Hallo und guten Tag. Heute ist der 16. Oktober und ich darf Sie herzlich zu meinem Podcast "Zu Gast bei Dagmar" begrüssen. Nun ist es definitiv [1] Herbst geworden, wir verbringen wieder mehr Zeit in den eigenen vier Wänden und können all die Dinge erledigen, für die wir im Sommer keine Zeit hatten. Oder besser gesagt: Wir können die Dinge erledigen, die wir immer wieder hinaus geschoben haben. Dazu gehören auch lästige [2] Arztbesuche. Zum Beispiel der Besuch beim Zahnarzt. Allein schon der Gedanke "Zahnarzt" löst bei mir Panik [3] aus. Bei Ihnen auch? Mehr dazu gleich. Danach erzähle ich Ihnen von Musikinstrumenten, die mich ganz besonders berühren [4] und zum Schluss von einer Oper im Fernsehen.
Vor einer Woche war es wieder einmal so weit. Ich hatte einen Termin bei meinem Zahnarzt.
Ich weiss nicht, wie es bei Ihrem Zahnarzt ist. Müssen Sie sich auch drei Monate vorher anmelden? Jedenfalls vergesse ich diesen Termin sehr schnell, weil er ja noch so weit entfernt ist. Dann aber, wenn der Tag sich langsam nähert, werde ich nervös [5]. Denn ich weiss ganz genau, dass mein Zahnarzt irgend etwas finden wird, auch wenn ich keine Schmerzen habe. Mein Zahnarzt hat seine Praxis in Bern, und natürlich komme ich jedes Mal eine halbe Stunde zu früh in Bern an, und ich muss dann im Wartezimmer warten, bis ich endlich an der Reihe bin. Eine Riesenqual. Vor lauter Nervosität atme ich nicht mehr richtig und ich bekomme fast keine Luft mehr. Ich schaue immer wieder auf die Uhr, und wenn ich dann endlich an der Reihe bin, muss ich zuerst zur Dentalhygienikerin. Dentalhygienikerin, wie harmlos das klingt. So nach ein bisschen Putzen und so. Weit gefehlt.
Auch wenn die Dentalhygienikerin sehr vorsichtig ist - sie kennt mich seit Jahren und weiss, dass ich sehr schmerzempfindlich bin - ist es für mich die Hölle. Nach 45 Minuten Kratzen, Schaben und Polieren verlasse ich das Behandlungszimmer auf ziemlich wackligen Beinen und - darf wieder im Wartezimmer Platz nehmen und warten, bis ich beim Zahnarzt an der Reihe bin. Wieder beginnt die Aufregung von vorn, bis mich eine nette Assistentin bittet, herein zu kommen. Ich nehme auf dem Folterstuhl Platz, während sie mir ein lächerliches Papierlätzchen um den Hals bindet und mich informiert, der Herr Doktor käme gleich.
Ich drehe die Augen gegen die Decke, und dann kommt der Moment. Der Zahnarzt tritt ein und teilt mir mit, er müsse zwei Eckzähne röntgen, das hätte er sich beim letzten Mal so notiert. Ausserdem hätte ihm die Dentalhygienikerin mitgeteilt, der Sechser-Zahn oben rechts hätte ein Loch. Das wolle er sich doch einmal näher anschauen. Mir wird schlecht. Dann legt er zusammen mit der Assistentin los. Wie schon die Dentalhygienikerin kratzt er an meinem Sechser-Zahn herum und verkündet, ja, das Loch müsse geflickt werden. Aber zuerst müsse er röntgen. Kennen Sie dieses weisse Gestell, das Ihnen in den Mund gedrückt wird? Das ist sehr unangenehm. Viel schlimmer aber sind diese Röntgenkarten, die Ihnen mit Gewalt ins Zahnfleisch gepresst werden. Dazu müssen Sie auch noch durch die Nase atmen, das Gestell mit der Hand selbst festhalten und warten bis die Aufnahme gemacht ist.
Dann das Urteil: der Sechser benötigt eine Krone, und dafür brauche es drei Sitzungen von je einer Stunde. Aber heute wolle er nur das Loch reparieren. Ich bin mit den Nerven nach dieser Ankündigung bereits am Ende. Dabei fängt er jetzt erst mit der Behandlung an. Er fängt an mit einer Spritze. Zuerst in die vordere Seite oberhalb des kranken Zahns, dann in den Gaumen hinter dem Zahn. Es tut ganz einfach sehr weh. Danach sind der Zahnarzt und seine Assistentin vierhändig in meinem Mund beschäftigt. Zwischendurch verspüre ich Schmerzen beim Bohren. Also wird wieder gespritzt. Und endlich, nach einer Stunde, kann ich diesen schrecklichen Stuhl verlassen. Bis zum nächsten Mal.
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Wie Sie ja bereits wissen, gehe ich öfters in Konzerte. Besonders dann, wenn Sir Simon Rattle mit seinen Berliner Philharmonikern auftritt. Aber neben den Symphoniekonzerten habe ich auch eine Vorliebe für Militärmusik. Waren Sie schon einmal an einem Basel Tattoo? Jedes Jahr treten dort Militärkapellen aus der ganzen Welt auf. Die Präzision [6] der Formationen ist einfach unglaublich. Mit Spannung erwarte ich immer die Dudelsackspieler aus Schottland aber auch das weltberühmte Top Secret Drum Corps aus Basel.
Damit sind wir auch schon bei den Musikinstrumenten, von denen ich Ihnen erzählen wollte. Bei Musikinstrumenten, die mich auf eine besondere Art berühren. Dazu gehören eben die "Pipes", also die Dudelsäcke, dann die Trommeln, das Didgeridoo der australischen Aborigines und das Alphorn. Dieses Instrument fasziniert mich ganz besonders. Das Alphorn gibt es seit ungefähr 500 Jahren in der Schweiz, kommt aber ursprünglich aus Tibet und den Pyrenäen.
Das Alphorn ist eine ungefähr 3,5 bis 4 Meter lange Holztrompete, deren Klänge man bis zu 10 Kilometer weit hören kann. Sie haben sich bestimmt schon einmal gefragt, warum das Alphorn am unteren Ende nach oben gebogen ist. Der Grund liegt nicht in dem besseren Ton, sondern daran, dass die Fichten [7], aus denen das Alphorn geformt wird, krumm wachsen und dann in der Länge halbiert werden. Früher habe ich geglaubt, dass man mit einem Alphorn nur volkstümliche [8] Musik spielen kann. Es ist zwar schon so, dass Alphorn vor allem an ländlichen Anlässen, zum Beispiel an Jodlerfesten, gespielt wird, aber in der Zwischenzeit weiss ich, dass auch Jazzmusik und klassische Musik damit gespielt werden können. Das erfordert natürlich jahrelange Übung der Spieler. Vor einigen Jahren durfte ich einmal versuchen, einem Alphorn einen Ton zu entlocken. Und was kam dabei heraus? Nichts, einfach gar nichts. Ich habe gepustet und gepustet, aber all meine Bemühungen waren umsonst. Die Technik des Alphornspielens wird für mich immer ein Rätsel bleiben. Dafür bewundere ich es um so mehr. Der Klang des Alphorns hat für mich etwas Urwüchsiges [9], das tief aus der Seele kommt. Vielleicht ist das der Grund, warum mich auch die Töne der anderen Instrumente innerlich so sehr berühren.
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Schauen Sie fern? Dann haben Sie am 29. September vielleicht "La Bohème" gesehen. Das Schweizer Fernsehen hat die Puccini-Oper übertragen und zwar von einem ganz speziellen Ort aus, von einem Hochhaus in der Nähe von Bern. Ja, Sie haben richtig gehört. Die Opernsänger haben nicht von einer Bühne herunter gesungen, und das Orchester sass auch nicht im Orchestergraben eines berühmten Opernhauses. Nein, die Aufführung fand in den Räumen eines Hochhauses statt, in der Waschküche in der Cafeteria, im Treppenhaus, und wurde vom Schweizer Fernsehen übertragen.
Das Haus, in dem die Aufführung stattfand, gehört zur Siedlung Gäbelbach, die eine der ersten Hochhaussiedlungen in Bern war. Ende der sechziger Jahre wurde sie in Bern-Brünnen, inmitten von Wiesen, Wäldern und Hügeln erstellt. Damals gab es noch keine Autobahn, und man konnte von der alten Berner Strasse einen Blick auf dieses Bauprojekt werfen. Für mich war das sensationell und ich wäre am liebsten dort eingezogen. Im Laufe der Jahre hat sich viel verändert. Es wurde immer mehr gebaut, und heute leben dort Menschen aus 20 Nationen nebeneinander. Der Kontrast zwischen arm und reich - es geht auch darum in der Oper - wurde zwischen den Wohnungen und Waschküchen der alten Hochhäuser und dem neuen supermodernen Einkaufszentrum hergestellt. Dort spielte das Orchester.
Viele Bewohner von Gäbelbach haben als Statisten mitgespielt und haben die Aufführung stark geprägt [10]. Der technische Aufwand für diese Inszenierung war enorm. Schliesslich sollten die Leute zuhause vor dem Fernseher die Oper wie in einem Opernhaus miterleben können. Zwanzig Kameras und dreissig Tontechniker sorgten für perfekte Sicht und perfekten Ton. Der Regisseur musste während der Life-Übertragung nicht nur dem Orchester Anweisungen geben, sondern auch den Sängern, damit sie ihren Einsatz nicht verpassten. Sänger und Orchester befanden sich nämlich alle an verschiedenen Orten. Egal ob Sie Oper mögen oder nicht, diese Aufführung hätte Ihnen bestimmt gefallen. Zumindest war es ein phantastisches, einmaliges Erlebnis.
Am gleichen Abend übertrug das Schweizer Fernsehen übrigens einen wichtigen Eishockey-Match: Das Finalspiel im Victoria Cup. Die ZSC Lions spielten gegen die Chicago Blackhawks und ... gewannen. Eine Riesensensation. Trotz der sensationellen Leistung der Zürcher Hockey-Mannschaft, schauten aber mehr Leute in der Schweiz die Opernaufführung. Die Gratis-Zeitung "20 Minuten" titelte dazu: "Oper gegen Hockey: 1:0". Ha, wer hätte das gedacht!
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Nun, das war's wieder für heute. Wie immer freue ich mich auf Ihre Kommentare unter www.podclub.ch. Also bis zum nächsten Mal am 30. Oktober. Dann rede ich über einen Markt in Italien und wieder einmal etwas über Sternzeichen. Bis dann grüsst Sie, wo immer Sie auch sind, Ihre Dagmar.
[1] definitiv: endgültig
[2] lästig: unangenehm
[3] die Panik: die Angst, der Schrecken
[4] berühren: zu Herzen gehen
[5] nervös: unruhig, ängstlich
[6] die Präzision: die Genauigkeit
[7] die Fichte: ein Nadelbaum
[8] volkstümlich: folkloristisch
[9] urwüchsig: naturverbunden
[10] prägen: beeinflussen