Hallo und guten Tag. Hier bin ich wieder: Ihre Dagmar aus Neuenburg. Heute ist der 5. Juni und ich begrüsse Sie herzlich bei "Zu Gast bei Dagmar". Haben Sie die deutschen Sendungen gezählt? Nein? Dann verrate ich Ihnen, dass Sie heute dem fünften Podcast in Deutsch zuhören. Und wenn Sie das erste Mal zuhören, empfehle ich Ihnen gern die anderen vier Sendungen. Sie können am Ende des Textes Ihre Bemerkungen, Ihre Bewertung und Ihre Kommentare abgeben und zwar auf www.podclub.ch. Auch freue ich mich über Ihre Anregungen für neue Themen und über Ihre Vorschläge. Ich finde es ganz toll, wenn mir Hörer aus Spanien, Afghanistan und China schreiben. Erzählen Sie mir doch zum Beispiel über Traditionen in Ihrem Land, über etwas, das ganz typisch [1] ist für Sie, für Ihre Familie und für Ihre Freunde.
Und damit sind wir schon bei dem ersten Thema für heute angelangt, einem Schweizer Nationalsport, von dem Sie bestimmt noch nicht gehört haben. Wie er genau heisst, verrate ich Ihnen später. Sind Sie schon neugierig? Danach erzähle ich Ihnen etwas über eine kleine Reise und zum Schluss von meinem Umzug in eine andere Wohnung.
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Es gibt ein Sprichwort [2], das so ähnlich lautet wie: Wenn du in Rom bist, dann benimm dich wie ein Römer. Nun sind wir hier in der Schweiz und mir fällt es schwer, wie ein Schweizer oder eine Schweizerin zu sein. Ich weiss nämlich nicht so genau, wie das geht. Gut, da ist zuerst einmal die Sprache. Ich spreche kein Schweizerdeutsch, verstehe aber alle Dialekte sehr gut. Trotzdem, das macht mich noch nicht zur Schweizerin. Wie also kann ich ein fremdes Land besser verstehen? Da gibt es mehrere Möglichkeiten: zunächst einmal die Musik, dann Sitten [3] und Traditionen [4] verstehen und zum Beispiel Sport treiben oder auch nur an Sportveranstaltungen fahren. In der Schweiz werden Sportarten ausgeübt, die Sie kennen. Hier wird Fussball gespielt und Eishockey, hier finden Reitturniere und Rudermeisterschaften statt. Alles genau so wie auf der ganzen Welt. Aber in der Schweiz gibt es einen ganz speziellen Sport, den die Südafrikaner Swiss Golf nennen. Mit Golf spielen hat das aber gar nichts zu tun. Dieser Sport heisst "Hornussen" und ist eben ganz typisch für die Schweiz.
Ich versuche Ihnen jetzt meine Begeisterung [5] für diesen Sport zu vermitteln. Warum? Erstens, weil er wirklich faszinierend [6] ist und zweitens, weil er zu den Schweizer Traditionen gehört. Natürlich gibt es da noch andere Traditionen, aber heute spreche ich über das Hornussen.
Also, auf einer grossen Wiese - oder auf einem Feld - steht die Abschlagrampe und darauf liegt eine kleine Scheibe. Das ist der so genannte Hornuss oder Nouss. Ziel ist es nun, den Nouss so weit wie möglich zu schlagen. Dies geschieht mit einer langen Peitsche aus metall oder Fiberglas. Dabei dreht sich der Spieler mehrmals im Kreis herum, um Schwung zu bekommen, schlägt dann mit der Peitsche auf die kleine Scheibe und katapultiert [7] sie über das Feld. Die Spieler der gegnerischen Mannschaft versuchen den Flug des Hornuss mit grossen Schildern zu stoppen, indem sie die Schilder in die Höhe werfen. Wenn ihnen das gelingt, hat ihre Mannschaft einen Punkt gewonnen.
Warum ich Ihnen das erzähle? Ich habe noch nie in meinem Leben eine Sportart gesehen, die so unglaublich schnell ist. Die kleine Scheibe kann mehr als 300 Meter weit und 70 Meter hoch fliegen. Aber was das Tollste ist: die Geschwindigkeit kann bis zu 300 Kilometer pro Stunde betragen. Mir ist es noch nie gelungen, den Flug des Hornuss mit den Augen zu verfolgen. Auch kann ich nicht verstehen, wie man eine so kleine Scheibe mit einer beinahe 3 Meter langen metallpeitsche treffen kann. Dieser Sport wird übrigens gern im so genannten Mittelland der Schweiz ausgetragen und es gibt eine Stadt im Kanton Aargau, die heisst Hornussen. Vielleicht haben Sie einmal die Gelegenheit, bei einem Hornuss-Spiel zuschauen zu können. Sie werden begeistert sein, genau so wie ich.
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Nun geht es weiter mit einer kleinen Reise, die ich während der Pfingstfeiertage unternommen habe. Vor meiner Schulzeit in Berlin und Köln hat meine Familie einige Jahre im südlichen Schwarzwald verbracht. An diese Zeit konnte ich mich überhaupt nicht erinnern. Und so wollte ich einmal sehen, wo ich als kleines Kind lebte und habe mich wie ein Detektiv auf Spurensuche begeben. Wie Sie wissen, ist der Schwarzwald nicht weit von der Schweizer Grenze zu Deutschland entfernt. Sie können also ganz bequem eine Tagesreise unternehmen oder auch in einem der schönen Gasthäuser übernachten, je nachdem, welches Programm Sie vorgesehen haben.
Am besten ist es, wenn Sie mit dem Auto von Basel in Richtung Freudenstadt fahren und die Schwarzwaldhochstrasse nach Baden-Baden nehmen. Ich will Sie nicht mit allen Stationen meiner Reise langweilen, sondern möchte Ihnen erzählen, was mich am meisten interessiert hat. Ich liebe nämlich Geschichten. Besonders Geschichten und Sagen [8] aus längst vergangenen Zeiten. Sie auch? Dann hören Sie jetzt zu. Ich wollte unbedingt an den Mummelsee, der bei dem kleinen Schwarzwalddorf Seebach liegt. Denn mit diesem See ist eine Sage verbunden, die schon die Dichter Eduard Mörike und von Grimmelshausen beschäftigt hat.
Also, in diesem See wohnten vor langer, langer Zeit Wassernixen [9]. Und in mondklaren Nächten stiegen die Nixen im Sommer aus den Tiefen des Sees und tanzten einen Reigen. In der ersten Stunde nach Mitternacht kam dann der Seekönig und holte seine Töchter zurück. Im Winter aber sind diese Jungfrauen aus dem See gestiegen und haben den Mädchen und Buben des Dorfes bei ihren Handarbeiten mit dem Spinnrad geholfen. Eines Tages verliebte sich ein junger Mann in eines der Mädchen ohne zu wissen, dass sie eine Nixe war. Und weil die Mädchen immer zur gleichen Zeit nach Hause gingen, stellte der junge Bursche die Uhr einfach eine Stunde vor. Als die Mädchen dieses dann bemerkten eilten sie weinend nach Hause. Am nächsten Tag sah man auf dem See drei grosse Blutflecken auf dem Wasser und die Mädchen kamen nie wieder in das Dorf.
Also, als ich an dem See stand und auch dort spazieren ging, habe ich mir vorgestellt, wie diese Nixen aus dem Wasser auftauchten und tanzten. Irgendwie lief mir doch ein Schauer über den Rücken, auch wenn diese Geschichte nur ein Märchen ist. Können Sie das verstehen? Übrigens, in diesem See leben keine Fische. Vielleicht sind es doch Wassernixen?
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Zum Schluss erzähle ich Ihnen noch von meinem Umzug [10] in eine andere Wohnung. In dem Zusammenhang: Wissen Sie eigentlich, wie anders als in der Schweiz Umzüge in Deutschland sind? Umzüge in Deutschland sind nämlich ziemlich kompliziert. Warum? Nun, wenn Sie in Deutschland in eine neue Wohnung umziehen, dann haben Sie keine Küche. Keine Küche, genau. Der Raum, wo sich die Küche befinden sollte, ist leer. Was das bedeutet? Sie müssen sich vor dem Umzug eine Küche kaufen und sehr viel Geld investieren [11]. Und natürlich setzt das eine wochenlange Planung voraus. In der Schweiz ist das anders, viel einfacher. Hier mieten Sie eine Wohnung und die Küche ist bereits installiert [12]. Alles ist an seinem Platz. Der Backofen, der Kühlschrank und wenn Sie Glück haben auch eine Waschmaschine. Einfach wunderbar.
Ich war überglücklich, dass ich innerhalb der Schweiz umgezogen bin und nicht in Deutschland. Trotzdem war dieser Umzug doch etwas kompliziert [13]. Und zwar nicht, weil etwa keine Küche vorhanden war, sondern weil ich in eine kleinere Wohnung umgezogen bin. Mit meiner neuen Küche war ich sofort zufrieden und habe gleich angefangen, sie einzuräumen. Zuerst hatte ich noch gute Laune, aber dann wurde mein Gesicht immer länger, weil die Zügelleute [14] nicht aufhörten, Möbel und Kisten in die kleine Wohnung zu stellen. Es sah bald aus wie in einem Warenlager. Alles war voll gestopft und ich musste Kletterübungen [15] machen, um mir überhaupt einen Weg durch diese Unordnung zu bahnen. Haben Sie das auch schon einmal erlebt? Klar, eine kleine Wohnung ist nicht so teuer. Aber Sie haben auch weniger Platz. Es fehlt Ihnen ein Zimmer oder vielleicht sogar zwei. Wohin mit den überflüssigen [16] Schränken, Betten, Kommoden [17]? Aber vor allem, wohin mit dem Inhalt der Schränke? Normalerweise bin ich sehr schnell mit Auspacken und Einrichten, weil ich schon sehr oft umgezogen bin. Aber dieses Mal standen über Wochen die Möbel und Kisten im Flur und in dem Kellerabteil. Das Wohnzimmer musste ich mehrere Male umräumen, der Esstisch hatte nirgendwo Platz und die Bücherregale musste ich auseinander nehmen. Dann habe ich Schränke, Betten und Lampen verschenkt und viele Sachen, wie Porzellan und Tische bei Ebay im Internet verkauft. Und bestimmt bin ich ein dutzend Mal zur Deponie [18] gefahren, um mich von vielen Sachen zu trennen und sie weg zu werfen. In einer solchen Situation [19] merkt man erst sehr spät, was sich alles angesammelt hat. Von vielen Dingen konnte ich mich ohne Probleme trennen, bei anderen, sehr persönlichen Sachen ist mir das sehr schwer gefallen. Was habe ich daraus gelernt? Ich hätte schon lange vor meinem Umzug mit dem Aufräumen beginnen sollen. Aber wenn man berufstätig ist, hat man nicht viel Zeit dafür übrig. Nun, die anstrengenden Wochen sind vorbei und ich habe mich ganz gut in meiner kleinen Wohnung eingelebt. Was mir aber nach wie vor am meisten Freude bereitet, ist meine Schweizer Küche, die voll funktionstüchtig war und bereits auf mich wartete, als ich eingezogen bin.
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Haben Sie Lust, mir von Ihren Reisen oder Umzügen zu erzählen? Dann schreiben Sie mir doch darüber auf unserer Webseite. Auch sonst freue ich mich auf Ihre Bemerkungen unter www.podclub.ch. Beim nächsten Mal, am 19. Juni, gibt es wieder ein paar Geschichten aus dem Alltag und zum zweiten Mal eine kleine Sternstunde. Bis dann grüsst Sie, wo immer Sie auch sind, Ihre Dagmar.
[1] typisch: bezeichnend
[2] das Sprichwort: die Redewendung
[3] die Sitte: das Brauchtum
[4] die Tradition: der Kult, das Ritual
[5] die Begeisterung: die Schwärmerei
[6] faszinierend: attraktiv, spannend
[7] katapultieren: schleudern, werfen
[8] die Sage: die Überlieferung, das Märchen
[9] die Wassernixe: die Wasserjungfrau, die Nymphe
[10] der Umzug: der Wohnungswechsel, der Auszug
[11] investieren: ausgeben, bezahlen
[12] installieren: einbauen
[13] kompliziert: schwierig, diffizil
[14] die Zügelleute: die Umzugshelfer, die Wohnungspacker
[15] die Kletterübung: das Turnen; klettern: steigen, erklimmen
[16] überflüssig: zu viel, überzählig
[17] die Kommode: die Truhe, das kleine Möbelstück mit Schubladen
[18] die Deponie: die Müllabfuhr
[19] die Situation: die Sachlage, die Position