Ein perfektes Verbrechen?
Kurze Zeit später versammeln wir uns alle in Tollivers Büro.
Lestrade und der Hoteldirektor sind immer noch wütend auf Sherlock und seine neumodischen Methoden.
Ich jedoch konnte Bobs Mutter tatsächlich ihre Sorgen nehmen.
Allerdings darf ihr Sohn erst weiter im Hotel arbeiten, wenn Sherlock, er und ich die Schuldigen gefunden haben.
Auf meine Frage, ob eine Zusammenarbeit mit uns für Bob nicht zu gefährlich sei, lächelte Pamela nur und meinte:
„Aber nein, mein lieber John. Wenn Bob irgendwo sicher ist, dann bei Ihnen und Mister Holmes. Ich vertraue Ihnen – voll und ganz!“
Natürlich versprach ich Pamela, gut auf ihren Sohn aufzupassen, bevor sie sich auf den Heimweg machte.
Sherlock studiert eine Liste mit dem Diebesgut.
Besonders lang ist sie nicht.
„Das ist alles? Es wurde kaum etwas gestohlen", stellt er fest.
Der Direktor nickt.
„Waren die anderen Wertsachen im Hotelsafe eingeschlossen?", will Sherlock wissen.
„Nein", antwortet der Direktor. „Die meisten Gäste hatten ihren Schmuck auf den Zimmern."
„Ebenso wie das Bargeld. Und es ist fast alles noch da", ergänzt Inspektor Lestrade.
„Wir können uns auch nicht erklären, wieso kaum etwas gestohlen wurde."
Mir kommt eine Idee: „Vielleicht hatten die Einbrecher keine Zeit mehr? Ich meine, es dauert eine Weile, so viele Türen aufzubrechen.“
Sherlock denkt nach.
Dann steht er plötzlich auf und schüttelt den Kopf.
„Nein, Watson. Das Ganze ging rasend schnell, hat ein Gast ausgesagt. Sechs Türen zu sechs Zimmern. Alle auf einem Flur. Gleichzeitig aufgebrochen von sechs verschiedenen Tätern. Sie hatten also Zeit genug, alles in Ruhe einzupacken“, analysiert er.
Sherlock geht aufgeregt im Büro auf und ab.
Auf einmal bleibt der Meisterdetektiv stehen und lächelt.
„Sie hätten Zeit genug gehabt ... aber die Täter waren trotzdem viel zu sehr in Eile, um hier im Hotel etwas zu stehlen!", verkündet er zur allgemeinen Verwirrung.
Der Direktor und Inspektor Lestrade starren Sherlock verwundert an.
„Es ging ihnen gar nicht um dieses Haus!", erklärt Sherlock.
Plötzlich aufgeregt, fragt er: „Lestrade, wie viele Ihrer Männer befinden sich im Moment im Hotel?"
Der Inspektor zuckt mit den Schultern und antwortet: „Na ja ... ich würde sagen, so ziemlich alle. Wir mussten das ganze Gebäude komplett abriegeln. Von außen und von innen. Meine Beamten mussten eine Menge Zeugen befragen, viele Tatorte absperren und unzählige Spuren sichern.“
Sherlock Holmes nickt und stellt fest: „Also befindet sich fast die gesamte Londoner Polizei hier im Hotel!“
Dann blickt er den Hoteldirektor an und behauptet: „Mister Tolliver, es tut mir leid. Aber Ihr Hotel war nur ein Ablenkungsmanöver.“
Der Direktor begreift nicht: „Ein was?“
Ich verstehe, was Sherlock meint, und frage: „Holmes, wollen Sie damit sagen, dass die gesamte Polizei hier versammelt wurde, damit die Täter ungestört ein zweites Verbrechen in London verüben konnten?“
„Ganz recht, Watson“, antwortet Sherlock.
„Diese sechs Männer haben zunächst Angst und Aufregung im Hotel gestiftet. Erst als die komplette Polizei von London sich hier auf die Füße getreten ist, begingen die Gauner in aller Ruhe ein weiteres Verbrechen. Ich würde sogar sagen, das zweite wird ihr eigentliches Verbrechen sein. Es dürfte viel mehr Beute bringen als nur etwas Schmuck und Geld aus Brieftaschen.“
„Aber ... es ist doch überhaupt kein weiteres Verbrechen begangen worden“, wendet Inspektor Lestrade ein.
„Doch. Irgendwo in London, nicht weit von hier entfernt", entgegnet Sherlock.
„Ich schätze, in einer Bank. Mit einem großen und gut gefüllten Tresor ..."
In diesem Moment klopft es an die Tür.
Ein junger Polizist steckt seinen Kopf herein.
„Was ist?", fragt Inspektor Lestrade unfreundlich.
Er ist wütend über die Störung.
„Ich denke, der junge Beamte möchte uns mitteilen, dass etwas passiert ist", sagt Sherlock.
Dann wendet er sich an den jungen Beamten: „Die Bank von England, richtig?“
„Äh, ja ... Genau!“, antwortet der Mann verdutzt.
„Sechs Verbrecher haben den Tresor der Bank ausgeräumt. Dann sind sie spurlos verschwunden. Ist das korrekt?", fragt Sherlock.
„Richtig. Ja. Aber ... woher wissen Sie das so genau?", fragt der Polizist.
„Das würde mich ebenfalls interessieren, Holmes", schnaubt Lestrade.
„Es klingt fast so, als hätten Sie diesen verdammten Plan ausgeheckt!"
Doch Sherlock winkt lächelnd ab und erwidert: „Ich bin nicht Ihr Mann, mein lieber Lestrade. Aber jemand hat diese Tat sorgfältig geplant. Das können Sie mir glauben. Und ich habe auch schon einen Verdacht, wer es sein könnte.“