner vier Wände gewesen,“ sagte die Kuh. „Ich heiße euch willkommen, obgleich ich fast noch lieber gesehen hätte, wenn meine Hausmutter mit meinem Nachtessen gekommen wäre.“
 
Der Junge geleitete nun die Gänse in den recht großen Stall hinein und brachte sie in einem leeren Stand unter, wo sie auch gleich wieder einschliefen.
 
Sich selbst machte er ein kleines Häufchen Stroh zurecht und dachte nicht anders, als daß er auch gleich einschlafen werde.
 
Aber daraus wurde nichts, denn die arme Kuh, die kein Futter bekommen hatte, verhielt sich keinen Augenblick ruhig. Sie rasselte mit ihrer Halskette, drehte sich in ihrem Stande hin und her und klagte, wie hungrig sie sei. Der Junge konnte kein Auge schließen; wachend lag er auf seinem Häuflein Stroh und dachte an alles, was er in den letzten Tagen erlebt hatte. Da war zuerst das unerwartete Zusammentreffen mit dem Gänsemädchen Åsa und Klein-Mats, und er grübelte darüber nach, ob wohl die kleine Hütte in Småland, die er angezündet hatte, die Hütte der beiden Kinder gewesen sei. Er konnte sich ja wohl erinnern, daß sie gerade von so einem Häuschen an der großen Heide erzählt hatten. Sie waren also miteinander gekommen, ihre Heimat wiederzusehen, und als sie endlich dahingelangt waren, hatte sie in Flammen gestanden. Ach, welch ein großer Schmerz mußte das für sie gewesen sein! Und er, er war schuld daran! Es tat ihm schrecklich leid, und er gelobte sich, wenn er je wieder ein Mensch würde, sich alle Mühe zu geben, sie für den Verlust und die Enttäuschung schadlos zu halten.
 
Dann kehrten seine Gedanken zu den Krähen zurück, und als er an Fumle-Drumle dachte, der ihn gerettet, aber in demselben Augenblick, wo er zum Häuptling gemacht worden war, den Tod erlitten hatte, da wurde der Junge tief betrübt, und die Tränen traten ihm in die Augen. Ja, er hatte es recht schwer gehabt in den letzten Tagen. Aber ein großes Glück war ihm doch widerfahren – der Gänserich und Daunenfein hatten ihn gefunden.
 
Der Gänserich hatte ihm dann alles erzählt. Sobald die Wildgänse gemerkt hatten, daß Däumling verschwunden war, hatten sie alle die kleinen Tiere des Waldes nach ihm gefragt, und da hatten sie bald erfahren, daß eine Schar småländischer Krähen ihn fortgeführt habe. Die Krähen waren aber schon außer Sehweite gewesen, und niemand hatte gewußt, wohin sie sich gewandt hatten. Um nun den Jungen so schnell als möglich wiederzufinden, hatte Akka den Wildgänsen befohlen, sich zu zerstreuen und immer zwei und zwei zusammen nach allen Seiten hin zu suchen. Wenn sie zwei Tage lang gesucht hätten, [142] sollten sie, ob sie ihn gefunden hätten oder nicht, im nordwestlichen Småland auf einem hohen Berggipfel, der einem jäh abgebrochenen Turm glich und Taberg hieß, wieder zusammentreffen. Und nachdem Akka ihnen noch die besten Wegzeichen angegeben und ihnen beschrieben hatte, wie sie den Taberg finden könnten, hatten die Gänse sich getrennt.
 
Der weiße Gänserich hatte sich Daunenfein als Reisegefährten gewählt. Aufs höchste besorgt waren sie da und dorthin geflogen, und wie sie so umhergeirrt waren, hatten sie eine Amsel in einem Baumwipfel klagen und schelten hören, weil sie von einem, der sich Krähenraub genannt habe, verspottet worden sei. Die beiden hatten die Amsel ausgefragt, und sie hatte ihnen gezeigt, in welcher Richtung dieser „Krähenraub“ gereist war. Später waren sie einem Täuberich begegnet, sowie einem Star und einer Wildente, die sich alle über einen Übeltäter beklagt hatten, der sie in ihrem Gesang unterbrochen und sich Krähenraub, Krähenbeute und Krähendiebstahl geheißen habe. Auf diese Weise hatten der Gänserich und Daunenfein die Spur des Däumlings bis zu der mit Heidekraut bewachsenen Heide im Bezirk Sunnerbo verfolgen können.
 
Sobald nun die beiden Däumling gefunden hatten, waren alle drei in nördlicher Richtung weitergezogen, um den Taberg zu erreichen. Aber das war ein sehr weiter Weg, und die Dunkelheit hatte sie überfallen, ehe sie den Berggipfel hatten wahrnehmen können. „Aber wenn wir nur morgen hinkommen, dann hat alle Not ein Ende,“ dachte der Junge und bohrte sich tiefer in das Stroh hinein, um es wärmer zu haben.
 
Die Kuh hatte sich indessen nicht beruhigt, und jetzt begann sie plötzlich mit dem Jungen zu sprechen. „Hat nicht einer von euch vorhin gesagt, er sei ein Wichtelmännchen? Wenn er wirklich eines ist, versteht er wohl auch, eine Kuh zu versorgen?“
 
„Was fehlt dir denn?“ fragte der Junge.
 
„Alles mögliche fehlt mir,“ antwortete die Kuh. „Ich bin weder gemolken noch versorgt worden, habe kein Futter für die Nacht und keine Streu unter mir. Die Hausmutter kam in der Dämmerung zu mir in den Stall, um mich wie gewöhnlich zu versorgen, aber sie fühlte sich so krank, daß sie sogleich wieder hineingehen mußte, und seither ist sie nicht wiedergekommen.“
 
„Da ist es recht schade, daß ich so klein und schwach bin,“ sagte der Junge, „denn ich werde dir leider nicht helfen können.“
 
„Du wirst mir doch nicht weismachen wollen, du seiest schwach, weil du so klein bist?“ sagte die Kuh. „Alle die Wichtelmännchen, von denen ich je gehört habe, waren so stark, daß sie ein ganzes Fuder Heu tragen und eine Kuh mit einem einzigen Faustschlag töten konnten.“
 
Unwillkürlich mußte der Junge lachen. „Das waren Wichtelmännchen von einer andern Sorte als ich!“ rief er. „Aber ich will deine Halskette lösen und die Stalltür aufmachen, dann kannst du hinausgehen und deinen Durst an einer der Wasserpfützen löschen. Und dann will ich sehen, ob ich auf den Heuboden hinaufklettern und Heu in deine Krippe hinunterwerfen kann.“
 
[143]
 
„Ja, das wäre doch immerhin etwas,“ sagte die Kuh.
 
Der Junge tat, wie er gesagt hatte; und als die Kuh eine volle Krippe vor sich hatte, hoffte er endlich selbst schlafen zu dürfen. Aber kaum hatte er es sich auf seinem Lager bequem gemacht, als die Kuh wieder mit ihm zu sprechen begann.
 
„Du wirst gewiß ärgerlich über mich, wenn ich dich um etwas bitte,“ sagte sie.
 
„Gewiß nicht,“ antwortete der Junge, „wenn es nur etwas ist, was ich tun kann.“
 
„Dann sei so gut und geh in das Haus hier über dem Hof gerade gegenüber und sieh nach, wie es der Hausmutter geht. Ich fürchte, es ist ihr ein Unglück zugestoßen.“
 
„Nein, das kann ich nicht, denn ich habe nicht den Mut, mich vor den Menschen sehen zu lassen.“
 
„Vor einer alten, kranken Frau wirst du dich doch nicht fürchten?“ sagte die Kuh. „Und du brauchst nicht einmal zu ihr in die Stube hineinzugehen. Stell dich nur vor die Tür und schau zu dem Türspalt hinein.“
 
„Ja, wenn du weiter nichts verlangst, kann ich es ja tun,“ sagte der Junge.
 
Damit öffnete er die Stalltür und trat auf den Hofplatz hinaus. Es war eine schreckliche Nacht, um draußen zu sein. Weder Mond noch Sterne leuchteten, der Wind heulte, und der Regen prasselte hernieder. Das Schlimmste aber war, daß sieben große Eulen auf dem Dachfirst des Wohnhauses saßen. Wie schauerlich war es für den Jungen, sie da droben krächzen und über das schlechte Wetter klagen zu hören! Aber noch schrecklicher war ihm doch das Bewußtsein, daß es um ihn geschehen sei, sobald auch nur eine von ihnen ihn erblicke.
 
„Ja, wer klein ist, der ist zu bedauern,“ sagte der Junge, als er auf den Hof trat. Und er hatte ein Recht, so zu sprechen. Zweimal wurde er vom Sturm umgeblasen, ehe er das Wohnhaus erreichte, und einmal fegte ihn ein Windstoß in einen Wassertümpel hinein, in dem er beinahe ertrunken wäre. Aber schließlich erreichte er doch sein Ziel.
 
Als er vor dem Hause angekommen war, kletterte er ein paar Stufen hinauf, stieg mühselig über eine Schwelle hinüber und gelangte in den Flur. Die Zimmertür war geschlossen, aber in der einen Ecke war ein großes Stück herausgesägt, damit die Katze aus und eingehen könnte. Das Hineingucken in die Stube fiel also dem Jungen durchaus nicht schwer.
 
Aber kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, als er auch schon erschrocken den Kopf zurückbog. Auf dem Boden da drinnen lag eine alte grauhaarige Frau. Sie rührte sich nicht und stöhnte auch nicht, und ihr Gesicht sah merkwürdig weiß aus. Es war, als ob ein unsichtbarer Mond einen bleichen Schein darauf werfe.
 
Da tauchte in dem Jungen eine Erinnerung auf. Als sein Großvater starb, war dessen Gesicht gerade auch so sonderbar weiß geworden. Die alte Frau, die da drinnen auf dem Boden lag, mußte tot sein. Sie hatte wohl einen Schlag bekommen, und der Tod hatte sie so rasch ereilt, daß sie sich nicht einmal mehr zu Bett hatte legen können.
 
Der Junge erschrak fürchterlich; mitten in der stockfinstern Nacht war er [144] ganz allein mit einer Toten. Hals über Kopf stürzte er über die Schwelle und die Treppe hinunter und lief in größter Eile in den Stall zurück.
 
Als er der Kuh erzählt hatte, was er in der Stube gesehen, hörte sie auf zu fressen. „So, so, die Hausmutter ist tot,“ sagte sie. „Dann wird es auch mit mir bald aus sein.“
 
„Es wird schon jemand kommen, der Euch versorgt,“ sagte der Junge tröstend.
 
„Ach,“ sagte die Kuh, „du weißt nicht, daß ich schon doppelt so alt bin, als eine Kuh sonst zu werden pflegt, ehe sie auf die Schlachtbank gelegt wird. Aber wenn mich meine gute Hausmutter nicht mehr versorgen kann, habe ich auch gar kein Verlangen, noch länger zu leben.“
 
Eine Weile schwieg sie; aber der Junge merkte wohl, daß sie weder schlief noch fraß. Und es dauerte auch nicht lange, da begann die Kuh von neuem: „Liegt sie auf dem Boden?“
 
„Ja, mitten in der Stube,“ antwortete der Junge.
 
„Wenn sie hier im Stall war, sprach sie immer von allem, was sie bekümmerte,“ fuhr die Kuh fort. „Ich verstand alles, was sie sagte, obgleich ich ihr nicht antworten konnte. Und gerade in den letzten Tagen sagte sie, sie fürchte, wenn es bei ihr ans Sterben gehe, werde niemand bei ihr sein. Niemand werde ihr die Augen zudrücken, niemand ihr die Hände auf der Brust falten, wenn sie tot sei. Möchtest du nun nicht hinübergehen und dies tun?“
 
Der Junge war unentschlossen. Er erinnerte sich, daß seine Mutter den Großvater, als er gestorben war, sehr fürsorglich zurecht gelegt hatte. Und er wußte, daß dies etwas war, was man tun mußte. Aber er fühlte auch, daß er nicht den Mut habe, mitten in dieser schauerlichen Nacht zu der Toten hinüberzugehen. Er gab der Kuh keine abschlägige Antwort, aber er machte auch keinen Schritt in der Richtung der Stalltür.
 
Das alte Tier verhielt sich eine Weile stumm, als ob es auf Antwort wartete, und als der Junge fortgesetzt schwieg, wiederholte es seine Bitte nicht; statt dessen begann es dem Jungen von seiner Hausmutter zu erzählen.
 
Und wie viel war doch da zu erzählen! In allererster Linie von allen den Kindern, die sie aufgezogen hatte. Die Kinder waren ja jeden Tag in den Stall gekommen, und im Sommer waren sie mit dem Vieh auf das Moor und die Weideplätze gezogen. Die alte Kuh hatte alle genau gekannt, und es waren lauter gesunde, fröhliche, fleißige Kinder gewesen. „Ja, ja, das Vieh weiß sehr gut, ob die Hirten tüchtig sind,“ sagte die Kuh.
 
Und ebensoviel hatte sie von dem Hof zu berichten. Er war nicht immer so armselig gewesen wie jetzt. Ein sehr ausgedehntes Besitztum war es, obgleich es zum größten Teil aus Moor und steinigem Heideland bestand und nicht viel Platz zu Äckern vorhanden war; aber als Viehweide war es überall ausgezeichnet. Zu einer Zeit hatte in dem ganzen langen Stallgebäude in jedem Stand eine Kuh ihren Platz gehabt, und der jetzt ganz leere Ochsenstall war voll schöner Ochsen gewesen. Und damals hatte im Wohnhaus und im Stall eitel Lust und Freude geherrscht. Wenn die Hausmutter die Stalltür öffnete, [145] sang und trällerte sie, und alle Kühe brüllten vor Freude, wenn sie sie kommen hörten.
 
Aber der Hausherr war gestorben, als die Kinder noch klein waren und sich noch nicht nützlich machen konnten. Die Frau hatte den Hof übernehmen müssen mit all seiner Arbeit und all seiner Sorge. Sie war stark wie ein Mann und pflügte und erntete. Wenn sie am Abend zum Melken in den Stall kam, war sie bisweilen müde und weinte. Aber sobald sie an ihre Kinder dachte, wurde sie wieder froh. Dann wischte sie sich die Tränen aus den Augen und sagte: „Das tut nichts, sobald meine Kinder erwachsen sind, bekomme auch ich gute Tage. Ja, wenn nur sie heranwachsen!“
 
Doch sobald die Kinder erwachsen waren, überfiel diese eine ganz eigentümliche Sehnsucht. Sie wollten nicht daheim bleiben, und so zogen sie fort in ein fremdes Land. Die Mutter bekam keine Hilfe. Einige der Kinder hatten sich verheiratet, ehe sie weggezogen waren, und diese ließen ihre kleinen Kinder bei der Großmutter zurück. Und gerade wie früher ihre Kinder, so begleiteten jetzt die Enkel die Frau in den Stall. Sie hüteten die Kühe, und es waren auch lauter gute, gesunde Menschenkinder. Und abends, wenn die Frau gar so müde war, daß sie beim Melken fast einschlief, rüttelte sie sich doch wieder auf und faßte neuen Mut, sobald sie an die Enkelkinder dachte. „Auch ich bekomme noch gute Tage,“ sagte sie, „wenn sie einmal herangewachsen sind.“
 
Aber als diese Kinder herangewachsen waren, zogen auch sie fort, hinüber zu den Eltern in das fremde Land. Keines kehrte zurück, keines blieb daheim. Die alte Frau war schließlich ganz allein auf dem Hof.
 
Sie bat auch niemals, daß eines bei ihr bleibe. „Meinst du denn, Rotkopf, ich hätte das Herz, sie zu bitten, bei mir zu bleiben, wenn sie es draußen in der Welt besser bekommen können?“ pflegte sie zu sagen, wenn sie neben der alten Kuh in deren Stand stand. „Hier in Småland steht ihnen ja nichts als Armut bevor.“
 
Als aber das letzte Enkelkind fortgezogen war, war auch die Frau am Ende ihrer Kräfte. Sie wurde auf einmal gebückt und grauhaarig und ging gar mühselig, als ob sie sich kaum noch von der Stelle bewegen möchte. Und dann hörte sie auf zu arbeiten. Die Fürsorge für den Hof wurde ihr gleichgültig, und sie ließ fünf gerade sein. Sie ließ das Gebäude verfallen und verkaufte die Ochsen und Kühe. Nur die alte Kuh, die jetzt mit Däumling sprach, behielt sie. Diese ließ sie am Leben, weil alle die Kinder mit ihr auf die Weide gezogen waren.
 
Sie hätte sich ja wohl Knechte und Mägde zur Hilfe halten können, aber seit die eignen Kinder sie verlassen hatten, mochte sie keine Fremden um sich sehen. Und vielleicht war es ihr gerade recht, wenn der Hof verfiel, da ja keines der Kinder ihn je übernehmen würde. Sie kümmerte sich nicht darum, ob sie selbst verarmte, weil sie nicht mehr für ihr Eigentum sorgte. Nur eins fürchtete sie, daß die Kinder erfahren könnten, wie schlecht es um sie stünde. „Daß es nur die Kinder nicht erfahren! Daß es nur die Kinder nicht erfahren!“ seufzte sie, wenn sie mit unsichern Schritten durch den Stall ging.
 
[146]
 
Die Kinder schrieben beständig und baten sie, zu ihnen zu kommen, aber das wollte sie nicht. Sie wollte das Land nicht sehen, das ihr die Kinder genommen hatte. Sie war böse auf das Land. „Es ist wohl dumm von mir, daß ich es nicht leiden kann, das Land, das gut gegen sie gewesen ist,“ sagte sie, „aber ich will es nicht sehen.“
 
Sie dachte an nichts als an die Kinder, und daran, daß sie in ein fremdes Land hatten ziehen müssen. Im Sommer führte sie die Kuh zur Weide hinaus auf das große Moor. Sie selbst saß den lieben langen Tag am Rande des Moors, die Hände im Schoß, und wenn sie heimging, sagte sie: „Siehst du, Rotkopf, wenn hier anstatt des unfruchtbaren Moorlandes große, fette Äcker gewesen wären, dann hätten sie nicht fortzuziehen brauchen.“
 
Sie konnte sich in einen wahren Zorn über das Moor hineinreden, das sich so groß vor ihr ausbreitete und doch von keinem Nutzen war. Und oftmals sagte sie auch, ihr Mann sei schuld daran, daß die Kinder von ihr fortgezogen seien.
 
Am letzten Abend war sie zittriger und schwächer gewesen als je vorher. Nicht einmal zum Melken hatte sie die Kraft gehabt. Über den Stand gebeugt erzählte sie von zwei Bauern, die dagewesen seien und ihr das Moor hätten abkaufen wollen. Sie hätten Ablaufgräben hindurchziehen, dann Getreide darein säen und ernten wollen. Diese Nachricht hatte die alte Frau froh und ängstlich zugleich gemacht. „Hör nur, Rotkopf,“ sagte sie, „hör nur, sie sagten, auf dem Moor könnte Roggen wachsen. Jetzt will ich den Kindern schreiben, sie sollen heimkommen. Sie brauchten nicht länger fortzubleiben, denn jetzt könnten sie ihr tägliches Brot daheim gewinnen.“
 
Um diesen Brief zu schreiben, war sie in ihre Stube gegangen – – –
 
Der Junge hörte nicht mehr, was die alte Kuh noch erzählte. Er öffnete die Stalltür und ging über den Hof in die Stube zu der Toten, vor der er sich vorhin so gefürchtet hatte.
 
An der Tür hielt er an und sah sich um.
 
Es sah in der Stube nicht so ärmlich aus, wie er erwartet hatte. Es waren viele solche Dinge da, wie die Leute sie zu haben pflegen, die Verwandte in Amerika haben. In einer Ecke stand ein amerikanischer Schaukelstuhl, auf dem Tisch am Fenster lag eine schöne Plüschdecke, und eine andre schöne Decke war über das Bett gebreitet. An den Fenstern hingen in reich geschnitzten Rahmen die Photographien der fortgezogenen Kinder und Enkel, auf der Kommode standen hohe Vasen und ein paar Leuchter mit dicken gedrehten Kerzen.
 
Der Junge suchte eine Zündholzschachtel und zündete die beiden Kerzen an; nicht weil er noch besser zu sehen wünschte, sondern weil er wußte, daß dies eine Sitte war, womit man die Toten ehrte.
 
Dann trat er zu der Toten, drückte ihr sanft die Augen zu, faltete ihr die Hände auf der Brust und strich ihr das dünne graue Haar aus dem Gesicht.
 
Er dachte gar nicht mehr an Furcht, er war im Gegenteil von Mitleid erfüllt und tief betrübt, daß die alte Frau auf ihre alten Tage so verlassen [147] gewesen war und so bitteres Heimweh gelitten hatte. Diese eine Nacht wenigstens wollte er bei ihrem toten Körper Wache halten.
 
Er suchte nach dem Gesangbuch und begann einige Lieder halblaut zu lesen. Aber da hörte er mitten in einem Lied auf, denn er hatte plötzlich an seine Eltern denken müssen.
 
Nein, daß sich Eltern so nach ihren Kindern sehnen können! Das hatte er ja noch gar nicht gewußt. Nein, daß das Leben für sie zu Ende sein sollte, wenn die Kinder nicht mehr da sind! Wie, wenn sich nun seine Eltern daheim auch so nach ihm sehnten, wie die Alte hier sich nach ihren Kindern gesehnt hatte?
 
Der Gedanke machte ihn froh, aber er wagte nicht daran zu glauben. Er war nicht so gewesen, daß jemand nach ihm Heimweh haben könnte.
 
Aber was nicht war, das konnte vielleicht noch werden!
 
Ringsum im Zimmer sah er die Bilder der fernen Kinder. Bilder von großen, starken Männern und Frauen mit ernsten Gesichtern, Bräute in langen Schleiern, Herren in feinen Anzügen, und Kinder mit lockigem Haar und in schönen weißen Kleidern! Und ihm war, als starrten sie alle nur ins Blaue hinein und wollten nichts sehen.
 
„Ihr Armen!“ sagte er. „Eure Mutter ist tot. Ihr könnt nicht mehr gut machen, daß ihr sie verlassen habt. Aber meine Mutter lebt.“
 
Hier hielt er inne; er mußte lächeln. „Ja, meine Mutter lebt,“ sagte er. „Alle beide leben, Vater und Mutter.“ 
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