Göttliche Offenbarung macht Propheten zu Dichtern. Und jedem Volk wird ein Prophet in eigener Sprache geschickt. Auch für Goethe spricht Gott in verschiedenen Sprachen. Wenn die Menschen nur das, was Gott über den Frieden sagt, verstünden… Autorin: Susanne Tölke
“Ein Buch ist wie ein Spiegel: Wenn ein Affe hineinschaut, kann kein Weiser herausschauen.“ Dieser schöne Satz von Lichtenberg gilt für alle Bücher, ganz besonders aber für die heiligen Schriften, seien es nun die der Juden, der Christen oder der Muslime. Der erste Deutsche, der die Schönheit des Koran erkannte, war Goethe. Mohammed selbst war eigentlich kein Dichter. Doch die 114 Suren des Koran wurden ihm von Gott offenbart und machten den Propheten zum Dichter.
Eigentlich unübersetzbar
Goethe spürte das, obwohl - nach islamischer Deutung - der Koran gar nicht übersetzt werden kann. Er enthält so viele Feinheiten, dass jede Wiedergabe durch ein anderes Medium als das der arabischen Sprache unmöglich und unzulässig ist. Übersetzungen können den Inhalt bestenfalls andeutend wiedergeben, und wenn sie es versuchen, in Türkisch, Persisch oder Urdu, werden sie in der Regel vom arabischen Originaltext begleitet. Moderne englische Übersetzungen heißen deshalb meistens “The Meaning of the Glorious Koran“, um diesem Anspruch Rechnung zu tragen. Goethe hat von dieser Empfindlichkeit noch nichts gewusst, aber schon als junger Mann geschrieben: “Ich möchte beten wie Moses im Koran: Herr, mache mir Raum in meiner engen Brust und mache mir leicht mein Geschäft und löse den Knoten in meiner Zunge.“
Diese Verse der 20. Sure fand er auch in der deutschen Übersetzung wunderbar. Er schrieb das Gedicht “Mahomets Gesang“, in dem er den Propheten als einen Fluss darstellt, der als kleiner Quell im Felsen beginnt und sich zum großen Strom entwickelt, alle anderen kleinen Bäche und Flüsse auf seinem Weg mit sich reißt und schließlich im Ozean mündet - ein Symbol für die Vereinigung mit Gott.
Eine lebenslange Begeisterung
Damals war er dreiundzwanzig, aber die jugendliche Begeisterung für den Koran hielt ein Leben lang an.
Als die Nachhut der besiegten napoleonischen Truppen durch Weimar zieht und in ihrem Gefolge die ersten Truppen der Alliierten, hört er, dass russische Baschkiren darunter sind, die im Weimarer Gymnasium ihren islamischen Gottesdienst feiern. Er feiert mit und hört zum ersten Mal die Suren des Koran im Original. Er bekommt ein Blatt aus einem arabischen Kodex geschenkt und schickt es gleich nach Jena zum Übersetzen. Es regt ihn an, wieder im Koran zu lesen.
Ein alter persischer Dichter namens Hafis kommt ihm in die Finger, eine letzte Liebe zu Marianne von Willemer beflügelt ihn und der “West-östliche Divan“ entsteht, durchwoben von Anspielungen auf die Suren des Koran. An den Historiker Carlyle schreibt er: “Es ist wahr, was Gott im Koran sagt: Wir haben jedem Volk einen Propheten geschickt in seiner eignen Sprache. Man soll den Geburtstag des Propheten ehren, den 20. April 570, und ganz besonders jene heilige Nacht, in der ihm der Koran von oben gebracht wurde.“
Goethe, der Weltgeist, hat gar kein Problem mit den Religionen. Für ihn gibt es nur einen Gott, der in verschiedenen Sprachen spricht. Das mit dem Frieden muss allerdings erst noch kommen.
“Gottes ist der Orient!
Gottes ist der Okzident!
Nord- und südliches Gelände