Für die einen ist es simpel ein Gangsterstreifen, andere deuten die Weltgeschichte hinein - zumindest die deutsche Zeitgeschichte, denn das soll "Dr. Mabuse" sein: Ein Bild seiner Zeit. Autor: Markus Mähner
Eine Szene wie im Western oder einem Gangsterfilm a la Chicago 1930:
Einige Männer haben sich in einem Haus verbarrikadiert. Durch die schmalen Schlitze, die noch in den Fenstern frei sind, ragen die Läufe ihrer Gewehre und Revolver. Unten, auf der Straße, liegt bereits ein Erschossener. Über seinem leblosen Körper weht der Pulverrauch des Gegenfeuers, das aus allen Straßenecken heraus gegen die Fenster der Wohnung kaskadiert. Da, durch den Nebel hindurch taucht eine Truppe Männer mit Stahlhelmen und Gewehren auf: Die Kavallerie? Das Militär!
Denn diese Szene spielt weder im Wilden Westen, noch in einer amerikanischen Großstadt. Es ist das Berlin der jungen Weimarer Republik! Inszeniert hat es Fritz Lang in seinem Film "Dr. Mabuse, der Spieler", inspiriert durch einen Vorfall in Paris 1921: Zum ersten Mal in Europa hatten sich Kriminelle so stark organisiert, dass die Polizei nicht mehr gegen sie angehen konnte. Lang erkennt ein neues Zeitalter des organisierten Verbrechens. So sagt Mabuse in Langs Film sinngemäß zur Polizei: Er fühle sich, wie ein Staat im Staate, und mit dem lebe er im Kriegszustand.
Bild der Zeit
Und so sollte Berlin sein? Die Zuschauer, die das am 26. Mai 1922 zum ersten Mal sahen, widersprachen nicht. Und auch die Kritiker damals wie noch heute bestätigen dem Film: Er spiegle wie kein anderer die Zeit nach dem ersten Weltkrieg wider mit ihrem unauflöslichen Gegensatz von Armut und Dekadenz. Exzess, Alkohol, Kokain, Finanzspekulation, Orgien, Flucht in Okkultismus, Prostitution, Laster und Spielhöllen - nichts spart Fritz Lang aus in seinem
"Bild der Zeit" - so der Untertitel des Films.
Mitten darin: Mabuse, anerkannter Doktor der noch jungen Psychoanalyse und eiskalt berechnender Gauner. Ein Zocker vor dem Herrn, der nicht nur dem Karten- und Glücksspiel frönt. Am liebsten spielt er mit den Menschen und ihren Schicksalen, denn alles sei Spiel, so Mabuse. Indem er mit Hilfe von Hypnose anderen Menschen seinen Willen aufzwingt, seinen Willen zur Macht!
Das Wort Nietzsches wird da nicht zufällig Mabuse in den Mund gelegt, denn sein Vorbild ist der Übermensch, wie ihn Nietzsche beschrieben hat.
Düstere Vorahnung und Gaukelei
Da wundert es keineswegs, dass nicht nur Siegfried Kracauer in seiner berühmten Filmgeschichte "Von Caligari bis Hitler" in Mabuse die filmische Personifizierung des Diktators sah. Wenn auch Fritz Lang diesen Vergleich stets zurückwies, so legte er doch in seiner zehn Jahre später, also 1932, erschienenen Fortsetzung “Das Testament des Dr. Mabuse“ dem Geist des größenwahnsinnigen Kriminellen Worte Goebbels und anderer NS-Ideologen in den Mund.