Wiederum einen Tag später erschien ein gewisser Lord Wilmore beim Bürgermeister von Marseille um sich über die finanzielle Lage des Hauses Morel zu erkundigen. Er stellte sich als Beauftragter des Bankhauses Thomson und French in Rom vor, das seit zehn Jahren mit dem Haus Morel und Sohn in Marseille Geschäfte tätigte.
Der Bürgermeister verwies Lord Wilmore, der kein geringerer als Edmond Dantes war, an den Inspektor des Gefängnisses, Herrn von Boville, der bei Morel mit 200 000 Francs beteiligt war und um diese Summe fürchtete.
Der Engländer erzählte Herrn von Boville von seinem Gespräch mit dem Bürgermeister.
"Oh, mein Herr, meine Befürchtungen sind leider nur zu sehr begründet. Sie sehen einen verzweifelten Mann vor sich stehen. Die angelegte Summe war die Mitgift für meine Tochter, die in vierzehn Tagen heiraten soll. Nun habe ich auch noch vor einer halben Stunde erfahren, dass die Pharao nicht pünktlich einliefe und Herr Morel sich außerstande sieht, zu zahlen."
Dantes bot an, angeblich im Namen seines Bankhauses, die Schuldscheine abzukaufen. Als Gegenleistung bat er um Einsicht in die Gefängnisakte des Abbé Faria, von dem er behauptete, dass er in jungen Jahren sein Lehrer gewesen war.
"Kommen Sie in mein Kabinett, ich will Ihnen die Akte zeigen." Und beide gingen in einen Raum, in dem vollkommene Ordnung herrschte. Jedes Register hatte eine Nummer, jedes Aktenheft sein Fach. Herr von Boville legte Edmond die Akten vor und setzte sich mit einer Zeitung in einen Winkel des Zimmers.
Edmond Dantes fand ohne Schwierigkeiten alles, was ihn interessierte. Er blätterte, bis er zu seinem eigenen Heft gekommen war. Es war alles einsortiert: Der Brief an den Staatsanwalt, Verhör, Bittschrift von Herrn Morel und Randbemerkungen von Herrn von Villefort in der stand, dass Dantes im geheimsten Gewahrsam und unter strengster Aufsicht zu halten wäre.
Edmond räumte alles wieder an seinen Platz, nur den Brief steckte er heimlich in seine Tasche, bedankte sich bei Herrn von Boville und blätterte 200 000 Francs auf den Tisch.
Der gute Herr Morel war nicht nur am Ende seiner finanziellen, sondern auch seiner seelischen Kräfte. In dieser Situation fand sich der Vertreter von Thomson und French bei ihm ein. Während dieses Gespräches, stürzte Julie Morel, seine Tochter, herein und überbrachte die schreckliche Nachricht, dass die Pharao gesunken sein.
Lord Wilmore bot an die Kredite, die Morel bei Thomson und French laufen hatte, um weitere drei Monate zu verlängern, damit er seine Angelegenheiten regeln konnte. "Wir verlängern Ihre Papiere auf den 5. September um elf Uhr morgens - da werde ich wieder zu ihnen kommen."
"Ich werde Sie erwarten, mein Herr, und Sie werden ihre Bezahlung erhalten, oder ich bin tot", die letzten Worte setzte Morel leise hinzu.
Als der Engländer das Haus verlassen wollte, traf er auf Julie Morel. "Mein Fräulein, sie werden eines Tages einen Brief, unterzeichnet mit "Sindbad, der Seefahrer", erhalten. Tun Sie genau, was darin steht, versprechen Sie mir das?"
"Gut, mein Herr, ich schwöre es Ihnen."
Der 5. September rückte unweigerlich immer näher und die finanzielle Situation von Herrn Morel erholte sich nicht im Geringsten. Auch eine Reise nach Paris, wo er Danglars um Kredit bat, verlief ohne Erfolg und er kehrte wie gelähmt von der Demütigung zurück.
Damit waren alle Hoffnungen zunichte gemacht, sein Geschäft und seinen guten Namen zu retten. Sein Entschluss stand fest, die Pistole war bereits geladen - denn der Tod schien ihm der einzige ehrenvolle Ausweg aus der Schande zu sein.
Doch es kam anders. Am 5. September erhielt Julie Morel einen Brief in dem sie gebeten wurde, in die frühere Wohnung des Vaters von Edmond Dantes zu kommen. Er war unterschrieben mit "Sindbad der Seefahrer". In dieser Wohnung fand sie eine Geldbörse, in der die vom Bankhaus Thomson und French in Rom eingelösten Schuldscheine lagen, außerdem ein überaus kostbares Juwel, das ausdrücklich für ihre Hochzeit bestimmt war.
Sie eilte zurück nach Hause. Ihre Eltern, ihr Bruder Maximilian und ihr zukünftiger Mann, konnten alles noch gar nicht fassen, als ein junger Mann hereinstürmte und die Nachricht überbrachte, dass die Pharao gerade in den Hafen einlief. Sie konnten es nicht glauben, also liefen sie voller Zweifel Marseilles Prachtstraße hinab.
Jubelnde Menschen, begrüßten sie. Schon von weitem sah man ein Schiff in den Hafen einlaufen, das nahezu wie die Pharao aussah. An seinem Bug prangte die Aufschrift: Pharao - Morel und Sohn - Marseille. Die Laderäume waren bis oben mit Indigo und Seide gefüllt. Die Mannschaft war vollzählig an Bord.
In ihrer Freude, ihrem Glück und ihrer grenzenlosen Verwirrung beachteten sie nicht die elegante Jacht, die zur gleichen Stunde aufs offene Meer hinaussegelte. An Deck stand Edmond Dantes, der zufrieden lächelnd auf die Stadt zurückblickte. "Ich habe Vorsehung gespielt und die Guten belohnt - jetzt werde ich mich aufmachen, um die Bösen zu bestrafen!"