Lieber Bruder! Charles ist ein rechtschaffener, willensstarker junger Mann. Gib ihm, was er zu seiner Reise und für den Anfang nötig hat; er stürbe lieber, als daß er es unterließe, Dir seinerzeit das Geliehene zurückzuerstatten. Und Du wirst ihn unterstützen, Grandet! Sonst müßten Dich ja Gewissensbisse foltern! Ach, fände mein Kind bei Dir weder Hilfe noch Zuneigung, so würde ich droben Gottes ewige Rache auf Dich herabrufen.
Wenn es mir möglich gewesen wäre, irgendeine Summe zu retten, so hätte ich wohl das Recht gehabt, ihm als dem Erbfolger seiner Mutter etwas Geld zu hinterlassen. Aber die Zahlungen meines Monatsabschlusses haben alle meine Quellen erschöpft. Es war nicht meine Absicht gewesen, im Zweifel über das Geschick meines Kindes von hinnen zu gehen; ich hatte gehofft, im warmen Druck Deiner Hand ein heiliges Versprechen zu empfangen, das mich beruhigt haben würde. Aber es fehlt mir an Zeit. Während Charles auf der Reise ist, bin ich gezwungen, meine Bilanz zu ziehen. Ich werde versuchen, durch die Gewissenhaftigkeit, mit der ich meine Geschäfte führte, zu beweisen, daß in meinem Unglück keine Schuld, keine Unredlichkeit zu finden ist. Heißt das nicht auch, mich um Charles' Wohl bekümmern?
Lebe wohl, mein Bruder! Möge die großmütige Vormundschaft, um die ich Dich bitte und die Du, wie ich nicht zweifle, übernehmen wirst, des Himmels reichsten Segen über Dich bringen. Und wisse: dort oben in jener Welt, in die wir alle eines Tages gehen müssen und in der ich nun schon bin, wird unausgesetzt eine Stimme für Dich beten.
Victor-Ange-Guillaume Grandet.
»Unterhalten Sie sich gut?« sagte Vater Grandet, den Brief sorgsam zusammenfaltend und in die Westentasche steckend.
Er betrachtete seinen Neffen mit demütiger und furchtsamer Miene, der Maske, hinter der er seine Bewegung und seine Erwägungen verbarg.
»Hat die Wärme Ihnen gut getan?«
»Sehr, lieber Onkel.«