Captain nahm als ausgebildetes Militärpferd mit seinem ersten Herrn, der Offizier war, am Krimkrieg teil. Captain war damals ein schöner Schimmel, dem es ungeheuren Spaß bereitete, mit den anderen Pferden zu traben, zu wenden oder im Galopp zu Trompetenklängen den Zeichen des Obersten zu folgen. Er wurde von seinem ersten Herrn, der ein junger, beherzter Mensch war, liebevoll und sorgfältig behandelt.
Nur die Seereisen, die Captain bei diesem Besitzer über sich ergehen lassen musste, die fand er schrecklich. Man schlang ihm Gurte um den Körper und hievte ihn durch die Luft an Bord des großen Schiffes. Während das Schiff heftigen Seegang hatte, standen die Pferde in dunklen, fensterlosen Boxen, in denen sie weder liegen noch die Beine ausstrecken konnten. Am Ende wurden sie wieder mit Gurten versehen an Land gehievt.
Captain erzählte mir mehr aus dieser schrecklichen Zeit. "Wir wurden zwar gut versorgt, aber das neue Land war so ganz anders. Es war kälter und Sturm, Schnee und Regen machten uns sehr zu schaffen. Der Krieg an sich war für uns eher spannend. Wenn wir durch die Trompete aufgefordert wurden, wieder loszugaloppieren, waren wir voll dabei. Für uns gab es weder Granaten noch Bajonette. Jedoch war es eher selten, dass ein Pferd mit seinem Herrn unverwundet aus einer Schlacht hervorging. Wir hatten viel Glück. Doch wir sahen während dieser Zeit viel Elend, Pferde, die niedergeschossen oder von Lanzen durchbohrt waren. Manche lagen noch im Todeskampf. Ich musste mich nie fürchten, weil die Stimme meines Herrn mich stets mit Sicherheit erfüllte. Ich vertraute ihm voll und ganz. Ich sah viele Männer sterben, ritt über blutigen Boden und fürchtete mich trotzdem nicht. Bis eines Tages etwas Schreckliches passierte …"
Geduldig wartete ich, bis der alte Captain sich wieder gesammelt hatte. Die Erzählung schien ihn heute noch mitzunehmen. Dann erzählte er weiter: "An einem Herbsttag geschah es dann. Bei Tagesanbruch hörten wir Kanonendonner, das Lager war bereits auf den Beinen und auf das erste Kommando saßen alle im Sattel und waren in Bereitschaft. Wir Pferde standen unter Spannung und es war allein unserer guten Erziehung zu verdanken, dass wir ruhig standen und lediglich die Köpfe hin und her warfen.
Mein Herr führte mit mir die Truppe an. Er strich eine Strähne meiner Mähne glatt, klopfte liebevoll auf meinen Hals und flüsterte mir ins Ohr, dass uns ein wahrhaft schwerer Tag bevorstünde. Er schien an jenem Tag besinnlicher zu sein als gewöhnlich. Und weil ich ihn und sein Streicheln so mochte, wölbte ich ihm meinen Hals entgegen. Es sollte unser letzter gemeinsamer Angriff sein an diesem Tag.
An jedes Detail kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber es war ein grauenvoller Kampf und es war das stärkste Feuergefecht, das ich je mitgemacht hatte. Doch keiner der Gegner schien nachzugeben. Mein Herr war gerade dabei, seine Kameraden anzutreiben und zu bestärken, als eine Kugel an meinem Kopf vorbei ihn direkt traf. Schweigend schwankte er auf meinem Rücken, ich versuchte langsamer zu werden, aber dann fiel sein Degen und kurz darauf er selbst auf die Erde.
Das Chaos des Kampfes sorgte dafür, dass die anderen Reiter mich vom Ort des Geschehens abdrängten. Ich aber versuchte mit aller Macht, ihn davor zu schützen, zertrampelt zu werden. Es war aussichtslos. Führerlos zog die Geschwindigkeit des Kampfes mich mit und mich überkam ein heftiges Zittern. Ich versuchte trotz meiner unbändigen Furcht mich bei den Pferden, die noch Reiter hatten, einzufinden. Aber sie jagten mich immer weg.
Bis sich ein Mann auf meinen Rücken schwang, dessen Pferd unter ihm das Leben ließ. Nun hatte ich zwar einen Reiter, aber wir hatten den Kampf verloren. Das Schlachtfeld sah inzwischen auch aus wie ein solches. Tote und Sterbende, Menschen und Pferde gleichermaßen … ein erbärmliches Bild, das ich nie vergessen werde. Tierärzte erlösten die schwer verwundeten Pferde mit einem Schuss, die leichter verletzten wurden, versorgt. Die noch lebenden Menschen wurden alle ins Lazarett gebracht.
Die Mehrzahl unserer Pferde blieben auf dem Schlachtfeld. Meinen Herrn habe ich nie wieder gesehen. Ich wechselte dann noch öfter den Besitzer, aber so einen Herrn habe ich nie wieder bekommen. Einmal wurde ich leicht verletzt. Am Ende des Krieges brachte man mich gesund und kräftig zurück nach England."
Ich selbst hatte bis dahin immer nur Schönes aus den Kriegen gehört von den Menschen. Das sagte ich Captain auch.
"Die Leute, die so reden, haben wahrscheinlich noch nie einen richtigen Krieg erlebt", sagte mein Freund. "Die Übungen und die Ausbildung zum Militärpferd - ja, das macht Freude. Aber wenn du zusehen musst, wie tausende unverzagter, guter Männer und Pferde ums Leben kommen oder als Krüppel enden, dann denkst du ganz anders darüber."
Ich fragte noch, ob Captain wüsste, um was es in diesem Kampf überhaupt gegangen war.
Er verneinte. "Wahrscheinlich kann das ein Pferd gar nicht verstehen", meinte er, "aber es muss schon ein böser Feind sein, wenn man absichtlich übers Meer fährt, um so eine Schlacht zu führen."