Etwa 120 Kilometer von der Hauptstadt Beijing entfernt liegt die regierungsunmittelbare Hafenstadt Tianjin. Während der Qing-Dynastie im 18. Jahrhundert hat sich Tianjin zu einem florierenden Handelszentrum entwickelt. Im 19. Jahrhundert wurden die Seefahrts-Mächte aus dem Westen auf die Stadt aufmerksam. Nach dem zweiten Opiumkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Tianjin für westliche Mächte geöffnet. Es wurden separate Konzessionsgebiete entlang des Flusses Haihe eingerichtet. Die Franzosen etwa bauten elegante Chateaus und Türme, die Deutschen bayerische Villen aus rotem Backstein und so weiter. Im heutigen Stadtbezirk Heping gibt es über 230 Bauten verschiedener Stilrichtungen. Nicht zuletzt deshalb wurde Tianjin als "Freilichtmuseum internationaler Architektur" bezeichnet. Ein bemerkenswertes Gebäude ist beispielsweise die Residenz des letzten chinesischen Kaisers Puyi. Sein Name lautet "Jingyuan" - auf Deutsch bedeutet dies "Garten der Stille".
Jingyuan wurde 1921 erbaut und hieß damals eigentlich "Qianyuan". 1925 verließ Puyi die Verbotene Stadt in Beijing und kam in Tianjin an. Nach etwa zwei Jahren zog er mit der Kaiserin Wanrong und seiner Lieblingskonkubine Wenxiu in diesen Hof und änderte dessen Namen in "Jingyuan", den "Garten der Stille". Hier wollte Puyi wieder Kraft finden und den rechten Augenblick für eine eventuelle Rückkehr auf den Thron in Beijing abwarten. Liu Jing, der heutige Verwaltungschef des Gartens erzählt, Jingyuan sei ein echter Schmelztiegel von verschiedenen architektonischen Stilen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Hauptgebäude.
"Von außen weist das Hauptgebäude den typisch spanischen Stil des Mittelalters auf. Die Außenseiten des Baus sind asymmetrisch. Im Innenraum ist das Gebäude jedoch von einer hölzernen Struktur geprägt. Die dekorativen Muster auf dem Holz zeigen den typisch japanischen Stil des frühen 20. Jahrhunderts."
2006 wurde mit der Restauration von Jingyuan begonnen. Im Juli 2007 wurde der Garten für Touristen zugänglich gemacht. Seitdem besuchten 130.000 Menschen den Garten, darunter viele ausländische Touristen. Mehr dazu erzählt Liu Jing:
"Einige Botschafter besuchten den Garten in letzter Zeit und machten hier Morgengymnastik. Sie meinen, der Garten sei jetzt wieder in einem hervorragenden Zustand. Auch die japanischen Touristen fühlen sich hier wie zu Hause, denn die Innenareale sind typisch japanisch."
Die zweite Station unserer Reise in Tianjin ist der "Shijia Dayuan", auf Deutsch der "Hof der Familie Shi". Während der Jingyuan einen kaiserlichen Hintergrund hat, ist der "Hof der Familie Shi" ein bürgerliches Haus aus der Qing-Dynastie. Der Hof weist eine Fläche von über 6.000 Quadratmetern auf und blickt auf eine Geschichte von über 130 Jahren zurück.
Die kleine Gemeinde Yangliuqing ist landesweit bekannt für die Werkstätten traditioneller Neujahrsbilder, einer volkstümlichen Kunstform in China. Laut Überlieferung sollen die Bilder böse Geister vertreiben. Dabei wurden früher Götter der Gerechtigkeit und Helden auf ein Stück Papier gemalt, das wiederum in der Wohnung aufgehängt wurde, um die Familie zu beschützen. Später haben sich diese Bilder allmählich zu Neujahrsdekorationen entwickelt. Laut Huo Qingshun, einem einheimischen Volkskünstler, ist diese alte Kunstform auch in der heutigen Zeit sehr lebendig.
"Die Neujahrsbilder aus Yangliuqing werden heutzutage in viele Länder exportiert. In Japan, Frankreich sowie in der Schweiz und in den USA sind sie beispielsweise sehr beliebt."
Im Hof der Familie Shi wurde deshalb ein Kunstmuseum eingerichtet. Ausgestellt werden nicht nur Neujahrsbilder, sondern auch Ziegelschnitz-Kunst sowie Sitten und Gebräuche Tianjins.
Ein weiteres Highlight im Hof ist die Opernbühne, die größte ihrer Art unter zivilen Häusern in Nordchina. Ihre architektonische Struktur ist einzigartig. Mehr dazu erzählt uns Reiseleiter Li Wei:
"Diese Bühne ist eine reine Holzkonstruktion. Sie wird ausschließlich durch Holzzapfen zusammengehalten, ohne einen einzigen Nagel."