Sie erzählte mir wenig von ihren sonstigen Angelegenheiten, ich wußte nicht, in welchen Verbindungen sie noch außer mir war; sie hatte mir zwar von Daub in Heidelberg gesprochen und auch von Creuzer, aber ich wußte von keinem, ob er ihr lieber sei als der andre; einmal hatte ich von andern davon gehört, ich glaubte es nicht, einmal kam sie mir freudig entgegen und sagte: »Gestern hab' ich einen Chirurg gesprochen, der hat mir gesagt, daß es sehr leicht ist, sich umzubringen,« sie öffnete hastig ihr Kleid und zeigte mir unter der schönen Brust den Fleck; ihre Augen funkelten freudig; ich starrte sie an, es ward mir zum erstenmal unheimlich, ich fragte: »Nun! – Und was soll ich denn tun, wenn Du tot bist? –« »O«, sagte sie, »dann ist Dir nichts mehr an mir gelegen, bis dahin sind wir nicht mehr so eng verbunden, ich werd' mich erst mit Dir entzweien.« – Ich wendete mich nach dem Fenster, um meine Tränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu verbergen, sie hatte sich nach dem andern Fenster gewendet und schwieg; – ich sah sie von der Seite an, ihr Auge war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war gebrochen, als ob sich sein ganzes Feuer nach innen gewendet habe; – nachdem ich sie eine Weile beobachtet hatte, konnt' ich mich nicht mehr fassen, – ich brach in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals und riß sie nieder auf den Sitz und setzte mich auf ihre Knie und weinte viel Tränen und küßte sie zum erstenmal an ihrem Mund und riß ihr das Kleid auf und küßte sie an die Stelle, wo sie gelernt hatte, das Herz treffen; und ich bat mit schmerzlichen Tränen, daß sie sich meiner erbarme, fiel ihr wieder um den Hals und küßte ihre Hände, die waren kalt und zitterten, ihre Lippen zuckten, sie war ganz kalt, starr und totenblaß und konnte die Stimme nicht erheben; sie sagte leise: »Bettine, brich mir das Herz nicht«; – ach, da wollte ich mich aufreißen und wollte ihr nicht wehtun; ich lächelte und weinte und schluchzte laut, ihr schien immer banger zu werden, sie legte sich aufs Sofa; da wollt' ich scherzen und wollte ihr beweisen, daß ich alles für Scherz nehme; da sprachen wir von ihrem Testament; sie vermachte einem jeden etwas; mir vermachte sie einen kleinen Apoll unter einer Glasglocke, dem sie einen Lorbeerkranz umgehängt hatte; ich schrieb alles auf; im Nachhausegehen machte ich mir Vorwürfe, daß ich so aufgeregt gewesen war; ich fühlte, daß es doch nur Scherz gewesen war oder auch Phantasie, die in ein Reich gehört, welches nicht in der Wirklichkeit seine Wahrheit behauptet; ich fühlte, daß ich Unrecht gehabt hatte und nicht sie, die ja oft auf diese Weise mit mir gesprochen hatte. Am andern Tag führte ich ihr einen jungen französischen Husarenoffizier zu mit hoher Bärenmütze; es war Wilhelm von Türkheim, der schönste aller Jünglinge, das wahre Kind voll Anmut und Scherz; er war unvermutet gekommen; ich sagte: »Da hab' ich Dir einen Liebhaber gebracht, der soll Dir das Leben wieder lieb machen.« Er vertrieb uns allen die Melancholie; wir scherzten und machten Verse, und da der schöne Wilhelm die schönsten gemacht zu haben behauptete, so wollte die Günderode, ich sollte ihm den Lorbeerkranz schenken; ich wollte mein Erbteil nicht ungeschmälert wissen, doch mußt' ich ihm endlich die Hälfte des Kranzes lassen; so hab' ich denn nur die eine Hälfte. Einmal kam ich zu ihr, da zeigte sie mir einen Dolch mit silbernem Griff, den sie auf der Messe gekauft hatte, sie freute sich über den schönen Stahl und über seine Schärfe; ich nahm das Messer in die Hand und probte es am Finger, da floß gleich Blut, sie erschrak, ich sagte: »O Günderode, du bist so zaghaft und kannst kein Blut sehen und gehest immer mit einer Idee um, die den höchsten Mut voraussetzt, ich hab' noch das Bewußtsein, daß ich eher vermögend wär', etwas zu wagen, obschon ich mich nie umbringen würde; aber mich und dich in einer Gefahr zu verteidigen, dazu hab' ich Mut; und wenn ich jetzt mit dem Messer auf dich eindringe siehst du, wie du dich fürchtest?« – Sie zog sich ängstlich zurück; der alte Zorn regte sich wieder in mir unter der Decke des glühendsten Mutwills; ich ging immer ernstlicher auf sie ein, sie lief in ihr Schlafzimmer hinter einen ledernen Sessel, um sich zu sichern; ich stach in den Sessel, ich riß ihn mit vielen Stichen in Stücke, das Roßhaar flog hier und dahin in der Stube, sie stand flehend hinter dem Sessel und bat, ihr nichts zu tun; ich sagte: »Eh' ich dulde, daß du dich umbringst, tu' ich's lieber selbst.« »Mein armer Stuhl!« rief sie. »Ja was, dein Stuhl, der soll den Dolch stumpf machen.« Ich gab ihm ohne Barmherzigkeit Stich auf Stich, das ganze Zimmer wurde eine Staubwolke, so warf ich den Dolch weit in die Stube, daß er prasselnd unter das Sofa fuhr; ich nahm sie bei der Hand und führte sie in den Garten in die Weinlaube, ich riß die jungen Weinreben ab und warf sie ihr vor die Füße; ich trat darauf und sagte: »So mißhandelst du unsre Freundschaft.« – Ich zeigte ihr die Vögel auf den Zweigen, und daß wir wie jene, spielend, aber treu gegeneinander bisher zusammengelebt hätten. Ich sagte: »Du kannst sicher auf mich bauen, es ist keine Stunde in der Nacht, die, wenn du mir deinen Willen kund tust, mich nur einen Augenblick besinnen machte; – komm vor mein Fenster und pfeif um Mitternacht, und ich geh' ohne Vorbereitung mit dir um die Welt. Und was ich für mich nicht wagte, das wag' ich für dich; – aber du? – Was berechtigt dich mich aufzugeben? – Wie kannst du solche Treue verraten, und versprich mir, daß du nicht mehr deine zaghafte Natur hinter so grausenhaft prahlerische Ideen verschanzen willst.« – Ich sah sie an, sie war beschämt und senkte den Kopf und sah auf die Seite und war blaß; wir waren beide still, lange Zeit. »Günderode«, sagte ich, »wenn es ernst ist, dann gib mir ein Zeichen«; – sie nickte. Sie reiste ins Rheingau; von dort aus schrieb sie mir ein paarmal, wenig Zeilen; – ich hab' sie verloren, sonst würde ich sie hier einschalten. Einmal schrieb sie: »Ist man allein am Rhein, so wird man ganz traurig, aber mit mehreren zusammen, da sind grade die schauerlichsten Plätze am lustaufreizendsten: mir aber ist doch lieb, den weiten gedehnten Purpurhimmel am Abend allein zu begrüßen, da dichte ich im Wandeln an einem Märchen, das will ich Dir vorlesen; ich bin jeden Abend begierig, wie es weiter geht, es wird manchmal recht schaurig, und dann taucht es wieder auf.« Da sie wieder zurückkam und ich das Märchen lesen wollte, sagte sie: »Es ist so traurig geworden, daß ich's nicht lesen kann; ich darf nichts mehr davon hören, ich kann es nicht mehr weiter schreiben: ich werde krank davon.« Sie legte sich zu Bett und blieb mehrere Tage liegen, der Dolch lag an ihrem Bett; ich achtete nicht darauf, die Nachtlampe stand dabei, ich kam herein: »Bettine, mir ist vor drei Wochen eine Schwester gestorben; sie war jünger als ich, du hast sie nie gesehen; sie starb an der schnellen Auszehrung.« – »Warum sagst du mir dies heute erst«, fragte ich. – »Nun, was könnte dich dies interessieren? Du hast sie nicht gekannt, ich muß so was allein tragen«, sagte sie mit trocknen Augen. Mir war dies doch etwas sonderbar, mir jungen Natur waren alle Geschwister so lieb, daß ich glaubte, ich würde verzweifeln müssen, wenn einer stürbe, und daß ich mein Leben für jeden gelassen hätte. Sie fuhr fort: »Nun denk'! Vor drei Nächten ist mir diese Schwester erschienen; ich lag im Bett und die Nachtlampe brannte auf jenem Tisch; sie kam herein in weißem Gewand, langsam, und blieb an dem Tisch stehen; sie wendete den Kopf nach mir, senkte ihn und sah mich an; erst war ich erschrocken, aber bald war ich ganz ruhig, ich setzte mich im Bett auf, um mich zu überzeugen, daß ich nicht schlafe. Ich sah sie auch an und es war, als ob sie etwas bejahend nickte; sie nahm dort den Dolch, hob ihn gen Himmel mit der rechten Hand, als ob sie mir ihn zeigen wolle, legte ihn wieder sanft und klanglos nieder; dann nahm sie die Nachtlampe, hob sie auch in die Höhe und zeigte sie mir, und als ob sie mir bezeichnen wolle, daß ich sie verstehe, nickte sie sanft, führte die Lampe zu ihren Lippen und hauchte sie aus; denk' nur«, sagte sie voll Schauder, »ausgeblasen; im Dunkel hatte mein Auge noch das Gefühl von ihrer Gestalt; da hat mich plötzlich eine Angst befallen, die ärger sein muß, als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wär' lieber gestorben, als noch länger diese Angst zu tragen.«