Die Erscheinung kam langsam und schweigsam näher. Als sie direkt vor Scrooge stand, fiel dieser auf die Knie. Die Luft im Zimmer schien auf schlagartig düster und geheimnisvoll. Der Geist war von einem schwarzen Gewand umhüllt und es war nichts anderes von ihm zu sehen, als seine ausgestreckte Hand.
Er sprach nichts, aber Scrooge fragte: "Bist du gekommen, mir die Dinge zu zeigen, die in naher Zukunft geschehen werden?"
Doch der Geist schwieg.
"Du bist doch der Geist der zukünftigen Weihnacht! Dich fürchte ich mehr, als jede mir bisher erschienene Gestalt. Doch weiß ich, dass du mir Gutes tun willst. Ich will von nun an ein anderer Mensch sein und bin bereit, dir voll Dankbarkeit zu folgen", versprach Scrooge.
Wieder gab der Geist keine Antwort, doch diesmal wies er mit seiner Hand den Weg.
"Geh voraus!", wies Scrooge an, "die Nacht ist schnell vorbei und die Zeit ist kostbar für mich."
Scrooge und der Geist gingen in die Stadt. Dort angekommen standen Sie im Herzen der Stadt, auf der Börse, mitten unter den Händlern. Der Geist hielt in der Nähe einer Gruppe von Geschäftsleuten, um ihr Gespräch zu belauschen.
"Nein, viel weiß ich nicht von der Sache", sagte ein fetter Mann, "ich weiß nur, dass er tot ist."
"Wann starb er denn", fragte ein anderer.
"Ich glaube, gestern Nacht."
"Was hat ihm denn gefehlt", fragte wieder ein anderer.
"Woher soll ich das denn wissen", sagte der Erste gähnend.
"Was ist aus seinem Geld geworden?"
"Keine Ahnung. Vielleicht hat er es seiner Firma hinterlassen. Mir hat er jedenfalls nichts vererbt, das hätte ich ja wohl bemerkt."
Die Unterhaltung wurde durch herzhaftes Gelächter wegen dieses Scherzes unterbrochen. Anfänglich war Scrooge verwundert, welch nichtssagenden Gesprächen der Geist lauschte. Doch er war sich sicher, dass dahinter eine bestimmte Absicht steckte. Mit dem Tod seines alten Geschäftspartners Jacob Marley konnte das hier ja nun wirklich nichts zu tun haben, überlegte Scrooge. Denn dieser Geist hier befasste sich mit der Zukunft und nicht mit der Vergangenheit.
Er blickte sich um und suchte vergebens nach sich selbst. Doch stand ein anderer Mann an seiner gewohnten Stelle, obgleich die Uhrzeit bewies, dass er normalerweise anwesend sein müsste.
Scrooge suchte nach sich selbst; aber in seiner gewohnten Ecke stand ein anderer Mann, obwohl gerade die Zeit war, in der er gewöhnlich anwesend war. Auch unter den vielen Leuten, die durchs Tor hereindrängten, war niemand, der auch nur annähernd so aussah wie er selbst. Im Grunde war er darüber aber wenig überrascht; hatte er doch schon lange vor, sein Geschäft aufzugeben. Er hoffte, dass dies ein Zeichen sei, dass es bald zur Verwirklichung seines Planes kommen könnte.
Sie entfernten sich vom geschäftigen Platz und wanderten in einen Teil der Stadt, der durch seine Düsterheit einen schlechten Ruf hatte. Deshalb kannte Scrooge diese Straßen auch nicht.
Sie gingen zu einem niedrigen Laden, in dem alte Lumpen, Flaschen, Knochen, Eisen und schmieriger Abfall gekauft werden konnten. Mittendrin saß ein alter Mann, Pfeife rauchend, ungefähr siebzig Jahre alt, der gegen den Frost schmutzige Lumpen aufgehängt hatte anstatt Gardinen.
Scrooge trat gemeinsam mit der Gestalt auf den Mann zu, als eine Frau zur Tür hereinwankte, in ihrer Hand ein schweres Bündel. Ihr folgte eine in gleicher Weise beladene Frau und hinterher wankte ein Mann, der einen abgewetzten schwarzen Anzug trug. Als die Drei sich ansahen, erschraken sie, ebenso der alte Mann. Doch dann brachen sie in schallendes Gelächter aus.
"Die Putzfrau kommt als Erste an", rief diejenige, die als Erste den Raum betreten hatte; "gleich danach kommt die Waschfrau und dann folgt der Sargträger. Sieh her, Joe, welch ein Zufall, dass wir hier alle zusammentreffen, ohne dass wir vorher davon wussten."
"Es gibt kaum einen besseren Ort dafür", sagte der alte Joe. "Kommt ins Wohnzimmer. Ihr habt schon lange Zutritt und die beiden anderen sind auch nicht fremd."
In der Wohnstube fragte er: "Also, was wollt ihr verkaufen."
Die Putzfrau legte, als Erstes ihr Bündel auf den Boden und sagte: "Seht her, was ich hier habe. Wem soll der Verlust dieser Sachen denn schaden? Doch nicht diesem toten Mann da, oder?"
"Nein, dem bestimmt nicht", entgegnete Mrs. Dilber.
"Wollte der gottlose alte Knauserer sie nach seinem Tode einem bestimmten Zwecke zukommen lassen, dann hätte er sich zu Lebzeiten darum bemüht", sagte die Putzfrau. "Und hätte er sich bemüht, dann hätte er nicht so einsam sterben müssen."
"Ja, das ist wahr", erwiderte Mrs. Dilber, "es ist das Gottesgericht."
"Meinetwegen könnte die Strafe ein wenig schwerer ausfallen", raunte die Putzfrau, "doch leider hatte ich hier nichts zu sagen. Doch nun öffnet das Bündel, Joe, und nennt uns den Wert. Sag es geradeheraus."
Joe kniete vor dem Bündel und löste die vielen Knoten. Er zog eine große schwere Rolle hervor, die aus dunklem Stoff bestand. Verwundert blickte er das Ding an und sagte: "Bettvorhänge?"
Das Weib lachte: "Ja, Bettvorhänge! - Halt, pass auf, dass kein Öl drauftropft."
"Sind das seine Decken?", fragte Joe.
"Na, wessen sonst? Doch bin ich mir sicher, dass er sich auch ohne sie nicht mehr erkälten wird. Seht mal her", rief das Weib und hielt den Stoff hoch, "hier ist sein bestes Hemd, kein Loch zu sehen und wenn ich nicht gewesen wäre, dann hätte man es ihm auf seine letzte Reise noch übergezogen. Welch eine Verschwendung, diesem alten Geizkragen das beste Hemd ins Grab anzuziehen!"
Entsetzt lauschte Scrooge dieser Unterhaltung. "Geist", rief er mit zitternder Stimme, "ich habe erkannt, dass das Schicksal dieses Mannes auch meines sein könnte. Mein Leben verlief bisher in gleichen Bahnen. Grundgütiger Himmel, was ist das?"
Scrooge wich zurück, denn die Szene veränderte sich blitzartig. Er stand vor einem Bett, auf dem zugedeckt mit einem schäbigen Leintuch die Leiche eines unbekannten Mannes lag - geplündert, unbewacht und unbeweint.
"Geist, lass mich erkennen, dass irgendwo jemand um diesen Toten trauert", sagte Scrooge, "oder die Erinnerung daran wird mich allezeit heimsuchen."