Ich hatte Sawatzki zum Adlon mitnehmen wollen. Nicht dass ich mir
von ihm gewaltige Eingebungen versprach, aber es schien mir
angemessen, mit einem Gefolge aufzutreten und für den Fall streitiger
Äußerungen einen Zeugen dabeizuhaben – einen Zeugen,
wohlgemerkt, aber Sensenbrink musste unbedingt auch noch
mitkommen. Ich bin nicht sicher, ob Sensenbrink glaubte, hier hilfreich
eingreifen zu können oder aber eher überwachen wollte, was ich so zu
sagen hätte. Letzten Endes gehört Sensenbrink, wie ich inzwischen
wohl mit Sicherheit zu sagen weiß, zu jener Gruppe von subalternen
Unternehmensführern, die meinen, es ginge überhaupt alles nur, wenn
sie sich in irgendeiner Form daran beteiligen. Ich kann an dieser Stelle
vor derlei nicht genug warnen, es passiert höchstens einmal in hundert
oder zweihundert Jahren, dass jemand wirklich ein Universalgenie ist
und dann neben manch anderen Tätigkeiten auch noch den
kompletten Oberbefehl über die Ostfront an sich ziehen muss, weil
sonst alles verloren ist – aber im Normalfalle entpuppen sich diese
Universalunentbehrlichen dann eben doch als sehr entbehrlich und
nutzlos, Letzteres im glücklichsten Falle. Sehr häufig richten sie
nämlich sogar auch noch den allergrößten Schaden an.
Ich hatte einen schlichten Anzug gewählt. Nicht dass ich mich der
Uniform geschämt hätte oder dergleichen, aber ich bin der Ansicht,
dass man – gerade als Vertreter kompromissloser Ansichten –
gelegentlich gut daran tut, ein betont bürgerliches Bild abzugeben. Die
ganzen Olympischen Spiele haben wir 1936 nach diesem Motto
bestritten, und wie ich gelesen habe, hat man diesen überwältigenden
Propagandaerfolg erst kürzlich in Peking mit guten bis sogar sehr
guten Ergebnissen zu kopieren versucht.
Wir ließen uns im vorweihnachtlich geschmückten Hotel zu dem
verabredeten Konferenzraume geleiten. Und obwohl ich mich bemüht
hatte, mit leichter Verspätung einzutreffen, waren wir als Erste im
Raum. Das war ein wenig ärgerlich, konnte eine strategische
Maßnahme jener Presseschmierer sein, aber natürlich auch ein Zufall.
Es dauerte nicht lange, bis die Türe sich erneut öffnete. Eine blonde
Dame im Kostüm trat ein und kam auf mich zu. Neben ihr ging ein
feister Fotograf, der in der dem Berufsstand eigenen abgerissenen
Kleidung sofort begann, ungefragt Bilder zu verfertigen. Bevor
Sawatzki oder Sensenbrink auf die ungeschickte Idee kommen
konnten, uns wie ein Oberlehrer einander vorzustellen, trat ich vor,
nahm die Schirmmütze ab, klemmte sie unter meinen Arm und gab
der Dame mit einem »Guten Tag« die Hand.
»Angenehm«, sagte sie kühl, aber nicht unfreundlich, »ich bin Ute
Kassler von ›Bild‹.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, sagte ich, »ich habe schon
viel von Ihnen gelesen.«
»Eigentlich hatte ich von Ihnen den Deutschen Gruß erwartet«,
merkte sie an.