Man wird ein Mann, wenn man sich nicht ins Bockshorn jagen lässt. Dann kann man wie Anthony Quinn ein großer Schauspieler werden, trotz Sprachfehler, oder wird als irischer Mexikaner Inbegriff des Griechen, für den eigens ein Sirtaki erfunden wird. Autor: Herbert Becker
Es gibt Menschen, die sind wie Vulkane, die reinsten Naturgewalten: Überwältigend, mitreißend, unwiderstehlich. Was sie anpacken, gelingt ihnen, Unmögliches gibt es in ihrem Leben nicht, und durch die Probleme, die sich ihnen in den Weg stellen, gehen sie hindurch wie eine Pistolenkugel durch ein feuchtes Blatt Löschpapier. Ihre Erfolge verdanken sie nicht ihrer Herkunft, sondern ihrer eigenen Kraft, ihrem Charme, ihrem Charisma.
Selbst ist der Mann
Anthony Quinn war einer von dieser Sorte. Seine Mutter, eine Mexikanerin mit aztekischen Vorfahren, war fünfzehn Jahre alt und bitterarm, als sie ihn am
21. April 1915 zur Welt brachte; der Vater, halb Mexikaner, halb Ire, war siebzehn und hatte sich in der mexikanischen Revolution dem legendären Rebellen Pancho Villa angeschlossen; als Ernährer fiel er zunächst einmal aus. Erst später, in Kalifornien, wo seine Frau Zuflucht vor dem ärgsten Elend gesucht hatte, ließ er sich wieder blicken, allerdings starb er schon wenige Jahre darauf bei einem Autounfall. Der Sohn, noch nicht einmal zwölf, musste seinen Lebensunterhalt weitgehend selbst verdienen; er arbeitete in einer Textilfabrik, in einem Schlachthaus und als Erntehelfer, er war Zeitungsausträger, Maurer und Boxer.
Gleichzeitig war er von den schönen Dingen des Lebens magisch angezogen, er zeichnete und malte, er lernte Saxophonspielen und Bildhauern. Der Sprachfehler, den er hatte, hätte andere veranlasst, sich zurückzuziehen; bei ihm bewirkte er das genaue Gegenteil: Als er mit siebzehn begann, Architektur zu studieren, nahm er seinen berühmten Lehrer Frank Lloyd Wright so von sich ein, dass ihm der eine Zungenoperation bezahlte. Bei dem anschließenden Sprachunterricht erwachte sein Interesse an der Schauspielkunst.
Quinns Sirtaki
Mit 25 erhielt er die US-Staatsbürgerschaft. Aus dem Mexikaner Antonio Rodolfo Quinn Oaxaca wurde der Amerikaner Anthony Quinn.
Den sah man bald auf der Bühne und im Film, zuerst in Neben- dann in Hauptrollen. In mehr als 150 Filmen spielte er mit. Er verkörperte Mexikaner, Indianer, Araber und Angehörige vieler anderer Ethnien, aber so richtig auf den Leib geschrieben war ihm die Rolle des Griechen Alexis Sorbas. Weil er kein großer Tänzer war, entwickelte man eigens für ihn jenen Sirtaki mit der einfachen Schrittfolge, der heute als der Inbegriff des griechischen Volkstanzes gilt.
Egal, in welchem Land er vor der Kamera stand, in den Drehpausen versuchte er so viel wie möglich von dessen Kunst und Kultur kennen zu lernen. Und was er sah, verarbeitete er in eigenen Gemälden und Skulpturen. Er schrieb ein paar Bücher, führte selber Regie, betätigte sich als Designer für Uhren und Schmuck - und ließ es auch in seinem Privatleben ziemlich krachen. Aus drei Ehen und einer Reihe anderer Beziehungen hatte er 13 Kinder; als er das letzte Mal Vater wurde, war er über achtzig.