In der evangelischen Kirche können immer mehr schwule Pfarrer und lesbische Pfarrerinnen mit ihrem Partner im Pfarrhaus zusammenleben. Ermöglicht wurde das durch eine Änderung des Pfarrdienstgesetzes.
Lange Zeit war es für homosexuelle Geistliche verboten, mit ihrem Partner im Pfarrhaus zusammenzuleben. Eine Neuerung des Pfarrdienstgesetzes der evangelischen Kirche in Deutschland im November 2010 änderte dies. Seitdem kann jede Landeskirche selbst entscheiden. Im April 2012 einigten sich als letzte auch die Protestanten in Sachsen: Wenn der Kirchenvorstand zustimmt, dürfen im Einzelfall homosexuelle Partner ins Pfarrhaus einziehen.
Der sächsische Pfarrer Christoph Wohlgemuth ist über diese Entscheidung erleichtert. Der lange Streit innerhalb der Kirche erinnert ihn an sein eigenes Coming-Out: Er durfte kein Gemeindepfarramt übernehmen und wurde stattdessen Seelsorger in einem Krankenhaus. Für Ralf Michael Ittelmann vom Christlichen Schwul-Lesbischen Stammtisch in Dresden ist Christsein und Homosexualität kein Widerspruch, denn in der Bibel steht nichts über homosexuelle Partnerschaften.
David Keller sieht das anders. Er ist Mitinitiator der "Bekenntnis-Initiative", die sich aus Protest gegen die Änderung des Pfarrdienstgesetzes gründete. Keller sagt, dass er Homosexuelle toleriert. Allerdings wäre es ihm lieber, wenn die homosexuellen Pfarrer darauf verzichten würden, eine Gemeinde zu leiten. Keller befürchtet, dass das Pfarrdienstgesetz die Protestanten auf der ganzen Welt spalten wird.
Auf der einen Seite stehen die Kirchen der Industriestaaten des Nordens, die gesellschaftlichen Entwicklungen gegenüber offener sind. Auf der anderen Seite lehnen die Kirchen Afrikas und Asiens gleichgeschlechtliche Liebe radikal ab. Keller weiß, dass solche Positionen oft gegen die Menschenrechte verstoßen. Trotzdem ist er überzeugt: Heterosexualität ist näher am Glauben.
Glossar
Pfarrhaus, das – ein Haus, das von der Kirche bezahlt wird und in dem Pfarrer/innen mit ihrer Familie leben
schwul – so, dass man als MannMänner liebt ; homosexuell
lesbisch – so, dass man als Frau Frauen liebt; homosexuell
Pfarrdienstgesetz, das – ein Gesetz speziell für Pfarrer der Evangelischen Kirche
Geistliche/r, die/der – eine Person, die in der Kirche ein Amt übernimmt
Landeskirche, die – die evangelische Kirche in einem Bundesland
Sachsen – ein Bundesland im Osten Deutschlands(Adjektiv: sächsisch)
im Einzelfall – ausnahmsweise; selten
Vorstand, der – hier: die Leitung der Evangelischen Kirche
über etwas erleichtert sein – über eine Situation froh sein, die vorher schwieriger war
Coming-Out, das – der Moment, in dem Homosexuelle ihre sexuelle Identität öffentlich machen
Gemeindepfarramt, das – ein Amt, bei dem ein Pfarrer/eine Pfarrerin die Aufgaben seiner Kirche in einem bestimmten Gebiet übernimmt
Seelsorger/in, der/die – →eine/ein Geistliche/r, der anderen Menschen psychisch hilft
Stammtisch, der – hier: ein regelmäßiges Treffen einer Gruppe mit besonderen Interessen
Mitinitiator/in, der/die – jemand, der/die eine Initiative mitgründet
Bekenntnis, das – hier: die öffentliche Zustimmung zu einem bestimmten Glauben
Heterosexualität, die – sexuelle Orientierung, bei der jemand Menschen des anderen Geschlechts liebt ↔die Homosexualität