Immer mehr Menschen in Deutschland entdecken das Wandern. Was früher als spießig galt, ist heute für viele der ideale Ausgleich zu einem immer anstrengender werdenden Alltag.
Wandern im Zeitalter von Fernreisen, Internet und Globalisierung? Manche finden diese Art der gemächlichen Fortbewegung spießig, andere wie Rainer Brämer vom Deutschen Wanderinstitut sehen eine Renaissance des Wanderns. Der Experte zitiert repräsentative Studien und spricht von rund 40 Millionen Deutschen, die wandern. Etwa 8 Millionen schnürten mindestens ein Mal im Monat die Wanderschuhe. "Wir beobachten seit Jahren steigende Zahlen. Die meisten Jugendlichen sind Wandermuffel - im Gegensatz zu den Erwachsenen, hier gibt es ein wachsendes Bedürfnis und eine neue Lust am Wandern." Brämer, der an der Universität Marburg eine Forschungsgruppe zum Thema Wandern leitet, erklärt dies mit einer "High-Tech-Zivilisation, die uns mehr und mehr überfordert", und mit "mentaler Erschöpfung", die viele in der Natur nach Erholung suchen lasse.
Auch der Deutsche Wanderverband mit etwa 600.000 Mitgliedern in den Vereinen beobachtet zunehmendes Interesse. "Wandern ist wieder ein Thema, deswegen gibt es auch einen Markt für Bücher zu diesem Thema", sagt Ingo Seifert-Rösing, Verbandsreferent für Öffentlichkeitsarbeit. "Vor 10 bis 15 Jahren galt es noch als absolut spießig, inzwischen bekennen sich die Leute dazu. Das Image hat sich gewandelt, Wandern wird heute mit sanftem Tourismus und mit einem Lebensstil in Verbindung gebracht." Hinter der Wanderlust steckten neben dem Naturerlebnis, der Freude an Bewegung auch das Streben nach Gesundheit und Interesse an der Heimatregion.
"Viele Strecken sind heute abwechslungsreicher und spannender als früher. Und gute Wege wiederum ziehen neue Wanderer an", sagt Brämer. "Wandern ist ein riesiger Markt für Gastronomie und Hotellerie, Kleidung und Schuhe." In den Vereinen sind nach Auskunft des Verbands vor allem die über 60-Jährigen engagiert. Ihnen gehe es um geführte Touren und Geselligkeit, sie seien häufig und regelmäßig unterwegs. "Viele entdecken das Wandern ab Mitte 40 oder mit Anfang 50 für sich", sagt Seifert-Rösing. Und so ist der Durchschnittwanderer 48 Jahre alt.
GLOSSAR
spießig – kleinbürgerlich
ideal – am besten; ausgezeichnet
gemächlich – langsam; ruhig
Renaissance, die – die Wiedergeburt; das Wiederaufleben
etwas zitieren – den genauen Wortlaut von etwas wiedergeben
repräsentativ – stellvertretend für
Wandermuffel, der – jemand, der nicht gerne wandert
mental - geistig
zunehmend – mehr werdend
absolut – total; uneingeschränkt
Image, das – Anglizismus für: das Ansehen
Streben, das – der Eifer
Gastronomie, die – das Gaststättengewerbe
sich engagieren – sich beschäftigen