Einen Monat nach der Abreise des Bankiers besaß Grandet für hunderttausend Francs Staatsschuldscheine, gekauft zum Kurs von achtzig. Die Auskünfte, die nach seinem Tod die Nachlaßinventur ergeben hat, haben niemals über die Mittel aufgeklärt, die sein Mißtrauen ihm eingab, um die Gelder der Schuldverschreibung gegen die Schuldverschreibung selbst einzutauschen. Notar Cruchot glaubte, daß Nanon ohne Wissen das treue Werkzeug zum Transport des Geldes gewesen war. Um diese Zeit herum war die Magd fünf Tage unter dem Vorwand abwesend, etwas in Froidfond zu ordnen. Als ob der Biedermann fähig gewesen wäre, irgend etwas in Unordnung zu lassen! Was die Angelegenheiten des Hauses Guillaume Grandet anbetraf, so erfüllte sich alles so, wie Grandet es erwartet hatte.
Wie jedermann weiß, befinden sich auf der Bank von Frankreich die genauesten Auskünfte über die großen Vermögen in Paris und den Departements. Die Namen des Grassins' und Felix Grandets aus Saumur waren dort bekannt und genossen das Ansehen, das man den berühmten Finanzleuten entgegenbringt, deren Vermögen sich auf ungeheuren hypothekenfreien Grundbesitz stützt. Die Ankunft des Bankiers von Saumur, der, wie man sagte, beauftragt war, eine ehrenhafte Liquidation des Hauses Grandet in Paris zustande zu bringen, genügte also, um dem Namen des Verstorbenen die Schande eines Wechselprotestes zu ersparen. Die Abnahme der Siegel geschah in Gegenwart der Gläubiger, und der Notar der Familie machte sich daran, eine regelrechte Inventaraufnahme des Nachlasses vorzunehmen. Alsbald berief des Grassins die Gläubiger zusammen, die einstimmig den Bankier von Saumur zusammen mit François Keller, der Chef einer reichen Firma und einer der Hauptgläubiger war, zu Liquidatoren ernannten und ihnen alle Vollmachten erteilten, die nötig waren, um sowohl die Ehre der Familie zu retten, als auch die Schuldenlast zu tilgen. Der Kredit, in dem Grandet aus Saumur stand, und die Hoffnungen, die er durch Vermittlung des Grassins' bei den Gläubigern erweckte, erleichterten die Regelung der Sache. Es fand sich nicht einer unter den Gläubigern, der sich widersetzt hätte. Niemand dachte daran, seine Schuldforderung auf das Verlustkonto zu setzen, und jeder sagte sich: ›Grandet aus Saumur wird bezahlen!‹
Sechs Monate verflossen. Die Pariser hatten die im Umlauf befindlichen Wechsel eingelöst und bewahrten sie sorgfältig in ihren Portefeuilles auf. Dies war das erste Resultat, das der Böttchermeister hatte erreichen wollen. Neun Monate nach der ersten Versammlung verteilten die Liquidatoren an jeden Gläubiger siebenundvierzig Prozent. Diese Summe wurde erzielt durch den Verkauf der Wertpapiere, Besitztümer und überhaupt aller dem verstorbenen Guillaume Grandet gehörigen Dinge, bei deren Veräußerung man mit peinlichster Gewissenhaftigkeit vorgegangen war.
Die Gläubiger erkannten gerne die bewunderungswürdige und unantastbare Ehrlichkeit der Grandets an; aber nachdem sie sich eine Zeitlang mit diesen Lobreden begnügt hatten, verlangten sie den Rest ihres Geldes. Dazu mußten sie einen gemeinsam unterzeichneten Brief an Grandet verfassen.
Als Erwiderung auf das in diesem Brief gestellte Ansinnen verlangte Grandet die notarielle Deponierung aller noch gegen seinen Bruder bestehenden Schuldforderungen, denen eine Quittung über die bereits gemachten Zahlungen beizufügen sei; er begründete dies Verlangen damit, daß er die Rechnungen ins reine bringen und die Höhe der Hinterlassenschaft genau feststellen wolle. Diese Deponierung machte viel böses Blut. Ein Gläubiger ist fast immer so etwas wie ein Besessener. Heute noch bereit zuzustimmen, will er morgen auf einmal alles in Brand stecken; dann wieder zeigt er sich übertrieben nachgiebig. Heute ist seine Frau guter Laune, sein Jüngster hat ein neues Zähnchen bekommen, alles geht gut zu Hause, und er will nicht einen Sou nachgeben; morgen regnet es, er kann nicht ausgehen, er ist melancholisch, und er sagt ›ja‹ zu allen Vorschlägen, die der Sache ein Ende machen; übermorgen verlangt er Garantien; am Ende des Monats droht er mit Pfändung, der Schurke. Der Gläubiger ähnelt einem Sperling, dem die Kinder Salz auf den Schwanz streuen sollen. In bezug auf seine Forderung kehrte der Gläubiger dieses Bild um, denn er bekommt von seiner Forderung nichts in die Hände. Grandet hatte den Witterungswechsel in der Stimmung der Gläubiger schon lange zu seinem Studium gemacht, und die Gläubiger seines Bruders entsprachen vollkommen seinen Erwartungen. Die einen erzürnten sich und schlugen die verlangte Deponierung rundweg ab.
»Schön, das geht ja ausgezeichnet«, sagte Grandet händereibend bei der Lektüre der Briefe, die des Grassins ihm in dieser Sache schrieb.