»Ich habe Zeit«, sagte ich ihm, »jedes Mal, wenn ich einen Blick in
den Kalender werfe, stelle ich es von Neuem fest: Ich habe erstaunlich
viel Zeit.« Dann legte ich auf.
Das Jüngelchen sah mich verwirrt an.
»Det meinen Se aber nich ernst, oder?«, fragte der Kameramann
besorgt.
»Wie bitte?«
»Ick hab jarnicht erstaunlich viel Zeit. Ick mach um vier Feierabend.«
»Schon gut, schon gut«, beschwichtigte Bronner, »wir holen notfalls
eine Ablösung. Das wird richtig gut hier!« Er holte seinen tragbaren
Telefonapparat aus der Tasche und machte sich ans Organisieren.
Ich setzte mich auf einen der freien Stühle. »Haben Sie vielleicht
etwas zu lesen da?«, fragte ich das Jüngelchen.
»Ich … ich seh mal nach, Herr …«
»Hitler ist der Name«, sagte ich sachlich. »Ich muss schon sagen:
Das letzte Mal, als ich mich derart mühsam vorstellen musste, befand
ich mich in einer türkisch geführten Reinigung. Sind diese Anatolier
irgendwie mit Ihnen verwandt?«
»Nein, es ist nur – wir …«, faselte das Jüngelchen.
»Nun ja. Ich sehe in dieser Partei keine große Zukunft für Sie!«
Das Telefon läutete und unterbrach die Lektüresuche des
Jüngelchens. Er hob den Hörer ab und nahm beinahe so etwas wie
Haltung an.
»Ja«, sagte er in den Hörer, »jawohl, der ist noch hier.« Dann
wandte er sich an mich: »Der Bundesvorsitzende für Sie.«
»Ich bin nicht zu sprechen. Die Zeit der Telefonate ist abgelaufen.
Ich will den Mann sehen.«
Das dürre Jüngelchen sah schwitzend nicht besser aus. Eine
unserer Napolas schien das Büblein genauso wenig besucht zu haben
wie eine Wehrsportübung oder generell jemals einen Sportverein.
Dass die Partei derartige rassische Ausschussware nicht gleich beim
Aufnahmeverfahren unnachgiebig aussiebte, war einem auch nur
halbwegs geistig gesunden Menschen nicht nachvollziehbar. Das
Jüngelchen wisperte etwas in den Telefonhörer. Dann legte es auf.
»Der Herr Bundesvorsitzende bittet um etwas Geduld«, sagte das
Büblein, »aber er wird so schnell wie möglich kommen. Das hier ist
doch für MyTV, oder?«
»Das hier ist für Deutschland«, korrigierte ich.
»Kann ich Ihnen in der Zwischenzeit vielleicht ein Getränk
anbieten?«
»Sie können sich in der Zwischenzeit setzen«, sagte ich und
musterte ihn besorgt. »Treiben Sie eigentlich Sport?«
»Ich möchte lieber nicht …«, sagte der, »und der Herr
Bundesvorsitzende wird ja auch jeden Moment …«
»Hören Sie auf mit dem Gewimmer«, sagte ich. »Flink wie
Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl. Kennen Sie das?«
Er nickte zögernd.