Als der Architekt Walter Gropius vor 50 Jahren die erste Großsiedlung Berlins plante, war das auch ein Symbol des modernen Lebens. Heute haben Großsiedlungen wie die „Gropiusstadt“ ein Image-Problem.
Der Bauhaus-Architekt Walter Gropius sollte 1958 eine Großsiedlung am Rande Berlins planen. Dahinter stand der Traum von einem besseren, moderneren Wohnen. Die Siedlung im Grünen sollte ihn wahr machen: fernab der dunklen Berliner Hinterhofwohnungen mit Außentoilette und Kohleofen. Renate Ahnert fand das gut: „Damals war das großartig, endlich keine Kohle mehr schleppen müssen.“ Die Heizung war für sie der Grund, 1965 in die Gropiusstadt zu ziehen.
Geplant hatte Gropius Häuser mit durchschnittlich vier bis maximal 17 Etagen, dazwischen viele Grünflächen. Zusätzlich sollten Geschäfte, Kino, Post und soziale Einrichtungen für städtisches Leben sorgen. Doch dann wurde 1961 die Berliner Mauer gebaut. Die geplante Siedlung lag jetzt direkt an der Grenze. Die Fläche war kleiner geworden, die Häuser dafür höher.
Schon nach Bauende 1975 war die Gropiusstadt nicht zu einem Traum, sondern zu einem Wohnmoloch geworden. Ingo Höse erzählt: „Was, du bist aus der Gropiusstadt? Man hat das damals als Bedrohung angesehen“, sagt der Lehrer, der hier gern lebt und arbeitet. Obwohl die meisten Bewohner, so wie er, ihre Umgebung als normal empfanden, blieb das negative Bild. Die Gropiusstadt galt als „Problem-Viertel“ mit Drogenkonsum und Kriminalität.
Nach dem Wegfall der Grenzen ist das nicht anders. Heute leben über 35.000 Menschen hier, vor allem Migranten. Die Wohnungen sind billig und groß genug für Familien mit vielen Kindern. 30 Prozent der Kinder leben in Hartz IV-Haushalten. Doch genau wie früher wohnen auch heute viele wirklich gern hier. Und am Image-Wandel der Großsiedlung wird gearbeitet. Neue Wohnungen, Geschäfte und Hotels sollen entstehen und auch solventere Mieter anlocken. Dann wird die legendäre Großsiedlung vielleicht etwas „städtischer“, und das ist sicher im Sinne ihres Erfinders, Walter Gropius.
Glossar
Siedlung, -en (f.) – hier: ein Stadtviertel
Image, -s (n.) – der Ruf; der Eindruck, den man allgemein von etwas hat
Bauhaus (nur Sgl.) (n.) – die Kunstschule in Weimar, die ab 1919 eine neue Kunstrichtung in der Architektur begründete
fernab von etwas – weit weg von etwas
großartig – toll, super
schleppen – umgangssprachlich für: etwas Schweres tragen
Grünfläche, -n (f.) – hier: ein Gebiet mit Gras oder Bäumen
soziale Einrichtungen – öffentliche Institutionen wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser
Berliner Mauer – die frühere Grenze zwischen Ost- und Westberlin
Wohnmoloch (nur Sgl.) (m.) – hier: ein Stadtviertel, in dem sehr viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, die sich gegenseitig gar nicht kennen
Bedrohung, -en (f.) – die Gefahr
etwas als etwas ansehen – etwas so empfinden
Problem-Viertel – das Stadtviertel, in dem es viele Probleme (z. B. mit Armut, Kriminalität, Drogen) gibt
Migrant/in, -en/-innen (m./f.) – der/die Einwanderer/Einwanderin; jemand, der aus seiner Heimat in ein anderes Land kommt, um dort zu leben
Hartz IV-Haushalt, -e (m.) – ein Haushalt, in dem alle Personen nicht arbeiten, sondern von staatlicher Hilfe leben
Wandel, - (m.) – die Veränderung
solvent – zahlungsfähig; vermögend; so, dass man viel Geld hat
jemanden anlocken – jemanden dazu bringen, an einem bestimmten Ort zu leben
legendär – sehr berühmt
im Sinne ihres Erfinders sein – umgangssprachlich: so sein, wie es gedacht war
Fragen zum Text
1. Was stimmt nicht? Walter Gropius hatte eine Siedlung geplant, in der …
a) möglicht viele Menschen auf möglichst kleiner Fläche leben sollten.
b) es möglichst hohe Häuser mit Heizung geben sollte.
c) modernes Wohnen in der Natur möglich sein sollte.
2. Was stimmt nicht? In den 70er Jahren war Gropiusstadt ein Viertel, …
a) in dem es viele soziale Probleme gab.
b) das einen sehr schlechten Ruf in der Öffentlichkeit hatte.
c) ein großartiges Wohnviertel im Grünen.
3. Was steht nicht im Text? Heute leben hier …
a) viele Migranten.
b) vor allem die alten Bewohner von damals.
c) viele Familien, die von staatlicher Hilfe leben.
4. Was drückt der Satz mit „wird“ aus? „Und am Image-Wandel der Großsiedlung
wird gearbeitet.“
a) Konjunktiv II
b) Futur
c) Passiv
5. Was drückt der Satz mit „wird“ aus? „Dann wird die legendäre Großsiedlung
vielleicht etwas ‚städtischer’.“
a) Futur
b) Präsens
c) Passiv
Arbeitsauftrag
Gropiusstadt ist mit seinen Hochhäusern kein sehr beliebtes Stadtviertel. Viele Städter in Deutschland möchten lieber in Wohnungen in der Altstadt leben oder in Einfamilienhäusern am Stadtrand. Wie wohnt ihr oder wie würdet ihr gern wohnen und warum? Berichtet im Kurs.