Im kalten Krieg wollten auch die USA die russische Seele zeigen, vor allem wenn sie unter den Bolschewiken leidet. Mit viel Herz und Schmerz und einem winterlichen Kunstrussland in Spanien bei 38 Grad. Autorin: Christiane Neukirch
Wenn man es damals gewusst hätte, hätte man ein Bergfest feiern können im Sommer 1964. Genau die Hälfte des Kalten Krieges ist überstanden. In Hollywood ist klar, wer jetzt die Guten sind und wer die Bösen. Russische Schurken haben die deutschen Nazifieslinge abgelöst. Doch abgeschottet hinter Betonmauern und Wällen aus Propaganda gewinnt die geschmähte Weltmacht im Osten auch an Faszination: es wächst der Mythos des geheimnisvollen "Mütterchen Russland", dessen unendliche Weiten tiefsinnige Dichter und starke Überlebenskünstler hervorbringen.
Wo ist Russland?
In dieser Zeit fällt dem Hollywood-Produzenten Carlo Ponti ein Buch in die Hände, das kurz zuvor für Wirbel gesorgt hat: "Doktor Schiwago" von Boris Pasternak. Die Handlung spielt im revolutionsgebeutelten Russland; und Pasternak lässt keinen Zweifel daran, wie brutal die Bolschewiken die neue Gesellschaftsordnung vorantreiben. Das bedeutete: Druckverbot. Das Werk erschien daher zunächst nur im Westen, finanziert von der CIA. Den Literaturnobelpreis, den Pasternak dafür erhielt, verstand die sowjetische Regierung als Provokation.
So kommt es, dass im Sommer 1964 sowjetische Truppen mitten durch Spanien marschieren. Befehligt werden sie von David Lean. Der britische Regisseur ist Spezialist für Filme mit exotischen Schauplätzen. Er hat den Auftrag, Pasternaks Buchfigur, den schweigsamen Dichter und Doktor Schiwago, zum Kinokassenerfolg zu führen. In der Sowjetunio darf er nicht drehen. Wo sonst aber bekommt man alles das, was Russland ausmacht? Die Weite, die Hügel, die Wege, die Jahreszeiten - das richtige Gefühl? Lean probiert Hollywood, er probiert Jugoslawien und Finnland, aber nirgends findet er die passende Stimmung. Sein Szenenbildner John Box gibt ihm schließlich den entscheidenden Tipp: Spanien!
Ein heißer Winter
So entsteht im Norden von Madrid das alte Moskau neu. In der kastilischen Hochebene, bereitet sich eine Armee von Schauspielern, Pferden und Hilfskräften auf ihren heißesten Sturmangriff vor. Die Szene soll die Zuschauer im russischen Winterfrost erschauern lassen. Doch bei 38 Grad im Schatten ist das schwer. Man weiß sich zu helfen: Bis zum Horizont wird der Boden mit weißer Plastikfolie belegt und mit hunderten Tonnen Marmorstaub beschneit. Styropor bedeckt die Bäume, Nebelmaschinen sorgen für die Illusion von Schneestaub in der Luft. Während die Crew hinter der Kamera schon mit nacktem Oberkörper schwitzt, sitzen die Schauspieler in Wintermänteln und Pelzmützen auf ihren Pferden.
Eines Nachts erwachen die Bewohner der umliegenden Dörfer von ungewohnten Klängen: Tausend Stimmen schmettern die "Internationale" - mit einer solchen Inbrunst, dass kurz darauf die spanische Polizei auf dem nächtlichen Filmset erscheint, die Gewehre griffbereit. Was Spaniens herrschender Diktator Franco am wenigsten gebrauchen könnte, wäre ein kommunistischer Aufstand. Es dauert eine Weile, bis die Polizisten überzeugt sind, dass es sich nur um eine Filmszene handelt.