Im Februar 1989 wurde Chris Gueffroy an der Berliner Mauer erschossen. Es war das letzte Mal, dass ein DDR-Bürger seinen Fluchtversuch in den Westen mit dem Leben bezahlte – im November 1989 war die Mauer Geschichte.
Ein fataler Irrtum brachte Chris Gueffroy im Februar 1989 auf die Idee, einen Fluchtversuch aus der DDR zu wagen. Ein befreundeter Soldat hatte ihm erzählt, der Schießbefehl sei ausgesetzt. Der zwanzigjährige Kellner entschloss sich gemeinsam mit einem Freund zur Flucht über die Mauer. Am Abend des 5. Februar 1989 versteckten sich beide in einer Schrebergartenanlage direkt an der Grenze. Aber ihre Flucht misslang.
Augenzeugen aus dem Westen berichteten später, sie hätten mindestens zehn Schüsse gehört und gesehen, wie ein Mann abtransportiert wurde. Chris Gueffroy starb innerhalb weniger Minuten, sein Freund überlebte schwer verletzt und wurde ins Gefängnis gebracht. Erst zwei Tage später teilte man der Familie mit, dass ihr Sohn tot sei. Er sei umgekommen, als er militärisches Sperrgebiet angegriffen habe, hieß es vage. In der Todesanzeige war von einem "Unglücksfall" die Rede – die vorgeschriebene Sprachregelung.
Chris Gueffroy war der letzte Mauertote. Ein halbes Jahr später brach die DDR zusammen. Der Soldat, der Chris Gueffroy erschossen hatte, wurde Anfang der Neunzigerjahre zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. 1997 musste sich das letzte Politbüro der DDR für den Schießbefehl verantworten. Erich Honeckers Nachfolger Egon Krenz wurde zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt.
Dort, wo Chris Gueffroy versucht hatte, über die Mauer zu klettern, befindet sich jetzt ein Park. Hier sind Spaziergänger und Radfahrer unterwegs. Ein Gedenkstein erinnert an den jungen Mann, der als letzter an der Mauer erschossen wurde. Der Berliner Senat hat ihn im Juni 2003 aufstellen lassen – zu seinem 35. Geburtstag.
Glossar
Mauertote, der/die – ein Mensch, der bei der Flucht aus der DDR getötet wurde
etwas mit dem Leben bezahlen – wegen etwas sterben
etwas ist Geschichte – etwas ist Vergangenheit; etwas ist vorbei
fatal – mit schlimmen Folgen
es wagen, etwas zu tun – den Mut haben, etwas zu tun
Schießbefehl, der – der Befehl an die DDR-Soldaten, bei Fluchtversuchen zu schießen
etwas aussetzen – etwas unterbrechen
Schrebergarten, der – ein kleiner Garten, in dem Menschen, deren Wohnung keinen Garten hat, sich erholen und Blumen, Gemüse und Bäume anpflanzen
Augenzeuge/in, der/die – jemand, der etwas persönlich beobachtet hat
umkommen – sterben
Sperrgebiet, das – ein Gebiet, das nicht betreten werden darf
vage – ungenau
Todesanzeige, die – eine Mitteilung in der Zeitung, mit der die Familie über den Tod eines Menschen informiert
etwas vorschreiben – hier: befehlen; bestimmen, wie etwas sein muss
Politbüro, das – die Leitung der DDR-Regierungspartei SED
sich für etwas verantworten müssen – für etwas die Verantwortung übernehmen
Haft, die – die Gefängnisstrafe
Gedenk- – etwas, das an einen Toten oder ein Verbrechen erinnern soll
Senat, der – hier: die Regierung des Bundeslandes Berlin