Als Irma in I. aus dem Coupé stieg, schaute sie sich überall nach Gustav und Flora um, aber niemand war zu erblicken. Etwas enttäuscht nahm sie sich eine Droschke und ließ sich nach der kleinen, dicht vor der Stadt gelegenen Villa fahren, welche ihr Bruder bewohnte.
Es war ein schöner Tag zu Ende Februar; wie holde Frühlingsahnung zog es durch die Luft. Hier und da fingen einige geschützt stehende Büsche an zu knospen, und in dem Gärtchen vor dem Hause blühten gelbe und lila Krokus. Die Villa sah allerliebst aus; von dem hell gestrichenen Giebel hob sich der Fenster und Türen umrankende Efeu malerisch ab.
Irma klingelte, mußte aber lange warten; erst als sie zum zweiten Male die Glocke zog, wurde geöffnet, und eine mürrische Stimme brummte:
„Es wird doch wohl nich so 'ne Eile haben, ich komm schon.“
Eine dicke Dienstmagd in den fünfziger Jahren, mit aufgedunsenem, frechem Gesicht, pechschwarzem Haar und einem Anflug von Schnurrbart auf der Oberlippe ward sichtbar. Sie trug ein dunkles Wollkleid, aus dessen kurzen Puffärmeln die drallen, feuerroten Arme wie fest gestopfte Würste zum Vorschein kamen. Der Boden dröhnte unter ihren Schritten, und sie hatte ganz und gar das Aussehen eines verkleideten Dragoners.
„Ist die gnädige Frau zu Hause?“ fragte Irma erschreckt und kleinlaut beim Anblick dieser martialischen Erscheinung.
„Jawohl.“
„Sagen Sie ihr, daß ich angekommen bin, Fräulein von Holten, die Schwester des Herrn.“
„Nicht nötig,“ damit deutete sie auf eine Tür am Ende des Korridors. Diesem gebieterischen Winke gehorchend, beeilte Irma sich an die bezeichnete Türe zu klopfen. Kein „Herein“ ertönte; sie schaute sich hilflos um, aber das Mannweib war verschwunden. Irma öffnete, prallte indes sofort zurück, denn das ganze Zimmer war mit Rauch erfüllt, der Qualm trieb ihr Tränen in die Augen und reizte sie zum Husten. Als sie nach einigen Augenblicken zögernd eintrat, konnte sie ein geräumiges Gemach unterscheiden, mit eleganten, ganz modernen Möbeln. Sie sah Vorhänge und Wandbekleidungen von hellgrüner Seide, mit stilisierten Blumen durchwirkt, überall in künstlerischer Unordnung durch den ganzen Raum verstreut Büsten, Bilder und Kunstwerke jeder Art. Was Irma aber am meisten in Erstaunen setzte, war Flora selbst, die in einem lose hängenden, weißen Gewande vor dem Ofen kniete und augenscheinlich die verzweifeltsten Anstrengungen machte, das Feuer anzuzünden; es wollte nicht brennen, dicke blaue Rauchwolken stiegen aus den Steinkohlen in die Höhe und hüllten die junge Frau vollständig ein.
„Mein Himmel, Flora, was treibst du da?“ rief Irma.
Die Angerufene kehrte sich um, ganz entsetzt beim Anblick ihrer Schwägerin.
„Ach Gott, ist's schon so spät? Ich wollte dich von der Bahn abholen und habe gar nicht auf die Zeit geachtet. Was soll ich nun machen? Das eklige Feuer will und will nicht brennen.“
„Eine nette Begrüßung,“ meinte Irma lachend. „Komm aber wenigstens mal her und gib mir einen Kuß, und dann wollen wir das Fenster aufreißen, denn in diesem Rauch ersticken wir ja.“
„Wenn ein Luftzug hereinkommt, werden die Kohlen erst recht nicht anbrennen.“ Und sofort kehrte Flora zum Ofen zurück.
„Aber Kind, warum rufst du nicht das Mädchen?“
„Ach, Irma, ich getraue mich nicht. Vor ein paar Stunden brannte das Feuer ganz gut; ich habe vergessen danach zu sehen, und nun wage ich nicht, sie noch einmal zu bemühen. Sie würde böse werden, und ich hab' solche Angst vor ihr.“
„Wenn es das Wesen ist, das mir aufmachte, dann glaube ich dir's. Die sah ja aus wie ein Mann. Wie konntest du nur so ein Mädchen nehmen, Flora?“
„Ach, sprich nicht davon; wir sind zwei Monate verheiratet, und dies ist schon die Fünfte.“
„So? Wie kommt denn das?“
„Ich weiß es nicht,“ klagte Flora, immer noch das Feuer anblasend. „Ich glaube, ich verstehe nicht mit ihnen umzugehen. Die erste, die wir hatten, radelte leidenschaftlich und wollte nicht kochen; dann kam eine, die stahl wie ein Rabe, in zwei Tagen war das Wirtschaftsgeld alle, ohne daß ich es ausgegeben hätte; die dritte ging in einem meiner Kleider und mit meinem Hut spazieren; die vierte hatte eines Tages ihren Schatz und noch fünf oder sechs Soldaten in der Küche. Von dieser glaube ich, daß sie trinkt, denn sie flucht entsetzlich, und ich habe schreckliche Furcht vor ihr.“
„Und Gustav?“ fragte Irma, die trotz allem lachen mußte.
„Ach, du siehst doch wohl ein, daß ich ihm mit dieser häuslichen Misere nicht lästig fallen kann. Er findet es so wie so schon merkwürdig, alle Augenblicke ein andres Gesicht zu sehen. Der Haushalt und das Mädchen gehören doch zu meinem Wirkungskreis.“
Das offenstehende Fenster schien dem Feuer bekömmlich zu sein; der Rauch verzog sich, und die Kohlen fingen an zu brennen. Mit einem Seufzer der Erleichterung stand Flora auf.