„Verehrte Frau,“ fügte der Professor in seinem gewohnten spöttischen Ton hinzu, „nicht alle Männer sind schon in der Wiege zu alten Junggesellen oder vertrockneten Bücherwürmern bestimmt!“
Ihre Worte gossen aber nur Oel ins Feuer. Der Trotzkopf der Jugendzeit, der sich jetzt so selten zeigte, daß man seine Existenz beinahe vergessen hatte, kam wieder einmal zum Vorschein.
„Unsinn,“ rief sie heftig, „natürlich müßt ihr ihm die Stange halten; die Männer sind sich alle gleich, herzlose Egoisten, welche die Liebe einer Frau nicht verdienen und sie nur zu schnell vergessen.“
„Aber Ilse,“ wandte Leo ein.
„Schweig still, du würdest es gerade so machen, wenn ich gestorben wäre,“ klagte sie weinend.
„Das weißt du wohl besser, Liebste,“ nahm Gontrau ernst das Wort. „Aber wir dürfen andere nicht gleich verurteilen, wenn sie unter Umständen anders handeln, als wir an ihrer Stelle getan hätten. Wenn auch nicht alle Männer imstande sind, nur einmal im Leben und für immer zu lieben, so ist es doch sehr gut möglich, daß ihre Zuneigung warm und echt ist.“
„Kein einziger Mann besitzt die Fähigkeit, nur einmal im Leben zu lieben,“ erklärte Ilse, noch immer zürnend, „ausgenommen der meinige,“ fügte sie plötzlich hinzu, den traurigen, vorwurfsvollen Blick bemerkend, mit dem Leo sie anschaute, und sie schmiegte den Kopf an seine Schulter.
Professor Fuchs sah die beiden an, und als Ilses Blick dem seinen begegnete, meinte sie einen eigentümlichen Ausdruck darin zu lesen und fragte:
„Na, Herr Professor, Sie sind natürlich wieder nicht meiner Meinung?“
Aber statt der streitsüchtigen Antwort, die sie zu hören erwartete und auf die gewöhnlich ein hitziger Wortwechsel folgte, erwiderte onkel Heinz milde:
„Nein, Frau Gontrau, denn ich weiß, daß es Männer gibt, die ebenso treu wie eine Frau zu lieben vermögen, ihr ganzes Leben lang, selbst ohne Gegenliebe und ohne die Hoffnung, jemals glücklich zu werden.“
Gedankenvoll starrte er vor sich hin, und sein Antlitz zeigte denselben Ausdruck, der Ilse jetzt nicht mehr — wie vor vielen Jahren — in Bestürzung versetzte, der sie jetzt nur mit Mitleid erfüllte, warum, wußte sie selbst nicht zu sagen.
Wenn Frau Ilse bei ruhigerer Überlegung auch zugeben mußte, daß Direktor Althoffs Benehmen zu entschuldigen war, so empfing sie ihn doch mit sehr kühler Höflichkeit, als er ihr seine Braut vorstellte. Instinktiv fühlten beide, daß die alte Freundschaft aufgehört hatte, und obwohl sie sich dann und wann sahen, war doch von dem früheren herzlichen Verkehr keine Rede mehr. Ilse konnte es Fred nicht verzeihen, daß er Nellies Platz von einer andern einnehmen ließ. Als es sich nach einiger Zeit herausstellte, daß seine zweite Frau lange nicht so liebevoll und sanft war wie die verstorbene, daß der Direktor recht schön unter dem Pantoffel stand und von Verhätscheln und Verwöhnen keine Rede war, empfand sie nicht das geringste Mitleid mit ihm, sondern erklärte, daß er nur ernte, was er verdient hatte.
Wieder vergingen viele Jahre. Die Enkel in San Franzisko wurden groß und schrieben nette deutsche Briefchen an Großpapa und Großmama Gontrau. Ruths Sohn, der jetzt im vierzehnten Jahre stand, fing an, eine so überraschende musikalische Begabung zu zeigen, daß seine Eltern stark daran dachten, auch ihn die Künstlerlaufbahn einschlagen zu lassen. Da geschah etwas Schreckliches und der schwerste Schlag, der sie treffen konnte, beugte Ilse für eine Zeit völlig nieder.
Obwohl fast sechzig Jahre alt, stand Professor Gontrau doch noch in voller Manneskraft und kam seinen vielen Amtsgeschäften mit Eifer und Treue nach. Ihm und Ilse schwanden die Jahre fast unmerklich dahin, und beide sahen für ihr Alter wunderbar jung und frisch aus. Das kam von dem vielen Glück, das ihnen das Schicksal bescherte, und von der großen Liebe, mit der sie sich gegenseitig umgaben. Da zog sich Gontrau, der nie krank gewesen war, eine Erkältung zu, die er anfänglich vernachlässigte. Sie hatte eine schwere Lungenentzündung zur Folge, die ihn innerhalb einer Woche dahinraffte. So schnell und heftig hatte die Krankheit zugenommen, daß Ruth und ihr Mann, die in Paris weilten, kaum Zeit fanden, an das Sterbebett ihres Vaters zu eilen, und erst ein paar Stunden vor seinem Hinscheiden eintrafen. Sie waren tief betrübt; ihre Kinder, Gustav und die kleine Irma, weinten heiße Tränen, weil der liebe Großpapa, an dem sie so zärtlich hingen, von ihnen ging. Fritz und Marianne schrieben aus San Franzisko trostlose Briefe.