Hier hörte Eugénie auf zu lesen und gab mit kühler Miene den Brief zurück.
»Ich danke Ihnen«, sagte sie zu Madame des Grassins; »wir werden sehen . . .«
»Jetzt haben Sie ganz den Tonfall Ihres seligen Vaters«, sagte Madame des Grassins.
»Madame«, unterbrach Nanon, »Sie haben uns achttausendeinhundert Francs in Gold auszuzahlen.«
»Ja, das stimmt, Madame Cornoiller; haben Sie also die Güte, mit mir zu kommen.«
»Monsieur le Curé«, sagte Eugénie, als sie sich mit ihm allein sah, mit edler Würde, »ist es eine Sünde, in der Ehe Jungfrau zu bleiben?«
»Das ist eine Gewissensfrage, deren Lösung mir unbekannt ist. Wenn Sie wissen möchten, was der berühmte Sanchez in seiner Abhandlung ›De matrimonio‹ darüber äußert, so könnte ich es Ihnen morgen sagen.«
Der Pfarrer ging. Mademoiselle Grandet stieg in das Arbeitszimmer ihres Vaters hinauf und verbrachte dort einsam den Tag; trotz der Bitten Nanons erschien sie nicht zum Mittagessen. Erst am Abend, zur Stunde, da sich, wie üblich, die Gäste einfanden, ließ sie sich wieder blicken. Niemals war der Saal der Grandets so voll gewesen wie an diesem Abend. Die Neuigkeit von der Rückkehr und frechen Untreue Charles' hatte sich in der ganzen Stadt verbreitet. Wie aufmerksam aber auch die Neugier der Besucher spähte, sie wurde nicht befriedigt. Eugénie, die dergleichen erwartet hatte, zeigte in ihrem Antlitz kein Abbild der furchtbaren Erschütterungen, von denen ihr Gemüt betroffen worden war. Denen, die ihr bekümmerte Worte sagten, antwortete sie mit heiterem Gesicht; sie verstand es, ihr Unglück hinter der Maske der Höflichkeit zu verbergen.
Gegen neun Uhr hörten die Spiele auf, die Spieler zahlten sich aus, verließen ihre Plätze, sprachen dabei über ihre Stiche im Whist und gesellten sich zur Gruppe der Plaudernden. Dann, als alles sich erhoben hatte, um nach Hause zu gehen, erfolgte ein Ereignis, ein Theatercoup, der in ganz Saumur, im ganzen Bezirk und in vier umliegenden Provinzen seinen Widerhall fand.
Eugénie wandte sich an Monsieur de Bonfons, der bereits seinen Stock genommen hatte, und sagte: »Bleiben Sie, Monsieur le Président!«
Es war nicht ein einziger in dieser großen Versammlung, den diese Worte nicht seltsam bewegt hätten. Der Präsident erbleichte und mußte sich niedersetzen.
»Dem Präsidenten also die Millionen!« sagte Mademoiselle de Gribeaucourt.
»Ja, es ist klar: der Präsident de Bonfons wird Mademoiselle Grandet heiraten«, rief Madame d'Orsonval.