Die Meuterer kamen nicht mehr zurück. Der Doktor kümmerte sich um die Verwundeten. Der Pirat, den eine Kugel an der Schießscharte getroffen hatte, starb unter dem Messer des Doktors. Für Hunter taten wir, was wir tun konnten, aber er erlangte das Bewusstsein nicht mehr wieder. Seine Rippen waren durch den Schlag gebrochen worden und beim Stürzen hatte er einen Schädelbruch erlitten. In der folgenden Nacht ging sein Leben zu Ende.
Die Wunden des Kapitäns waren schwer, aber nicht lebensgefährlich. Eine Kugel hatte ihm das Schulterblatt zerschlagen und die Lunge leicht gestreift. Eine zweite Kugel hatte ihm einige Muskeln am Oberschenkel verletzt. Um sich zu erholen, würde er viel Ruhe brauchen.
Nachdem wir zu Mittag gegessen hatten, saßen der Baron und der Doktor an der Seite des Kapitäns und berieten. Als sie sich ausgesprochen hatten, nahm der Doktor seinen Hut und seine Pistolen, steckte sich ein Entermesser in den Gürtel und schob die Karte in seine Tasche. Dann nahm er ein Gewehr über die Schulter, kletterte an der Nordseite über die Palisaden und verschwand mit schnellen Schritten zwischen den Bäumen.
Gray und ich saßen zusammen am anderen Ende des Blockhauses und beobachteten überrascht den Doktor. Gray meinte, dass der Doktor verrückt geworden sein müsse, aber ich sagte: "Ich nehme an, der Doktor hat eine Idee, und wenn mich nicht alles täuscht, dann will er Ben Gunn aufsuchen."
In der engen Hitze der kleinen Fläche zwischen den Palisaden begann ich ihn zu beneiden. Abscheu vor dem vielen Blut und den Toten packte mich. Während ich den Boden des Blockhauses säuberte und das Geschirr abwusch, reifte in mir ein Plan. Ich wusste, dass er dumm und tollkühn war, aber ich wollte ihn mit Vorsicht und Überlegung ausführen.
Als mich niemand beobachtete, füllte ich beide Taschen meines Rockes mit Schiffszwieback Er würde mich zumindest über den nächsten Tag vor dem Verhungern bewahren. Ich nahm mir außerdem ein Paar Pistolen, ein Pulverhorn und Kugeln und fühlte mich gut bewaffnet.
Mein Plan bestand darin, zur sandigen Landzunge zu gehen, die den Ankerplatz im Osten vom offenen Meer trennte. Ich wollte feststellen, ob an dem weißen Felsen wirklich das Boot von Ben Gunn lag.
Als der Baron und Gray dem Kapitän den Verband erneuerten, kletterte ich schnell über die Palisaden und verschwand im Dickicht.
Ich nahm den geraden Weg zur Ostküste der Insel. Bald gelangte ich an den Rand des Waldes und sah vor mir das Meer. Ich ging am Strand entlang, bis vor mir der Ankerplatz lag. Ich sah die ‚Hispaniola', auf der noch immer die Piratenflagge wehte. Längsseits lag eines der Boote. In ihm saß Silver. Einige Männer lehnten über die Heckreling. Sie schienen zu sprechen und zu lachen.
Schließlich legte das Boot ab und fuhr zum Ufer. Zur selben Zeit war die Sonne hinter dem Fernrohr-Berg untergegangen, der Nebel verdichtete sich schnell, und es begann dunkel zu werden. Ich durfte keine Zeit mehr verlieren, wenn ich das Boot noch an diesem Abend finden wollte.
Der weiße Felsen war noch deutlich zu erkennen. Ich brauchte eine ganze Weile, um ihn zu erreichen, wobei ich oft auf allen Vieren durch das Gestrüpp kroch. Die Nacht war fast hereingebrochen, als ich den rauen Felsen berührte. Genau darunter befand sich eine sehr schmale Mulde, mit grünem Rasen bedeckt, die von Dünen und kniehohem Unterholz verborgen wurde. Mitten in dieser Mulde stand tatsächlich ein kleines Zelt aus Ziegenfell.
Ich sprang hinunter, hob eine Seite des Zeltes in die Höhe, und vor mir lag Ben Gunns Boot. Es war von vorn bis hinten selbst gebaut. Über ein derbes, schiefwandiges Rahmenwerk aus Holz war, mit der Haarseite nach außen, eine Haut aus Ziegenfellen gespannt. Das Ding war ausgesprochen schmal, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass es einen erwachsenen Menschen tragen würde. Es hatte eine sehr niedrige Sitzbank, eine Art Fußstütze am Bug und ein Doppelpaddel zum Fortbewegen.
Eigentlich hätte mein geheimes Abenteuer nun zu Ende sein können, denn ich hatte das Boot gefunden. Doch inzwischen war mir ein weiterer Gedanke gekommen. Ich wollte unter dem Schutz der Nacht hinausfahren, das Ankertau der ‚Hispaniola' kappen und sie ans Ufer treiben lassen. So wollte ich verhindern, dass die Meuterer den Anker liften, um nach ihrer Niederlage in See zu stechen.
Beim Warten auf die Dunkelheit verzehrte ich einen guten Teil meines Zwiebacks. Als der letzte Schimmer des Tageslichtes verschwand, breitete sich undurchdringliche Finsternis über die Schatzinsel aus. Als ich schließlich das Lederboot auf die Schulter nahm und an den Strand kam, waren von dem ganzen Ankerplatz nur noch zwei Punkte zu erkennen.
Der eine war das große Feuer am Strand, um das die besiegten Piraten lagen und zechten. Der andere war nur ein verschwommener Lichtschimmer in der Dunkelheit und zeigte die Position des ankernden Schiffes an.
Die Ebbe hatte bereits eine Weile begonnen, und ich musste durch einen breiten Gürtel von nassem Sand waten, ehe ich an den Rand des Wassers kam. Ich watete ein kleines Stück hinein, und mit einiger Kraft und Geschicklichkeit gelang es mir, das Lederboot mit dem Kiel nach unten auf das Wasser zu setzen.