Sehr unterhaltsam war es auf die Dauer wirklich nicht, unsichtbar zu sein, und manchmal hätte Kaspar gern sein Döschen fortgetan, aber er wagte es doch Seite 217nicht, weil er dachte, es könnte ihm gestohlen werden. Am schwersten hielt es, etwas zu essen zu bekommen. Anfangs hatte Kaspar auch mal da, mal dort um ein Stück Brot gebeten, da waren die Leute immer schreiend davongelaufen, und natürlich hatte niemand daran gedacht, einem, der unsichtbar war, Brot zu geben. Dem Kaspar blieb nichts weiter übrig, als selbst in die Speisekammern der Hausfrauen zu gehen, um sich etwas zu holen. Das drückte ihn schwer. Er schämte sich recht und merkte sich immer die Häuser und dachte: „Ich zahle es später zurück!“ Einmal ging er auch in ein Bauernhaus und betrat eine Kammer, weil er meinte, dies sei wohl die Speisekammer. Er war aber in eine Waschkammer geraten, und ehe er noch wieder hinaus konnte, wurde draußen zugeschlossen, und er mußte die ganze Nacht in der Kammer sitzen; es gab nicht einmal eine Bank, auf der er sich hätte richtig ausstrecken können.
Nach etlichen Wochen gelangte der Bub schließlich doch in die Königsstadt. Am Eingang der Stadt lag ein großes Kloster, wohlverwahrt wie eine Festung. „Hier will ich mich ausruhen,“ dachte Kaspar und schlüpfte neben einem Mönch in die Klosterküche. Ein guter Bratengeruch zog ihm entgegen. Das Kloster hatte vornehmen Besuch erhalten, und der Klosterkoch Seite 218wollte zum Abendessen Ehre einlegen mit seiner Kochkunst. Am Spieß steckte ein saftiger Wildbraten, und in der Pfanne schmorten junge Hähnchen. Kaspar war nicht faul, er nahm eine Gabel, fuhr in die Pfanne, nahm sich ein Hähnchen heraus und setzte sich damit in eine Ecke.
Der Koch schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als eine Gabel in seine Pfanne fuhr und ein gebratenes Hähnchen durch die Luft flog, als wäre es ein lebender Sperling. Der brave Mann erhob ein so furchtbares Geschrei, daß Kaspar gewaltige Angst bekam und am liebsten durch das Fenster gesprungen wäre. Aber das war fest vergittert, und die Tür konnte der Bube nicht erreichen. Der Koch hatte einen Rußbesen genommen, stöberte damit in allen Ecken herum und brüllte: „Hinaus mit dem Teufel, hinaus mit dem Teufel!“ Ritsch fuhr er Kaspar mit dem schwarzen Besen über das Gesicht und merkte es gar nicht. Nun drehte sich der Bube um, ritsch bekam er eins über die Jacke, und schließlich war er heilfroh, als es ihm endlich gelang, aus der Küche zu flüchten.
Draußen begegneten ihm sehr viele Mönche, die alle auf des Kochs Geschrei herbeikamen, und Kaspar flüchtete in seiner Verwirrung in die Bücherei des Klosters. Ganz still und niedergeschlagen kauerte er dort und Seite 219knabberte an seinem Hühnchen herum, aber das wollte ihm trotz seines Hungers gar nicht recht schmecken. Und wieder, wie so manches Mal in den letzten Tagen, dachte der Bube sehnsüchtig: „Wäre ich doch daheim!“