Ich trat vor die Türe und sah mich um. Gegenüber war eine kleine
Grünanlage, deren Laubbäume schon intensivste Herbstfarben
trugen. links und rechts schlossen sich andere Häuser an. Mein Blick
streifte eine verrückte Frau, die am Rande jener Grünanlage einen
Hund an der Leine führte und im Begriffe war, dessen
Hinterlassenschaft aufzuklauben. Ich überlegte kurz, ob sie wohl
schon sterilisiert war, kam aber zu dem Schlusse, dass sie in jedem
Falle für Deutschland wenig repräsentativ sein konnte, also wählte ich
eine andere Richtung und begab mich aufs Geratewohl nach links.
Ein Zigarettenautomat hing an der Wand, an dem sich vermutlich die
Raucher versorgten, die den Parkplatz mit den Ratten teilten. Ich
passierte ihn und etliche Passanten. Meine Uniform wurde offenbar
nicht als störend empfunden, das mochte daher rühren, weil derlei hier
nicht unüblich zu sein schien. Mir begegneten zwei Männer in mäßig
imitierten Wehrmachtsuniformen, eine Krankenschwester und zwei
Ärzte. Diese Häufung kostümierter Figuren kam mir entgegen: Ich
schätze die Aufmerksamkeit nicht mehr so sehr, seit ich damals, nach
meiner Haftentlassung, von Anhängern regelrecht verfolgt wurde. Man
musste sie im wahrsten Sinne des Wortes mit kleinen Manövern
überlisten, damit man einmal von Fotografen ungestört eine kleine
Rast einlegen konnte. Doch so, in dieser speziellen Umgebung, war
ich gewissermaßen als ich selbst und doch inkognito unterwegs, ideal
für das Studium der Bevölkerung. Denn viele Menschen benehmen
sich in Gegenwart des Führers nicht mehr ganz natürlich. Ich sage
dann immer: »Machen Sie sich keine Umstände!«, aber gerade die
kleinen Leute scheren sich darum natürlich nicht. In meiner Münchner
Zeit, da waren die kleinen Leute geradezu wie verrückt an mir
gehangen. Das konnte ich hier nicht brauchen. Ich wollte den echten,
den unverfälschten Deutschen sehen, den Berliner.
Einige Minuten später passierte ich eine Baustelle. Männer mit
Helmen schlurften herum, es sah im Wesentlichen so aus, wie ich es
noch von meiner bitterarmen Zeit in Wien kannte, während der ich
mich auf Baustellen verdingt hatte, um mir mein tägliches Brot zu
verdienen. Ich blickte neugierig durch den Zaun, ich erwartete, den
Häusern beim Wachsen zusehen zu können, aber offenbar hatte die
Technik hier nicht allzu große Fortschritte gemacht. Im oberen
Stockwerk faltete ein Polier gerade einen Jüngling zusammen, er
mochte ein Werkstudent sein, ein angehender Architekt, ein junger,
hoffnungsvoller Mensch, wie ich einst einer war. Auch er musste sich
der schieren Gewalt des Arbeiters unterwerfen, die erbarmungslose
Welt der Baustelle war heute noch dieselbe wie einst. Da konnte der
junge Mann Einblicke gewonnen haben in Sprachwissenschaft und
Naturphilosophie, das zählte nichts in diesem Universum aus Zement
und Stahl. Andererseits bedeutete das auch: Es gab sie noch immer,
die brutale, schlichte Masse, ich musste sie nur erwecken. Und auch
die Qualität des Blutes schien durchaus brauchbar.