„Was weißt du denn?“
„Ach, was Feines, was Feines! Rate mal!“ Aber ehe Friede noch seinen Mund auftun konnte, flüsterte Mariandel schon rasch: „Die Frau Gräfin liest deinen Aufsatz. Ich hab's gehört, sie hat's zu der andern Dame gesagt.“
Friede wurde blutrot und sah so unglücklich drein, daß Mariandel erschrocken fragte: „Freust du dich nicht?“
Der Bube schüttelte den Kopf. „Ich schäm' mich so, ich schäm' mich so,“ stammelte er, und dann lief er geschwind weg und ließ Mariandel stehen. Die Kleine sah ihm traurig nach, ihr war es zumute, als sei sie mit ihrem Sonntagskleid ins Wasser gefallen.
Friede kam so niedergeschlagen heim und gab so kurze Antworten, daß Muhme Lenelies ärgerlich sagte: „Na, das ist schon wie beim Bader, wenn der'n Zahn rausziehen will, just grad' so muß ich dir die Worte aus dem Mund ziehen. Jetzt red' mal fix und sag, Seite 208warum du so ein Gesicht machst, als müßtest du sechs Mühlsteine als Vesperbrot verzehren!“
Da erzählte Friede kleinlaut, was Mariandel ihm verraten hatte. Muhme Lenelies lachte herzhaft: „Na, was schadet das? Eine Arbeit, die man recht getan Seite 209hat, braucht man doch nicht zu verstecken. Wenn die Frau Gräfin die Arbeit liest und ist zufrieden, dann freue dich, aber bilde dir nicht gleich ein, ein wichtiger Bube zu sein. Na, und wenn die Arbeit der Frau Gräfin nicht gefällt, dann mußt du dir halt immer noch mehr Mühe geben. So, und nun iß dich ordentlich satt, und nachher wollen wir beide Kräuter und Pilze suchen gehen.“
Die Muhme lachte schelmisch: „Na, seh einer den Schmeichler an! Aber wer weiß, Friede, gar lernst du's auch noch mal. Aus einem Traumfriede kann schon ein Geschichtenerzähler werden. Doch nun flink, Kinder, sucht Pfifferlinge! Dort wachsen welche, und Seite 210wenn ihr brav sucht, erzähle ich euch zum Schluß noch eine Geschichte. 's ist mir just eine eingefallen.“
Flink suchten alle drei. Die Muhme fand Kräuter und die Kinder jedes ein Säcklein Pfifferlinge. Ganz stolz schaute Mariandel auf ihren Fund: „Das gibt ein Abendessen!“ Ehe sie heimgingen, setzten sie sich noch alle drei am Waldrand nieder. Ein Baumstamm lag da, der kürzlich gefällt worden war, und auf dem noch mehr Buben und Mädel Platz gehabt hätten. Es war, als hätten das des Schulzen Kinder Jakob und Röse und Heine Peterle gewußt, sie kamen gerade von Niederheudorf heim, am Waldrand entlang. „Kommt her, Muhme Lenelies erzählt uns was,“ rief Friede. Das ließen sich die drei nicht zweimal sagen. Sie waren da, als hätte ein Windstoß sie hergeweht, und setzten sich auch auf den Baumstamm, Heine Peterle so einträchtig neben Friede, als hätten sie sich nie gestritten. Muhme Lenelies nickte: so war es recht, Bösesein und Unfrieden konnte sie nicht leiden, und mit einem kleinen lustigen Schelmenlachen begann sie die Geschichte vom unsichtbaren Kaspar zu erzählen.