Grundschüler haben kein Recht darauf, in Ethik statt in Religion unterrichtet zu werden. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil. Viele kritisieren diese Entscheidung. Sie sei nicht mehr zeitgemäß.
Ethik statt Religionsunterricht in der Grundschule – diese Möglichkeit gibt es im Bundesland Baden-Württemberg nicht. Eine Klage dagegen wies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ab. Denn es gibt keinen rechtlichen Anspruch auf Ethik-Unterricht in den ersten vier Klassen. Die Richter begründeten ihr Urteil insbesondere damit, dass Religionsunterricht laut Grundgesetz in staatlichen Schulen ein Pflichtfach ist.
Viele Kritiker halten dieses traditionelle Rechtsverständnis für überholt. Doro Moritz, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Baden-Württemberg, findet das Festhalten am klassischen Religionsunterricht nicht mehr zeitgemäß. Sie fordert, dass man sich der Gesellschaft, die sich verändert, anpassen soll.
Viele Landesregierungen sehen das genauso: In neun von 16 Bundesländern gibt es bereits Alternativen zum Religionsunterricht: etwa in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg und auch im katholischen Bayern. In Berlin ist Ethik sogar Pflichtfach für alle Grundschüler. Diese starken Unterschiede gibt es, weil in Deutschland die einzelnen Bundesländer jeweils über die Bildung entscheiden.
Anna Ignatius, Mutter von drei Söhnen, findet das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ungerecht. Sie kritisiert, dass dadurch ihren konfessionslosen Kindern eine ethisch-moralische Bildung in der Grundschule verwehrt wird. Jetzt will sie vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehen. Die Entscheidung über das Recht auf Ethikunterricht soll dann die höchste richterliche Instanz in Deutschland fällen.Glossar
Anspruch, Ansprüche (m.) – das Recht; das Anrecht
Grundschule, -n (f.) – die Schule, die Kinder in Deutschland die ersten vier Schuljahre besuchen und in der sie Lesen und Schreiben lernen
Bundesverwaltungsgericht, -e (n.) – eines der obersten Gerichte in Deutschland
Urteil, -e (n.) – die Entscheidung eines Gerichts
zeitgemäß – zur heutigen Zeit passend; modern
eine Klage ab|weisen – jemandem vor Gericht nicht Recht geben
rechtlich – so, dass es im Gesetz steht
Pflichtfach, -fächer (n.) – ein Schulfach, das man belegen muss
Rechtsverständnis (n., nur Singular) – die Art und Weise, wie man ein bestimmtes Gesetz interpretiert
überholt – hier: altmodisch; nicht mehr →zeitgemäß
Gewerkschaft, -en (f.) – eine Organisation, die sich für die Rechte der Arbeitnehmer einsetzt
Festhalten (n., nur Singular) – hier: die Tatsache, dass man etwas nicht ändert
konfessionslos – so, dass man keiner Religion angehört
jemandem etwas verwehren – jemandem etwas verweigern; jemandem etwas nicht ermöglichen
vor Gericht gehen – beim Gericht gegen etwas klagen
Bundesverfassungsgericht (n., nur Singular) – oberstes Gericht in Deutschland, dessen Entscheidungen die Richtlinien für andere Gerichte sind
richterlich – juristisch; einen Richter oder ein Gericht betreffend
Instanz, -en (f.) – die Stelle einer Behörde, die für etwas zuständig ist
eine Entscheidung fällen – etwas entscheiden; in einem Prozess vor Gericht entscheiden