„Sollten Sie die Blumen auch nachher fortwerfen, ich würde mich doch für den glücklichsten der Sterblichen halten, wenn Ihre Hände sie nur einmal berührten,“ flüsterte er leise.
Irma fühlte, daß sie rot wurde, aber sie zwang sich aufzuschauen und blickte in ein paar schwarze, schmelzende und doch kecke Augen. Das schöne Gesicht mit seinen feinen, aristokratischen Zügen wäre ohne den gewaltigen Schmiß auf der rechten Wange vielleicht etwas weibisch erschienen. Sie schlug verwirrt die blauen Augen nieder und nahm die Rosen mit ein paar gestammelten Dankesworten.
Er schwenkte sein Cerevis, als ob es ein Marschallshut mit wallendem Federbusch wäre, verbeugte sich fast bis zur Erde und entfernte sich mit seinen Kommilitonen.
„Wer war das, onkel Heinz?“ fragte Ruth.
„Jetzt erinnere ich mich, er war mein Schüler und benahm sich immer ein bißchen verdreht. Er ist ein Baron von Hochstein, der zum ältesten Adel des Landes gehört.“
„Er ist ein Geck,“ brach Hans Reicher los, „und ihr,“ fuhr er entrüstet zu den Mädchen fort, „solltet euch schämen, Blumen von jemand anzunehmen, der euch total unbekannt ist.“
Maud erwiderte ruhig, sie sehe kein Unrecht darin, eine Höflichkeit anzunehmen, die im Beisein der Eltern und der ganzen Familie erwiesen werde.
Irma schaute Hans lachend an, roch an ihren Rosen und befestigte sie sorgfältig in ihrem Gürtel. Ruth näherte sich ihr und flüsterte tadelnd:
„Du mußt nicht so kokett sein, Irma, mein Kind.“
„O, es ist doch nur Hans,“ versetzte sie, während sie sich mit einem strahlenden Lächeln auf dem reizenden Gesichtchen zu Agnes gesellte. Ruth warf einen mitleidigen Blick auf den jungen Mann.
Die Gesellschaft nahm an den inzwischen gedeckten Tafeln Platz und tat sich gütlich an den schmackhaft bereiteten Speisen und dem Rheinwein, der in zierlichen, goldglänzenden Römern perlte.
Nach dem Essen gingen Ruth und ihr Mann noch einmal zu dem Wasserfall, um das großartige Schauspiel in aller Stille zusammen zu genießen. Fritz und Marianne wanderten mit Maud ein Stück in den Wald. Ilse sehnte sich, nun die lebhafte Mittagsstunde vorüber und es im Garten fast leer geworden war, still unter dem Laubwerk der hohen Bäume zu ruhen und onkel Heinz teilte ihren Wunsch. Tante Elisabeth suchte sich im Hause ein bequemes Sofa, wo sie ihr Mittagsschläfchen halten konnte. Das junge Volk beschloß, der Abtei einen Besuch abzustatten.
Ludwig und Agnes gingen voraus. Der Pfad durch den Wald war nicht sehr eben, hier und da sogar recht ungebahnt. Es dauerte denn auch nicht lange, so bot der junge Leutnant seiner Dame den Arm. An einer Stelle, wo große, knorrige Wurzeln und ein ganzer Baumstamm den Weg sperrten, legte er den Arm um die Taille des jungen Mädchens und half ihr über die Hindernisse hinweg. Irma folgte mit Hans, behielt aber Karl an ihrer Seite und nahm keine Notiz von ihrem Anbeter. Des Morgens im Wagen war sie ganz freundlich zu ihm gewesen, hatte ihn zwar geneckt, sich jedoch seine etwas ungeschickten, aber gut gemeinten Huldigungen gern gefallen lassen. Nun würdigte sie ihn kaum einer Antwort, beschäftigte sich nur mit Karl und sprang ausgelassen mit diesem über die Baumwurzeln. Hans seufzte. Vom ersten Augenblick an, als er in Irmas strahlende Augen geschaut, hatte das verwöhnte, von allen verhätschelte Kind sein Herz im Sturm erobert. Er kämpfte dagegen, sagte sich, daß es eine Torheit sei, sich so plötzlich zu verlieben, aber trotz seiner ernsten Natur konnte er nicht anders. Er fühlte, daß er Irma wahrhaft liebte und daß es keine Tändelei, sondern eine ernste, tiefe Zuneigung war, die unzerstörbar in seinem Herzen lebte. Daher tat es ihm weh, sie jetzt so launisch und flatterhaft zu sehen. Ein bitteres Gefühl bemächtigte sich seiner bei dem Gedanken an den glänzenden Studenten, der Irma erröten gemacht und den sie mit einem Blick angesehen hatte, wie ihn, Hans, noch keiner getroffen, auch wohl nie einer treffen würde. Trotz seiner Verliebtheit aber war er kein Narr; er bewahrte seine Würde und ließ Irma ganz unbehelligt.