Der Winter war bald vorüber, der Frühling rückte heran; der erste grüne Buchenzweig aus dem Walde wurde im Pfarrhause in ein Wasserglas gestellt als Herold, der verkündigen sollte, wie weit es draußen wäre, wie warm die Luft schon sein müßte, denn im Zimmer nahm man es noch nicht so recht wahr. Die Saatfelder waren üppig grün, die Lerche hob sich trillernd in die Höhe, der Storch war längst angekommen, und selbst die schwarzen Störche saßen im Moore auf den Bäumen und schauten zornig ihre weißen Kameraden an, die stolz in dem schlammigen Wasser einherschritten. Der magre Sandboden war weit und breit von zahllosen Heidelbeeren und Preißelbeeren überwuchert, das Farrnkraut breitete seine grünen, gefiederten Blätter aus, der Wachholderstrauch und der weithin schimmernde Christdorn thaten dem Auge mit ihrem frischem Hellgrün wohl. Doch die prächtige Entfaltung von Wald und Flur erzählt die Natur ja jeden Sommer, von Niels dagegen vernehmen wir nicht in jedem Sommer etwas, und deshalb dürfen wir uns nicht von ihm trennen.
Ein Besuch bei Musikanten-Grethe. Niels soll studiren.
Zwei Monate waren erst verflossen, seitdem Niels Kopenhagen verlassen und so vieles hatte er hier bereits erlebt.
Bodil hatte seinen Unterricht in Geschichte und Geographie übernommen und der Pfarrer selbst lehrte ihn Religion und ließ ihn Aufsätze schreiben. Diese wimmelten freilich von Fehlern, allein es zeigte sich in seinen schriftlichen Arbeiten doch Phantasie und Leben. Seine Religionskenntnisse waren gut; seine Sprüche konnte er nicht blos hersagen, sondern er bewies auch, daß er sie verstand.
Ein besonderes Talent besaß Bodil, Feldblumen und Gräser derartig zusammenzustellen, daß sie ihre Schönheit gegenseitig hoben. Gräser und Blätter, die beim Welken ins Gelbliche übergingen, legte sie neben gekräuselte Herzblätter und verschiedene Arten wehender Halme; durch das Abstechende in Formen und Farben wurde ein schönes und harmonisches Ganze gebildet. Selbst der alte Japetus hatte seine Freude an dem Anblicke eines solchen Straußes und sagte: »Ja, Gott ist groß, auch in Handarbeiten!«
Niels hatte nicht allein Auge für derartige Schönheit sondern zeigte darin auch ein verwandtes Talent; er lernte außerordentlich viel von Bodil. Damals dachte er nicht daran, wie viel er nach nicht allzu langen Jahren über die Pflanzen, diese Naturküche der Thiere, über Sauerstoff, Kohlensäure und Wasserdämpfe, kurz über den ganzen Kreislauf der Dinge lernen sollte. Augenblicklich war Bodil seine Lehrmeisterin.
Eines Mittags traf sie ihn draußen vor dem Garten, wie er sich damit belustigte, einen Stock in einen Ameisenhaufen zu stecken und die Emsigkeit und Verwirrung mit anzusehen, welche sich unter den Ameisen erhob, die ihre großen Eier fortschleppten.
»Du spielst ein böses Spiel,« sagte Bodil, »du denkst nicht an das Herzeleid, das du den klugen, arbeitsamen Thierchen bereitest, wenn du ihnen ihre ganze Stadt, Haus und Hof zerstörst.« Und sie erzählte, was sie von der Klugheit dieser Thiere wußte; selbst in der Bibel stehe geschrieben: Gehe zur Ameise und werde weise!
Niels hielt sofort mit seinem Spiele inne, und welche Bedeutung bekam nicht für ihn seit dieser Strafrede jeder kleine Ameisenhaufe auf dem Felde.
Bodil war gerade auf dem Wege, der kranken Musikanten-Grethe, die in ihrer einsamen Hütte das Bett hütete, etwas warmes Essen zu bringen. Niels begleitete sie dorthin. Es war gerade in der größten Mittagshitze, sengend fielen die Sonnenstrahlen hernieder. Der Weg führte sie über die Anhöhe, die eine weite Aussicht über die Haide gewährt. Welch ein Anblick bot sich ihnen dar. Es war nicht mehr die alte, bekannte Gegend, in paradiesischer Schönheit breitete sich hier eine Natur vor ihnen aus, wie Niels sie früher nie erblickt hatte: ein großer, spiegelheller See mit lieblichen, waldreichen Inseln, die ihren reichen Laubschmuck umgekehrt im Wasser abspiegelten; hohe Thürme voller Gebüsch auf den Brustwehren, als wären es schwebende Gärten. Seine Augen strahlten bei dem Anblick dieser Herrlichkeit; aber plötzlich stieg in ihm der Gedanke auf, es müßte Zauberei, Blendwerk der Kobolde sein. Der Flickschneider hatte ihm den Glauben beigebracht, im ganzen Lande wimmelte es furchtbar von Gnomen, welche die alten, mit Haidekraut überwachsenen Hünengräber auf glühenden Pfählen in die Höhe höben; auch kannte er die Geschichte vom Tannhäuser, welchen Frau Venus in den Berg zu wunderbarer Herrlichkeit geführt hatte; allein dies alles ginge nur vom Bösen aus. Unwillkürlich faltete er die Hände.
»Wie herrlich, wie prächtig!« rief Bodil. »O Herr, wie groß sind deine Werke!«
»Ist das nicht Zauberei?« fragte Niels. »Hier ist doch sonst nur Haide; sonst giebt es hier doch weder Wald noch Bäume noch gar einen See.«
»Nein, es ist kein Trug; was wir sehen, ist Wahrheit,« sagte Bodil. »Es ist etwas dem Regenbogen Ähnliches, das sich indessen nicht so oft wie dieser und auch nicht überall zeigt.«
Was sie sahen, war eine Fata Morgana, wie sie sich an heißen Sommertagen auf der Jütländischen Haide und in Wüsten zeigt. Das Wasser, die Inseln, Bäume und Thürme, alles trat bis auf den kleinsten Punkt ganz deutlich und in bestimmten Umrissen hervor.
Zum ersten Male dachte hier Niels über »Sein oder Nichtsein« nach, und hier befriedigte ihn Bodils Erklärung.
Endlich traten sie in Musikanten-Grethes Hütte ein; hier war in der niedrigen Stube, die freilich lange nicht gelüftet war, alles rein und sauber. Die alte Frau lag in einer sehr einfachen Bettstelle; die Harmonika befand sich auf einem Stuhle dicht neben ihr, wie etwa andere Kranke eine Lieblingsblume oder ein ihnen lieb gewordenes Buch an ihrem Lager haben; von der Decke herab und an den Wänden hingen Kränze von Haidekraut und Christdorn. Die Harmonika diente ihr als lebendige Gesellschafterin, war ihr »Herzenskind«, mit ihr wäre sie nicht allein, sagte sie. Heute befand sie sich auch schon besser. Vorher hatte es ihr in der Herzgrube wie Feuer gebrannt, aber jetzt würde das gute Essen aus dem Pfarrhause den letzten Rest der Krankheit verscheuchen.
Bodil erzählte ihr von dem Mißgeschick des Flickschneiders und daß er in Folge dessen den Verstand verloren hätte.
»Der arme Mensch,« sagte Musikanten-Grethe. »Ja, ja, ich habe es mir gleich gedacht, daß es mit ihm einmal ein solches Ende nehmen würde. Nie hat er seinem Nächsten irgend ein zeitliches Gut entwendet, nicht so viel wie einen Stecknadelknopf groß. Seine Ehrlichkeit machte ihn ja gerade zum Gespött! Es zuckte ihm am ganzen Leibe, sobald irgend eine Dieberei in seiner Nähe vorfiel; er konnte nicht anders, das steckte in ihm vom Mutterleibe an. Ich weiß es freilich und vermag es zu erklären, woher er diese Anlage hat. Ich diente mit seiner Mutter auf einem Gute; eines Tages kam dort Geld fort, während sie auf dem Felde war. Alles wurde durchsucht, es war nichts zu finden; da kommt sie gerade zurück und gewahrt beim Hinaufsteigen der Treppe auf einer Stufe einen ganzen Haufen Kassenscheine zerstreut, genau dieselben, nach denen man überall suchte. Sie wußte von nichts, hob sie auf und breitete sie vor sich hin. Da kommt plötzlich der Herr, es war ein Kammerrath, und sieht, womit sie dasteht. Er reißt ihr das Geld aus den Händen und fährt sie hart an, worüber sie so erschrickt, daß die Beine sie nicht zu tragen vermögen. Aber das hätte ja nichts weiter zu sagen, hieß es, sie hätte ein reines Gewissen, und die Herrschaft kam auch wirklich dahinter; aber erst einige Monate später zeigte es sich, einen wie gewaltigen Schreck sie bekommen hatte, denn da kam der Kleine acht Wochen zu früh auf die Welt, und ach, wie dünn war er doch, rein unglaublich! Die Herrschaft mußte ihn Tage und Wochen lang in Haferschleim liegen lassen; der Doctor hatte das verlangt; ich habe selbst die Terrine gesehen, in welcher der Schneider lag. Am Leben blieb er zwar, aber ein richtiger Mensch mit Fleisch auf den Knochen wurde er nie; wie ein Schatten und eine Vogelscheuche wandelte er immer unter den Leuten einher, und der Schreck, den die Mutter bekommen, bebte noch beständig in ihm und kam gelegentlich über ihn wie ein Schüttelfrost.«
So lautete Musikanten-Grethes Erklärung und Überzeugung.
»Jedes Ding,« sagte sie, »wird ein Gegenstand meines Nachdenkens; ich bin alt, habe vieles in der Erinnerung und stelle dann stets das Eine mit dem Andren zusammen.«
»Ihr habt in der That ein gutes Gedächtnis,« erwiderte Bodil, »und was mich besonders freut, ist, daß Ihr so viele schöne Lieder kennt, die ich noch in keinem gedruckten Buche gesehen habe.«
»Ich habe sie größtentheils in meiner Kindheit gelernt, und damals gab es hier noch Mehrere, die sie kannten; jetzt weiß ich sie fast noch allein, und bei mir beginnen sie ebenfalls zu erblassen. Oft kann ich mich eines ganzen Verses nicht mehr erinnern. Sobald mir jedoch die Melodie dazu wieder einfällt, so kommen mit ihr auch oft die Worte wieder, und dabei,« sagte sie, nach der Harmonika hinzeigend, »steht mir meine Sängerin getreulich bei; lasse ich sie ihre Stimme erheben, so tritt mir manchmal alles wieder klar vor die Seele, und ich entsinne mich wieder des ganzen Verses.«
»Ihr singet mitunter ein Lied von einem Königssohne und einer Prinzessin,« sagte Bodil; »das müßt Ihr mir, sobald wir uns im Pfarrhause wiedersehen, vorsingen, damit ich es aufschreiben kann.«
»Sie haben in den gedruckten Büchern schönere Sachen,« versetzte Musikanten-Grethe; »mein bißchen Wissen ist nichts als Thorheit, aber es hat den Vorzug, daß es alt ist und es nur mit wirklich Geschehenem zu thun hat.«
Im Winter hatte Bodil an mehreren Sonntagsabenden den Dienstleuten vorgelesen und Musikanten-Grethe manchmal zugehört. »Bringe mir ein gutes Buch mit,« hatte Bodil den Vater bei seiner Abreise nach Kopenhagen gebeten, während Mutter von ihm einen schlechten Knaben, ein Kind böser Leute verlangte. Ein gutes Buch war mitgebracht worden, die echt dänischen Romanzen von Christian Winther, mit Holzschnitten verziert. Der Baum der Poesie hat viele Zweige; einige sind glatt und polirt, sie gleichen dem Mahagoniholze und haben darin ihre Bedeutung; andere sind voller Saft und Kraft, die blühende Naturfülle, und einen solchen Zweig hatte Bodil erhalten. Kingo's »Geistlicher Liederchor« in einem gedruckten Exemplare und in Abschrift einige von den seelenvollen und naturfrischen Kirchenliedern Brorsons und Ingemans waren ihr einziger Besitz aus der poetischen Literatur und bildeten für sie einen Schatz, einen Reichthum, und da sie bald Niels offenen Sinn für die Dichtkunst erkannte, theilte sie ihren Schatz gern mit ihm; und auf den Reichthümern des Geistes ruht der Segen, daß sie für uns einen um so höheren Werth erhalten, je mehr wir von ihnen Anderen mittheilen können. Sie ließ aus ihrem Bücherschatze den reichen Quell der Dichtkunst hervorströmen, und Niels hatte seine Freude daran. Fast die ganze Bibel und alle Märchen in »Tausend und Eine Nacht« hatte er schon gelesen, bevor ihm diese Quelle zugänglich wurde. Das Gelesene gewann in ihm Gestalt, und er stellte sein Licht nicht unter den Scheffel. Bald war seine Wissensfülle jedem im Pfarrhause bekannt. Er erzählte und erklärte den Leuten alles in seiner Weise; der Prediger wurde er allgemein genannt. Aus ihm könnte ein guter Prediger werden, hieß es, und hier wurde für Mutter des Volkes Stimme wirklich Gottes Stimme; sie selbst freute sich über seine Klugheit und besonders über seine Bibelkenntnis. Dazu kam, daß er ja nach Vaters eigener Erklärung ein ganzes Stück Latein auswendig wußte.
Wir sind es der Pfarrerfrau schuldig zu bekennen, daß in ihr zuerst der Gedanke aufstieg, Niels müßte studiren; dazu hätte er Kopf, und wäre er auch nicht das gottlose Kind, nach dem sie sich einst gesehnt, um einen guten Christen aus ihm zu machen, so wäre er doch vielleicht der, welcher durch ihre geringe Beihilfe für die Heerde des Herrn ein guter Hirt werden könnte. Gottes Wege sind wunderbar! Wer könnte wissen, wozu Niels es noch brächte, vielleicht sogar bis zum Probste, was nicht einmal Vater, der Würdigste und Beste, in dieser Welt erreicht hätte, in der Gott den Menschen in diesem und jenem, wie sie meinte, einen Theil seiner Macht überließe. Bei günstiger Gelegenheit wollte sie doch mit Vater darüber Rücksprache nehmen.
Niels las vor und erklärte das Vorgelesene, paßte auch seinerseits gut auf und war voller Seligkeit, wenn von dem »unsichtbaren Stein im tiefen Thale«, von den Berggeistern und besonders wenn von dem schwedischen Kriege vor zweihundert Jahren erzählt wurde, als die polnischen Hilfstruppen mit Tartaren, Kalmücken und Türken in das Land kamen. Diese fremden Völker und jene Zeiten waren verschwunden, aber ein Stamm durchzog noch immer die Haide, jenes erwähnte Wandervolk, eine halb mystische Vagabondenschaar, die kaum gekommen wieder verschwunden war, aber stets mit Scheu aufgenommen wurde. Nach der Erklärung des Pfarrers wäre der ihnen in Dänemark beigelegte Name nur eine Verstümmelung des Wortes Kesselflicker, weil sie sich überall zur Ausbesserung der Kessel anböten, aber sie wären sicherlich ein zusammengelaufenes Gesindel, dem man nicht trauen könnte, und gehörten auch nicht derselben Rasse an. Wirkliche Zigeuner gäbe es zwar unter ihnen, und sie wären an ihren schwarzen Adleraugen und ihrer ganzen Gestalt kenntlich; in der letzten Zeit hätte man jedoch nur eine aus echtem Zigeunerblut stammende Person gesehen, nämlich die, mit der Niels zusammengetroffen wäre.
Aus dem Munde ihrer Großmutter, und das war noch aus jener uralten Zeit her, als die Wölfe rudelweise umherliefen und hier alles von wilden Schweinen wimmelte, hatte Musikanten-Grethe gehört, daß sich über die Zigeuner, die damals für vogelfrei galten, jeder selbst Recht verschaffte und ihnen, sobald man es vermochte, die Ohren abschnitt und die Nase aufschlitzte. In dem Silkeborger Walde hätten die Zigeuner einmal Standrecht über einen aus ihrer Mitte gehalten. Nackend ausgezogen, stand der braune Kerl unter einem der großen Bäume und mußte einen weißen Stecken in dem Munde halten; die ganze Schaar schloß einen Kreis um ihn, der Anführer hielt in ihrer heidnischen Sprache eine Rede, spie ihm dann gerade ins Gesicht und die Weiber peitschten ihn aus dem Kreise hinaus. Von dem Augenblicke an war er aus ihrer Genossenschaft ausgestoßen.
Wie lauschte Niels auf solche Erzählungen! Oft ging er weit in die Haide hinaus bis zu jener Stelle, wo sich die Zigeuner gezeigt haben sollten; aber nie traf er dort auf sie, auch sah er Jahre lang keine Fata Morgana mehr, die ihn vor kurzem so sehr überrascht, ja in Angst versetzt hatte.
Der Herbst war verstrichen; das Weihnachtsfest erschien mit dem ersten Schnee, mit allem, was das einsame Landleben Schönes und Erhebendes darbietet. Die Tage des Festes athmeten Leben und Freude. Die Dienstleute tanzten in der Scheune; sie wurden mit Grütze und Apfelkuchen, mit einem steifen Theepunsch, ja sogar mit Grog bewirthet. Musikanten-Grethe spielte Tänze und Volkslieder und die Leute wünschten sich keine bessere Tanzmusik. Draußen war ein starkes Schneegestöber; keine Spur war von der Landstraße, von Thal oder Hügel zu sehen: die Luft selbst war wie ein reißender, wirbelnder Golfstrom von Schnee. Musikanten-Grethe hätte ihr Haus unmöglich erreichen, geschweige denn hineingelangen können; es war von dem herabstürzenden Schnee in den Hügel förmlich hineingedrückt. Selbst der Pfarrhof war verschneit. Alle mußten innerhalb der vier Wände bleiben; in den langen Abendstunden machte Niels dann den Vorleser aus der biblischen Geschichte, von dem Engel und dem jungen Tobias. An das Gelesene knüpfte er Erklärungen und war dabei so eifrig, daß er Japetus Mollerup gar nicht unter seinen Zuhörern bemerkte, bis dieser am Schluß des Ganzen sagte:
»Das war brav, Niels; die Bibelstunde, die du gehalten, verdient alles Lob.«
Als nun Mutter später ihren stillen Gedanken aussprach, fand er schon einen empfänglichen Boden, und für die Zukunft des Knaben trat ein Wendepunkt ein. Wie dort den jungen Tobias, so geleitete auch hier den armen Knaben vom »Runden Thurme« ein Engel Gottes. Ein Verkündiger des Evangeliums, ein redlicher Arbeiter im Weinberge des Herrn sollte er werden.
Bei dem Übermuth der Welt und dem vielen Wissen wichen die jungen Theologen mehr und mehr von dem Wege des wahren Glaubens ab, meinte Japetus Mollerup; segenbringend würde es sein, wenn es ihm vielleicht vergönnt wäre, den frommen Kindessinn zu schirmen und zu stärken und das Wort des Herrn in ihm rein und unverfälscht zu bewahren. Ja, es wäre ein guter, ein richtiger Gedanke von Mutter, daß Niels studiren müßte; Fähigkeiten besäße er, und für das arme Kind müßte in Geist und Wahrheit etwas gethan werden, und dadurch vielleicht sogar für die ganze Kirche.
Japetus Mollerup war einst auf der Universität ein geübter und geachteter Repetent gewesen; außer dem »General« und dessen Bruder, Herrn Schwan, hatte er auch noch, und zwar mit Erfolg, einige andere junge Männer, die tüchtige Beamte geworden sind, zur Universität vorbereitet. Eine Reihe von Jahren war freilich darüber hingegangen, seitdem er als Repetent in den Vorlesungen lebte und webte; in einer oder der andren Disciplin wurde jetzt wohl mehr verlangt; aber in dem Wichtigsten, im Griechischen und Lateinischen, ja selbst in der Mathematik war er, wie er wußte, noch immer vollkommen zu Hause; es würde ihm überdies Freude machen, alle diese alten Übungen wieder aufzufrischen. Niels fing jetzt also ernstlich an, ein echter Lateiner zu werden. Wer hätte das für möglich gehalten, als er auf dem Gange der Regenz stand und seinem Vater half, die Stiefel der Studenten zu putzen.
Beide, der Lehrer wie der Schüler, gingen mit gleichem Eifer an das Werk und dieser nahm sogar noch zu. Der alte Pfarrer hatte eine aufrichtige Herzensfreude dabei, denn Niels eignete sich selbst die trocknen Anfangsgründe leicht und spielend an; hier zeigte sich wahrer Lerneifer und trotzdem, und das war ja ein Zeichen des Glaubens, blieb die Bibel sein liebstes Studium.
Gleichwohl würden wir uns irren, wenn wir glaubten, Niels hätte beständig bei seinen Büchern gesessen; nein, mit der ganzen Munterkeit eines Knaben jagte er auf dem alten Gaule wie auf dem feurigsten Rosse lustig singend nach dem Lehmgraben, um ihn zu tränken. Mit Blaff, dem Kettenhunde, hatte er ein freundschaftliches Verhältnis angeknüpft, er, der sonst vor jedem noch so kleinen Hunde in dem hundereichen Kopenhagen die Flucht ergriffen hatte.