Das Privatmuseum für Essstäbchen befindet sich in der Duolunlu-Straße in Shanghai. Der kleine Eingang ist so unscheinbar, dass man ihn leicht übersehen kann. Bei dem Museum handelt es sich um das einzige in China, das sich der Kultur der Essstäbchen widmet. Der Besitzer des Museums, Lan Xiang, ist schon 80 Jahre alt. Er sammelt seit den 1970er Jahren Essstäbchen. Bisher hat er bereits mehr als 2000 Paar zusammengetragen: aus Materialien wie Bambus, Holz, Metall, Jade und Elfenbein. Die ältesten Stäbchen gehen auf die Tang-Dynastie (618-907) zurück. Manche stammen sogar aus Nordkorea, Japan und Thailand.
Wie wir alle wissen, wurden die Essstäbchen von den Chinesen erfunden. Aber wann genau? Lan Xiang hat über historische Dokumente herausgefunden, dass die Essstäbchen zum ersten Mal in der Shang-Dynastie (1600 v.Chr.-1046 v. Chr.) schriftlich erwähnt wurden:
„Laut dem Geschichtsbuch Shiji hat Zhouwang, der letzte Kaiser der Shang-Dynastie, das erste Paar Elfenbeinessstäbchen erfunden. Das heißt also, dass es vor 3100 Jahren in China bereits Elfenbeinessstäbchen gab."
Die Idee ist allerdings viel älter: schon vor 4000-5000 Jahren wurde in China mit Tontöpfen gekocht. Da das aufgekochte Wasser zu heiß war, kamen die klugen Vorfahren der Chinesen auf die Idee, das Essen mit zwei Holzstäbchen aus den Töpfen zu holen. So sind allmählich die Essstäbchen entstanden.
Lan Xiang war früher Soldat. Er hat seine erste Stäbchensammlung in den 1950er Jahren geschenkt bekommen. Damals ahnte er natürlich noch nicht, was sich daraus einmal entwickeln würde. Erst durch ein Ereignis während des China-Besuchs vom damaligen US-Präsidenten Richard Nixon kam er auf den Gedanken, Essstäbchen zu sammeln.
Im Jahr 1978 hat Lan Xiang in einer Zeitung einen interessanten Bericht gelesen. Kaum dass Nixon bei einem Bankett in der Großen Halle des Volkes seine Essstäbchen niedergelegt hatte, stürmte ein kanadischer Journalist auf ihn zu, nahm die Stäbchen und steckte sie in seine Anzugtasche. Als dieser Journalist später in den USA ankam, wurde er von zehn Sammlern umlagert, die Nixons Essstäbchen kaufen wollten. Das höchste Angebot lag bei 2000 US-Dollar: Der Kanadier ließ sich aber auch dadurch nicht erweichen und behielt seinen Schatz aus China.
Der Bericht hat Lan Xiang richtig angespornt. Ihm wurde klar, dass Essstäbchen nicht nur ein Werkzeug darstellen, sondern auch international von großer kultureller Bedeutung sind. Seitdem setzt er sich mit Leib und Seele für seine Sammlung ein. Die von ihm gesammelten Essstäbchen gehen auf unterschiedliche Zeitalter zurück und sind aus Gold, Silber, Kupfer, Elfenbein, Jade, Bambus, Holz, Koralle, Tierknochen oder Bronze. In seinem Besitz befinden sich außerdem noch einige hundert Stäbchenbehälter. Lan Xiang hat uns zwei seiner antiken Exponate gezeigt. In einem Porzellanrohr, auf dem mandschurische und mongolische Schriftzeichen stehen, liegen ein Paar Silberstäbchen und ein Dolch. Die zwei Stäbchen sind mit einer dünnen Silberkette verbunden. Sie sind hohl und an beiden Enden der Kette hängt ein Zahnstocher. Lan Xiang:
„Diese Art ist in der Qing-Dynastie (1644-1911) entstanden. Die Mandschuren und Mongolen essen eigentlich nicht mit Stäbchen, sondern mit Messern. Nachdem die Mandschuren Chinas Hauptstadt Beijing erobert hatten, legte man diesen Stil ab, denn er wirkte in der Welt der Aristokratie unedel. Also haben sie das Messer mit den Essstäbchen kombiniert. Das Messer wurde allerdings nicht mehr zum Essen benutzt, sondern diente nur als Andenken an die Vorfahren. Beim Essen benutzten sie von nun an Stäbchen."
Ein anderes Exemplar stammt von mongolischen Adligen. In einem zirka 30 Zentimeter langen Rohr mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern liegen zwei Paar Stäbchen aus Elfenbein, zwei Gabeln, ein Löffel und ein Schaumlöffel, ein Messer, eine Pinzette, zwei kleine Silberteller und zwei Schnapsgläser. Mit einem Ledergürtel kann das Rohr auf dem Rücken eines Pferdes befestigt werden.
Hinter jedem Paar Essstäbchen verbirgt sich eine interessante Geschichte, die Lan Xiang gerne erzählt. Wahrscheinlich kommen deshalb so viele Touristen. Da China 2010 die Expo nach Shanghai geholt hat, entschied sich Lan Xiang, zu diesem Anlass ein Buch zu schreiben und für chinesische Essstäbchen zu werben. Drei Jahre vor Expo-Beginn hat er das Buch übersetzen lassen.
„Eigentlich habe ich alles auf Chinesisch geschrieben. Aber auf der Expo werden zwei Millionen ausländische Gäste erwartet. Deshalb habe ich den Beijinger Verlag für Fremdsprachen gebeten, das Buch zu übersetzen. Zuerst haben wir es in Englisch herausgegeben. Die Exemplare waren sofort ausverkauft. Da aus Frankreich schriftlich die Bitte kam, das Buch ins Französische zu übersetzen, ist jetzt auch die französische Fassung meines Buches ‚Kunst der chinesischen Essstäbchen' erschienen."
Lan Xiang ist sehr stolz darauf, dass er zur Expo beigetragen hat. Er hat mittlerweile in Shanghai einen Förderverein für die Kultur der Essstäbchen gegründet und will damit die jüngere Generation über die Geschichte der Essstäbchen aufklären. Im ganzen Land gibt es auch immer wieder Ausstellungen, die seine Essstäbchen präsentieren.