Aber worin immer ihre Gründe bestehen mochten: Delphine spielte mit Rastignac und fand Gefallen an diesem Spiel. Sicher, weil sie sich geliebt wußte und weil sie, ganz nach ihrer königlichen Willkür als Frau, sich bewußt war, eines Tages den Kummer ihres Geliebten vertreiben zu können. Aus Selbstachtung wünschte Eugen nicht, daß sein erster Kampf mit einer Niederlage endete, und er verfolgte sein Ziel weiter als der Jäger, der unbedingt am Hubertustage sein Huhn erlegen will. Sein Liebeskummer, seine beleidigte Eigenliebe, seine falsche oder wahre Verzweiflung, alles dies fesselte ihn mehr und mehr an diese Frau. Ganz Paris sprach ihm die Eroberung der Madame de Nücingen zu, obwohl er noch nicht weiter war als am ersten Tage. Er wußte noch nicht, daß die Koketterie einer Frau dem Mann oft größere Befriedigung bereiten kann als ihre Liebe selbst, und er geriet so in törichte Wut. Die Frucht, die ihm so lange entzogen wurde, wurde ihm so immer teurer und erschien ihm immer verlockender. Manchmal, wenn er sich ohne einen Sou und ohne Zukunft sah, dachte er, trotz der Stimme seines Gewissens, an die Glücksmöglichkeiten, die ihm Vautrin in einer Heirat mit Fräulein Taillefer gezeigt hatte. Er befand sich jetzt wieder in einem Zustand, in dem sein Elend so laut sprach, daß er fast unbewußt den Künsten der schrecklichen Sphinx nachgab, deren Blicke ihn so oft in ihren Bann gezogen hatten. Als Poiret und Fräulein Michonneau nach oben gingen, sah Rastignac, der sich allein zwischen Madame Vauquer und der Strümpfe strickenden Madame Couture glaubte, Fräulein Taillefer so zärtlich an, daß sie die Augen senkte.
»Haben Sie etwa Kummer, Herr Eugen?« sagte sie nach einem Augenblick des Schweigens.
»Welcher Mensch hat keinen Kummer?« erwiderte Rastignac. »Wenn wir jungen Leute sicher wären, daß man uns zum Dank für alle Opfer, zu denen wir stets bereit sind, aufrichtig liebte, so hätten wir vielleicht niemals Kummer.«
Fräulein Taillefer warf ihm statt aller Antwort einen recht vielsagenden Blick zu. –
»Sie, mein Fräulein, glauben sich heute Ihres Herzens sicher, aber bürgen Sie dafür, daß Sie sich niemals ändern werden?«
Ein Lächeln irrte über die Lippen des jungen Mädchens, das wie ein Strahl aus ihrer Seele war. Ihr Gesicht leuchtete so, daß Eugen fast darüber erschrak, einen so heftigen Gefühlsausbruch hervorgerufen zu haben. –
»Wie? Wenn Sie morgen reich und glücklich wären? Wenn Ihnen ein großes Vermögen in den Schoß fiele, würden Sie dann noch den armen jungen Mann lieben, dem Sie in den Tagen der Not Ihr Herz zuwandten?«
Sie bestätigte mit einem zierlichen Kopfnicken.