Zu dieser Zeit stand ich meist im Stall. Mein Fell glänzte wie Rabengefieder, weil sie mich täglich bürsteten. Anfang Mai holte mich einer der Leute des Gutsbesitzers Gordon ab. "Machs gut, Darkie", flüsterte mein Herr mir ins Ohr, "bleib ein gutes Pferd und gib auf dich Acht."
Ich berührte seine Hand mit meinen Nüstern - er verstand meinen Abschiedsgruß. Dann verließ ich meine Heimat. Einige Jahre blieb ich auf Mr. Gordons Gutshof, deshalb will ich auf diese Zeit genauer eingehen.
Das Gut lag am Rande des Dorfes Birtwick. Durch ein Eisentor, bei dem ein Wärterhäuschen stand, gelangte man über einen schönen breiten Weg durch den Park zu einem zweiten Tor; ebenfalls mit Häuschen.
Nun erblickte man auf der rechten Seite das Wohnhaus mit Garten und die dazugehörigen Nebengebäude. Die Ställe lagen geradeaus. Dahinter war eine eingezäunte Wiese mit Obstbäumen. An Platz mangelte es nicht, denn allein der Stall, in dem ich stand, bot Platz für vier Pferde und durch das Fenster sah man die Bäume.
Die erste Box war die Größte und in ihr konnte sich ein Pferd frei bewegen. Die anderen Plätze waren herkömmliche schmale Unterstände, in denen Pferde angebunden stehen.
Der Knecht führte mich in die große Box. Sie war sauber und nie war ich besser beherbergt. Über den niedrigen Seitenwänden waren Eisenstangen angebracht, durch die ich den ganzen Stall überblicken konnte. Der Knecht fütterte mich mit leckerem Hafer, tätschelte mich und redete mir freundlich zu. Dann ging er weiter.
Nachdem ich mich satt gefressen hatte, schaute ich mich um. Ein kleines, dralles, graues Pony mit ungewöhnlich dichter Mähne und einem besonders schönen, langen Schweif und einer vorwitzigen Nase stand in der Box neben mir. Ich streckte meinen Kopf über die Wand und fragte: "Wie heißt du? Wie geht es dir?"
Das Pony drehte den Kopf nach mir um, so weit sein Strick es eben zuließ und antwortete: "Ich heiße Merrylegs. Sie halten viel von mir, weil ich sehr brav bin. Ich trage die jungen Damen auf meinem Rücken und gelegentlich fahre ich die Herrin in ihrem Einspänner. James mag mich auch. Bist du jetzt mein neuer Nachbar?"
"Ja, ich wohne jetzt hier."
"Gut", sagte es, "hoffentlich bist du anständig. Ich mag keine Zeitgenossen die beißen."
Just in diesem Moment sah ich den Pferdekopf über der übernächsten Wand. Die große Fuchsstute blickte mich skeptisch an. Sie hatte einen langen, schlanken Hals und sagte: "Du bist das also, der mich aus meiner Box vertrieben hat. Weißt du eigentlich, dass es sich für ein Fohlen nicht geziemt, einer Dame den Platz zu stehlen?"
Empört erklärte ich, dass ich darauf keinen Einfluss hätte. "Außerdem bin ich kein Fohlen mehr. Immerhin bin ich schon vier Jahre alt. Und zanken will ich auch nicht, das habe ich noch nie getan."
Doch die Stute schien das nicht zu verstehen. "Mit einem so jungen Ding wie dir muss ich mich streiten."
Ich blieb still. Am Nachmittag, als sie fort war, erzählte mir Merrylegs die Geschichte von Ginger. "Du musst wissen, dass Ginger beißt. Sie hat zuvor in deiner Box gestanden. Einmal hat sie James so in den Arm gebissen, dass er blutete und selbst die Mädchen fürchten sich derart vor ihr, dass sie nicht mehr in den Stall kamen. Früher brachten sie mir immer einen Apfel, ein Stück Brot oder eine Karotte mit. Ich vermisse sie sehr. Wenn du ihnen nichts tust, dann besuchen sie uns vielleicht."
Nichts lag mir ferner, als jemandem weh zu tun. Ich sagte Merrylegs, dass ich ausschließlich Gras, Heu und Hafer fresse und mir nicht erklären könnte, weshalb Ginger beißen würde.
"Wahrscheinlich ist es nur eine Unart", antwortete Merrylegs. "Sie erzählte mir einmal, dass noch nie jemand nett zu ihr gewesen wäre. John bemüht sich zwar sehr um sie und unser Herr nimmt niemals die Peitsche, solange ein Pferd brav ist. Eigentlich müsste sie inzwischen verstanden haben, dass ein Pferd es nirgends besser haben kann als hier; sie könnte das Beißen sein lassen. Und James, der Stallknecht ist so aufmerksam, du wirst keinen Besseren finden. Deshalb meine ich, dass Ginger selbst schuld ist, dass sie in eine andere Box musste."